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Ein Arbeiter steht auf einer Baustelle im Berliner Hansaviertel. Die Auftragsbücher der Bauunternehmen sind prall gefüllt. Doch auch im Bauhandwerk fehlen zunehmend Fachkräfte.
© Arne Immanuel Bänsch/dpa

Zuwanderung nach Deutschland: Unternehmen suchen verzweifelt Fachkräfte, doch kaum welche werden kommen

Vom Handwerker bis zum Pfleger: Deutschland braucht mehr Fachkräfte. Ein Gesetz soll ihren Zuzug erleichtern. Aber es hilft nicht viel.

Das Problem ist schon da, bevor das Vorhaben überhaupt beginnt: Deutsche Unternehmen brauchen indische IT-Experten. Dringend. Doch beim deutschen Generalkonsulat in Bangalore müssen sie drei bis fünf Monate warten, um ein Visum zu beantragen.

Kliniken hoffen im ganzen Land auf Pflegerinnen aus zum Beispiel dem Kosovo oder Serbien, aber das Dilemma ist das Gleiche. In Belgrad liegt die Wartezeit bei acht bis zwölf Monaten. An alldem wird auch jenes Gesetz so schnell nichts ändern, das Fachkräften den Weg hierher leichter machen soll.

Wer außerhalb der Europäischen Union lebt, beruflich qualifiziert ist und gut Deutsch spricht, soll auch ohne Arbeitsvertrag kommen und ein halbes Jahr lang einen Job suchen können. Das war bislang nur für Akademiker möglich.

Betriebe klagen immer lauter über Fachkräftemangel

Die Beschränkung auf sogenannte Engpassberufe, in denen die Personalnot besonders groß ist, entfällt. So wie auch die Vorrangprüfung. Eine Fachkraft darf also kommen, ohne dass erst geprüft wird, ob der Arbeitsplatz nicht auch mit einem Bewerber aus Deutschland oder der EU besetzt werden kann.

Hintergrund ist, dass deutsche Betriebe immer lauter klagen, keine Mitarbeiter mehr zu finden. Zwischen Mai 2018 und April 2019 hat es nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit im Schnitt 118 Tage gedauert, eine offene Stelle zu besetzen. Das seien elf Tage mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres gewesen. Es fehlen Ingenieurinnen, Handwerker, Pfleger. Überall.

Um das Gesetz zur Einwanderung von Fachkräften wurde monatelang gerungen. Die Unternehmen drängten. Nun ist es beschlossen. Aber wird es tatsächlich leisten, was die Wirtschaft erwartet?

Die deutsche Strenge gilt auch weiterhin

Daniel Terzenbach ist seit vier Monaten Vorstandsmitglied der Arbeitsagentur und soll sich unter anderem um „die Fachkräftesicherung im Kontext von Zuwanderung“ kümmern. Aus seiner Sicht sind Erleichterungen geschaffen worden: Eine neue Servicestelle seiner Behörde soll die Menschen künftig schon im Ausland über das Prozedere in Deutschland beraten und unterstützen.

Außerdem soll es Partnerschaftsabkommen geben. „Sollen in einem Land, mit dem wir so ein Abkommen abschließen, Mechatroniker gewonnen werden, aber sie haben keine duale Ausbildung nach deutschem Standard gemacht, können sie künftig trotzdem hier arbeiten und in drei Jahren nachholen, was fehlt“, sagte er dem Tagesspiegel.

Die deutsche Strenge gilt weiterhin. Jemand muss sich auf Deutsch recht gut verständigen können. Was er gelernt hat, muss mit der deutschen Qualifikation vergleichbar sein. Nur gibt es das deutsche Ausbildungssystem in seiner Form nirgends sonst – und die Gleichwertigkeit der Abschlüsse prüfen noch 1500 verschiedene Stellen in Deutschland. Mit nicht unerheblichen Folgen.

„Bei der Gewinnung mexikanischer Fachkräfte für die Altenpflege ist es vorgekommen, dass Bremen ihnen von einem vierjährigen Studium nur 30 Prozent anerkannt habe, Hessen dagegen 90 Prozent“, sagt Terzenbach. Künftig soll es in jedem Bundesland eine zentrale Ausländerbehörde geben.

