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Diversity ist gut, aber kein Allheilmittel. Hier ein Archivbild vom Karneval der Kulturen in Berlin.
© Jörg Carstensen/dpa

Die Grenzen des politisch Korrekten: Mehr Diversität bedeutet nicht mehr Gerechtigkeit

Wird alles besser, wenn Betriebe vielfältiger sind? Für echte Chancengerechtigkeit braucht es bessere Bildung für alle. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Caroline Fetscher

Alles will der sozial engagierte Verein im Ruhrgebiet richtig machen. Möglichst fair soll die neue Stelle im Fundraising besetzt werden. Die Runde saß beisammen und stellte fest: Bewerbungen beeinflussen uns, ohne dass wir das wollen. Alter, Name, Abschluss, Noten, Wohnort – all das trübt die Objektivität.

Und erst der Eindruck vom Foto: Ist jemand weiblich oder männlich, rundlich oder hager, dunkel oder hell, gepflegt oder lässig? Wirkt ein Gesicht vergnügt oder verdrießlich, munter oder mürrisch, forsch oder scheu, wach oder weg?

Beschlossen wurde ein anonymisiertes Verfahren: Elektronische Bewerbungen ohne Passbild, verschlüsselt werden Name, Adresse, Geburtsdatum und andere Details, die Neutralität kontaminieren. Aber – Moment! Unser Verein will ja mehr Diversität, People of Colour, Lesben, Schwule!

Wie können Verfahren maximal anonym sein und zugleich die Erwünschten herausfiltern? Irgendwer muss also Klardaten sichten, um eine Vorauswahl zu treffen, die dann für die Personalabteilung erneut anonymisiert wird. Macht haben da zunächst die Vorauswahltreffenden. Mit anderen im Verein dürfen sie kein Wort über ihre Kenntnisse wechseln – und bei den Bewerbungen natürlich nicht ihre Cousine bevorzugen.

Diversity gewinnt in Unternehmen an Bedeutung

Immer mehr Institutionen und Betriebe fahnden nach Pfaden zu mehr Diversität. Auch Großkonzerne und der Aktienhandel wollen neuerdings dagegen angehen, dass weiße, mittelalte Männer ihre Branchen prägen. Für eine Umfrage wurden hundert Asset-Manager, etwa bei der Invest in Visions GmbH oder bei J.P. Morgan, nach ihren Strategien gefragt.

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Wie wichtig „Inklusion und Diversität (I&D)“ für die „Wertentwicklung von Unternehmen“ seien, erklärt die BlackRock-Tochter iShares ihrer Klientel: „I&D gewinnt bei BlackRock zunehmend an Bedeutung, sowohl unternehmensintern als auch mit Blick auf unsere Anlagelösungen.

Diskriminierung und Rassismus existieren und sind inakzeptabel. Mehr Vielfalt ist in jeder Gesellschaft begrüßenswert, mehr Inklusion ist demokratischer, lebendiger, fairer und freundlicher. Doch zu mehr Gerechtigkeit führt sie nicht von allein. Dazu braucht es noch größere Ansätze.

Eine lesbische AFD-Politikerin bleibt eine reaktionäre Politikerin

Wenn es unter den drei Prozent der Reichsten im Fondsgeschäft mehr Frauen oder Schwule oder Schwarze gibt, ändert sich im Kern wenig. Drei Prozent bleiben drei Prozent, fragwürdige Anlagen bleiben fragwürdige Anlagen, Vermögen bleiben obszön ungerecht verteilt. Auch eine lesbische AfD-Politikerin bleibt übrigens eine reaktionäre Politikerin.

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Ja, die Gruppe der Privilegierten wird gesprenkelter. Größere Chancengerechtigkeit aber entsteht vor allem durch Milliarden für bessere Bildung, oder, etwa in den USA, auch für ein besseres Gesundheitssystem.

Wie herabsetzend das selbstkritische Beklagen „Weißer Schuld“ durch Weiße wirken kann, beschreibt der schwarze US-Professor John McWhorter in seiner Kritik am aktuellen Bestseller „White Fragility“ der weißen Diversity-Trainerin Robin DiAngelo. In dem Buch erklärt sie, dass sie von Weißen Selbstbezichtigung als Rassisten erwartet.

Anders als 1920 bräuchte es 2020, so McWhorter, keine Belehrung darüber, wie Weiße mit Emotionen von Schwarzen umgehen sollten. Gerechtigkeit erfordert massive und wirksame Investitionen der Gesamtgesellschaft, für alle.

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