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Das ideale Team. Verschiedene Kulturen, verschiedene Altersgruppen, so kommen viele Sichtweisen zusammen.
© Azman Jaka/Getty Images

Wirtschaft: Vielfalt auf dem Amt

Jeder dritte Berliner hat einen Migrationshintergrund, im öffentlichen Dienst spiegelt sich das kaum wider. Der Innensenatsreferent Orkan Özdemir ist einer von denen, die das ändern wollen.

Dieser Job ist eine Mission, sagt Orkan Özdemir. Der 37-Jährige arbeitet als Grundsatzreferent für interkulturelle Angelegenheiten im Innensenat des Landes Berlin. Seit 2017 vermittelt er hier zwischen seinem Chef, Innensenator Andreas Geisel, und den verschiedenen ethnischen und religiösen Communities Berlins. Özdemir, gebürtiger Berliner, hat Politikwissenschaften studiert, vor seiner Stelle im Innensenat leitete er die Politikabteilung von BQN, einer Stiftung, die sich für Chancengleichheit und kulturelle Teilhabe für alle einsetzt. Eine tolle Stelle sei das gewesen, sagt Özdemir. Als ihm der Innensenator den Referentenjob anbot, nahm er trotzdem gerne an. „Hier kann ich mehr verändern“, sagt Özdemir.

Er selbst bezeichnet sich als „Person of Color“, als Menschen, der aufgrund äußerer Merkmale rassistische Diskriminierung erlebt. Personen wie er sind in der Berliner Verwaltung unterrepräsentiert.

Unter den Führungskräften, die sich 2018 für die bisher größte Studie zur Vielfalt in Berliner Behörden befragen ließen, ordneten sich 97 Prozent selbst als weiß ein, elf Prozent von ihnen hatten einen Migrationshintergrund. Von den Stadtbewohnern hat dagegen ein gutes Drittel einen Migrationshintergrund, bei den Minderjährigen sind es fast die Hälfte. „Die öffentliche Verwaltung sollte auch die Bevölkerung insgesamt spiegeln“, sagt Özdemir. „In Berlin muss man leider sagen: Das tut sie noch nicht.“

Da denkt niemand daran, in den öffentlichen Dienst zu gehen

Ein akutes Problem sei, dass es der Verwaltung nicht gelinge, Zugänge zu schaffen für Bewerberinnen und Bewerber mit familiärer Einwanderungsgeschichte, meint Özdemir. Viele Beschäftigte gehen in nächster Zeit in Rente. Neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Bezirk, Land und Bund würden dringend gesucht. Die Hälfte der potenziellen Bewerber zwischen 16 und 21 Jahren habe die „familiäre Einwanderungsgeschichte“. Das zu vernachlässigen, könne sich Berlin schlicht nicht mehr leisten, sagt Özdemir.

Die Politik versucht gegenzusteuern. „Wir bemühen uns schon lange, Diversity-Maßnahmen in der Verwaltung umzusetzen“, sagt Sonja Dudek, Leiterin des Fachbereichs Diversity in der Berliner Landesantidiskriminierungsstelle. „Oft waren die Versuche aber unverbindlich und eher punktuell.“

2016 beschloss die rot-rot-grüne Koalition deshalb, die Bemühungen in einer neuen Gesamtstrategie zusammenzufassen. Im Folgejahr etablierte ein Senatsbeschluss das „Landesprogramm Diversity“. Seitdem hat Dudeks Abteilung Workshops für Führungskräfte der Senatsverwaltungen und Bezirke organisiert. „Wir haben diskutiert und manchmal auch gestritten, wie ein neues Leitbild für eine diversere Verwaltung aussehen könnte“, berichtet Dudek. Neben viel positiver Rückmeldung habe es auch immer wieder Kollegen gegeben, die die Relevanz des Themas nicht sehen konnten oder wollten. „Wir reden natürlich mit allen“, sagt Dudek, „konzentrieren uns aber auf die Kolleginnen und Kollegen, die gerne etwas verändern würden.“ Auch ist derzeit eine Novellierung des Partizipations- und Integrationsgesetzes in Arbeit. Sie soll das Gesetz von 2010 mit stärkeren Maßnahmen auf Landes- und Bezirksebene für gleichberechtigte Teilhabe versehen.

Orkan Özdemir engagiert sich in Mentorenprogrammen, die junge People of Color oder Kinder mit Migrationshintergrund unterstützen. „Da denkt von sich aus fast niemand daran, in den öffentlichen Dienst zu gehen“, sagt er. Das läge auch daran, dass sie häufig schon Diskriminierung von öffentlichen Stellen erfahren hätten. Nähe zu staatlichen Institutionen fördere das nicht.

Aber auch der Karriereeinstieg in den Staatsdienst berge Hindernisse. „Ich höre immer wieder das Argument, dass Qualifikation der ausschlaggebende Faktor sein sollte – und nicht Herkunft“, sagt Özdemir. „Aber warum ist es keine Qualifikation, wenn ich in einer Stadt mit hunderten Sprachen und Kulturen auch anders mit den Menschen kommunizieren kann, als in perfektem Hochdeutsch.“ Polizeibeamtinnen und Beamte mit familiärer Einwanderungsgeschichte zum Beispiel verstünden die Probleme ihrer Communities und der Milieus aus denen sie ursprünglich kommen am besten. „Für mich ist das etwas Positives“, betont er.

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Drei Jahre arbeitet Orkan Özdemir im Leitungsbereich der Senatsinnenverwaltung. Die große Mehrheit seiner Kolleginnen und Kollegen verhielten sich anständig, aber es gebe wie überall im Alltag unschöne Situationen. Das fange bei pauschalisierenden Aussagen an und ende bei dem ein oder anderen unbedachten Witz. Es sei die mangelnde Sensibilität vieler, die diversen Menschen das Leben in einer größtenteils weißen Umgebung erschwere. Er selbst kommuniziert es, wenn er sich verletzt fühlt und bietet an, das Problem an scheinbar harmlosen Aussagen zu erklären. Das funktioniere meistens. „Mir ist bewusst, dass viele verletzende Aussagen nicht böse gemeint sind.“ Das sei jedoch keine Entschuldigung. „Wir sind trotz allem auf einem guten Weg“ , sagt Özdemir. Zuletzt seien deutlich mehr Referentenposten mit People of Color besetzt worden. Er betont aber: „Punktuelle Verbesserungen reichen nicht.“ Das Problem müsse strukturell angegangen werden. Die Novellierung des Partizipations- und Integrationsgesetzes begrüßt er deshalb sehr.

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