„Die Anerkennung wird nicht liberaler“

„Eine zusätzliche Behörde im System heißt aber auch mehr Möglichkeiten, sich falsch zu verstehen oder dass eine Akte liegen bleibt“, kritisiert Marius Tollenaere. Er ist Rechtsanwalt bei der auf Wirtschaftsmigrationsrecht spezialisierten Kanzlei Fragomen Global LLP und glaubt nicht, dass der bürokratische Aufwand stark reduziert wird.

„Die Verfahren werden vielleicht schneller, die Anerkennung aber nicht liberaler“, bemängelt er außerdem. Hebammen aus Australien haben studiert und verfügen in der Regel über einen Masterabschluss. „Hatten sie aber nicht das Thema Hausgeburt, müssen sie dennoch umfangreich auf Ausbildungsniveau nachqualifizieren, was Jahre dauern kann“, sagt Tollenaere.

Ein weiteres Problem sei aus seiner Sicht, dass es keine elektronische Aktenübermittlung gebe: „Ein Element in einem Antrag zu prüfen, dauert Minuten, aber der Aktentransport dauert sechs, acht, zwölf Wochen.“ Die Dokumente könnten von Berlin nach Frankfurt zwei Monate unterwegs sein, wenn in einer Behörde viel zu tun sei. Das Gesetz sei deswegen ein „tolles Vorhaben“, öffne hier und da eine zusätzliche Pforte, aber es ändere die Zuwanderung nicht völlig.

Gewerkschaft warnt vor kriminellen Praktiken

Vor Kurzem hatte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung berechnet, dass bis 2060 jedes Jahr 260.000 Menschen nach Deutschland einwandern müssten, um den Fachkräftebedarf zu decken. Die Bundesregierung hofft, dass durch das Einwanderungsgesetz zumindest 25.000 Menschen im Jahr kommen werden.

Experten halten das für unwahrscheinlich. „Das Gesetz ist ein richtiger Schritt, aber es werden dadurch nicht Zehntausende von Fachkräften kommen“, sagt Terzenbach. Grund seien die hohen sprachlichen und fachlichen Anforderungen. „Wir brauchen aber auch weiterhin unseren hohen Ausbildungsstandard, um wirtschaftlich mitzuhalten.“

Im nächsten Schritt sollten nach Ansicht Terzenbachs Infokampagnen in anderen Ländern organisiert werden, zugeschnitten auf die jeweilige Kultur und die Berufsgruppen, die dringend gebraucht werden. „Kennt niemand das Gesetz, bringt es nichts. Eine Homepage reicht da nicht aus“, sagt er. Diese Kampagnen müssten unter Federführung der Bundesregierung vorbereitet werden.

Was auf keinen Fall geschehen soll: Dass die Fachkräfte aus dem Ausland zur Belastung werden. Sie müssen deswegen nachweisen, für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen zu können. Wer mindestens 45 Jahre alt ist, muss mehr als 3700 Euro im Monat verdienen oder bereits eine Altersvorsorge aufgebaut haben, damit er später, im Ruhestand, nicht in die Grundsicherung rutscht.

Die Aufenthaltserlaubnis gilt außerdem zunächst für vier Jahre. Danach können die Zuwanderer eine unbefristete Erlaubnis bekommen, falls sie noch einen Job haben und 48 Monate in die Rente eingezahlt haben. Sie dürfen streng genommen keinen einzigen Monat ohne Job gewesen sein. Was einen Wechsel des Unternehmens schwer macht.

Die Gewerkschaften kritisieren das Gesetz deshalb harsch. „Wenn eine Fachkraft aufgrund von miserablen Arbeitsbedingungen kündigt oder gekündigt wird, ist sie allein vom guten Willen der Ausländerbehörde abhängig“, sagt Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Das öffne „Tür und Tor für kriminelle Praktiken wie Lohn- und Sozialdumping“, befürchtet die Gewerkschafterin.

Marie Rövekamp

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