Nach dem Abgas-Skandal: Volkswagen sortiert sich
Ein neuer Ton und eine neue Führungsspitze verändern den Konzern. Die Verkaufszahlen halten sich stabil – doch in den Autohäusern sind die Folgen von „Dieselgate“ spürbar.
Der Hof des VW-Händlers ist voll. Neuwagen und Gebrauchte in allen Größenklassen stehen dicht gedrängt. Auch im mehrstöckigen Ausstellungsraum ist kein Platz mehr. Hier müsste mal dringend ein Auto verkauft werden.
„Der Eindruck täuscht“, sagt ein Gebrauchtwagenverkäufer. „Ich habe in den vergangenen zwei Monaten sehr gut verkauft – auch Diesel.“ 40 Stück in acht Wochen, 260 seit Jahresanfang, ein Drittel davon Diesel. Das ist ein guter Schnitt für Berliner Verhältnisse. Für einen VW-Verkäufer ist es, drei Monate nach Bekanntwerden des Abgasskandals, eine Überraschung. „Die Kunden, die kommen, sind sehr entspannt“, berichtet der VW-Mann. „Und die anderen kommen erst gar nicht.“
Wer in Deutschland einen VW-Diesel kauft, muss wissen, was er tut
Verkäuferlogik. Optimismus gehört im Autohandel zur Berufsausbildung, denkt man. Der VW-Konzern befindet sich doch eigentlich seit Ende September im Krisenmodus. Der Abgas-Skandal hat den bis dahin tadellosen Ruf des größten Autobauers Europas schwer beschädigt. Der Absatz ist zuletzt weltweit unter Druck geraten. Ob unter den Gebrauchten im Berliner Autohaus auch manipulierte Diesel-Modelle sind? „Natürlich, überall“, sagt der Verkäufer. Der Verkauf sei ja nicht gestoppt worden. Wer hier zugreife, müsse aber wissen, was er tut. Denn der Diesel muss im kommenden Jahr erst mal in die Werkstatt. Der VW-Konzern hat versichert, dass die Autos mit der Schummel- Software unter der Haube sicher und betriebsbereit sind und bedenkenlos in den Handel kommen können. Sie sind nur schmutziger als der Gesetzgeber erlaubt und werden deshalb 2016 zurückgerufen. Wie der potenzielle VW-Kunde feststellen könne, welches Modell sauber und welches manipuliert sei, fragen wir. Der Computer, der den Bestand des Autohauses verwaltet, gibt Aufschluss: Selbst VW-Modelle des Jahrgangs 2015, nur wenige Monate alt und mit Euro 5-Abgasnorm, finden sich unter den Manipulierten.
Auch Audi verkauft weiterhin Dieselfahrzeuge
Das ist bei Audi nicht anders. In einem Autohaus der VW-Tochter gibt man sich ebenfalls vom Betrugsskandal unbeirrt. „Das Diesel-Thema läuft“, sagt ein Verkäufer. „Die Software-Updates stehen bereit, wir wurden eingewiesen.“ Einen Rabatt für einen Audi mit Schummel-Software will er nicht anbieten. „Keine Chance, das Thema ist schon eingepreist.“ So locker freilich, wie die Berliner VW- und Audi-Verkaufsberater es darstellen, setzt der Autokonzern seine Modelle nicht mehr ab. Schon gar nicht Neuwagen. Der Vertrauensschaden nach dem Diesel-Skandal zeigt sich in der Absatzstatistik. „Der Vergleich mit dem Markt bringt es ans Licht“, sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer vom Duisburger Car-Institut. So legten die deutschen Neuzulassungen im Oktober und November insgesamt um 1,1 und 8,9 Prozent zu – Marktführer VW verkaufte hingegen 0,7 Prozent beziehungsweise zwei Prozent weniger. Verglichen mit den Erschütterungen in den USA oder Großbritannien, wo die Verkäufe einbrachen, ist das ein moderater Rückgang. Aber in Deutschland ist die Krise womöglich an den Zahlen noch gar nicht abzulesen, weil zwischen Kauf und Auslieferung eines Neuwagens hierzulande mitunter mehrere Monate vergehen können.
Bei gebrauchten Diesel-Autos geben die Hersteller häufig Rabatt
Bei den gebrauchten Dieseln, die den manipulierten EA189-Motor haben, bieten VW und Audi einen versteckten Rabatt: Für einen VW mit dem illegal veränderten Motor legt der Hersteller einen kostenlosen „Service-Management-Vertrag“ dazu, für 36 Monate (Audi: 24 Monate) und eine Laufleistung von maximal 20 000 Kilometern. „Das ist ein geldwerter Vorteil von rund 30 Euro im Monat“, sagt der VW-Verkäufer. Hinzu komme eine kostenfrei auf fünf Jahre verlängerte Herstellergarantie. Das sind kleine Geschenke, die eine große Angst vertreiben sollen – vor nachhaltigen Absatzeinbrüchen bei Diesel-Autos, die einen Marktanteil in Deutschland und in Europa von 50 Prozent haben. Aber VW muss nicht nur um den Diesel fürchten. Vor allem bei Neuwagen, auch Benzinern, hat das Unternehmen zuletzt kräftig beim Verkauf nachgeholfen: Im November gab es für die Modelle VW up, VW Polo und VW Golf besonders hohe Rabatte. „Zwei Jahre VW up leasen kostet weniger als ein iPhone 6“, sagt Dudenhöffer.
Der Dezember ist ein schwacher Verkaufsmonat
„Der Dezember ist immer schwach“, erklärt der VW-Verkäufer in Berlin. „Niemand legt sich ein Auto unter den Weihnachtsbaum.“ Im Gespräch wird nach einer Weile deutlich, dass die passablen Verkaufszahlen in diesem Herbst die schlechte Stimmung an der VW-Basis im Autohaus nicht vertreiben. Vor allem die Informationspolitik der Wolfsburger Zentrale lässt offenbar zu wünschen übrig. „Wir erfahren mehr aus der Zeitung als vom Unternehmen selbst“, gibt der Verkäufer zu. „Wenn wir alles wüssten, was wir wissen müssten, könnten wir manchem Kunden die Unsicherheit nehmen.“ Auch das zögerliche Eingeständnis der Audi-Führung, dass selbst der Premiumhersteller an der Motorensteuerung herumgetrickst hat, sorgt für Unverständnis. „Da war ich schon sauer“, sagt der VW-Mitarbeiter. Als Ende September „Dieselgate“ aufflog habe er sich als Volkswagen-Beschäftigter „fremdgeschämt“.
In Wolfsburg herrscht inzwischen ein neuer, selbstkritischer Ton
Inzwischen herrscht in Wolfsburg ein neuer, selbstkritischer Ton, Ex-Porsche- Chef Matthias Müller will nicht mehr wie sein Vorgänger Martin Winterkorn jede Schraube kontrollieren und hat Schlüsselpositionen neu besetzt. Doch dieser Umbau der Konzernspitze sorgt auch für Unruhe. Der neue Vertriebs- und Marketing-Vorstand der Marke VW, Jürgen Stackmann, und der in dieser Woche eingesetzte neue Konzern-Vertriebschef, Fred Kappler, sortieren sich erst noch. Erwartet wird, dass die neue VW-Politik auch in den Autohäusern Spuren hinterlässt. Angeblich ist gemeinsam mit dem Autoverband eine große Imagekampagne für die in Verruf geratene Diesel-Technologie geplant – womöglich mit weiteren Geschenken für die verprellten Kunden.
VW hat die Gewährleistungsfrist um ein Jahr verlängert
„Es ist ein wenig ungerecht, dass nur Neukunden zusätzlich profitieren sollen“, sagt der VW-Verkäufer. Immerhin teilte das Unternehmen in dieser Woche mit, dass vom Abgas-Skandal betroffene VW-Kunden jetzt bis mindestens Ende 2017 Ansprüche auf Gewährleistung stellen können. Damit verlängert Volkswagen die Frist um ein Jahr – bislang war sie bis Ende 2016 gesetzt.