50 Jahre Bankomat: Überall und jederzeit
Als vor fünfzig Jahren der erste Geldautomat vorgestellt wurde, war er vielen suspekt. Heute gehört er zum Alltag - aber wie lange noch?
Die Idee seines Lebens kommt John Shepherd-Barron an einem Samstagabend in der Badewanne. Ein paar Stunden zuvor war er zur Bank geeilt, um einen Scheck in Bargeld zu wechseln – doch die Filiale hatte bereits geschlossen. Abends in der Badewanne fragt er sich daher: Warum kann man selbst Schokoriegel am Automaten ziehen, bekommt Bargeld aber nur am Bankschalter? Was man bräuchte, denkt Shepherd-Barron, wäre ein Geldautomat.
Heute klingt das banal, in den sechziger Jahren ist es eine Innovation. Bei einem Pink Gin überzeugt der Schotte, der damals als Entwickler bei einem Hersteller für Banknoten arbeitet, den Chef der Barclays Bank von seiner Idee. Zwei Jahre später stellt das Institut in Enfield Town im Norden von London tatsächlich den ersten Geldautomaten auf. Schwarz-Weiß-Fotos zeigen, wie Schauspieler Reg Varney als erster Kunde das Gerät bedient, Scheine aus einem Schubfach holt und sie in die Kamera hält. Angeblich hat die Bank an diesem Tag sicherheitshalber noch einen Mitarbeiter hinter dem Automaten postiert, damit der die Geldscheine notfalls durchschiebt, sollte das Gerät im entscheidenden Moment versagen. Ganz geheuer ist den Bankern die neue Technik damals, im Juni 1967, wohl noch nicht.
60.000 Automaten gibt es inzwischen in Deutschland
Fünfzig Jahre später ist der Geldautomat dagegen aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. 3,2 Millionen Geräte haben die Banken inzwischen weltweit aufgestellt. Mit Ausnahme von Nordkorea gibt es kaum ein Land, in dem man heute keinen Geldautomaten hat. In Deutschland können Verbraucher mittlerweile an 60.000 Geräten Bargeld ziehen.
Vieles hat das verändert: Menschen müssen sich nicht mehr für Bargeld in der Filiale in die Schlange stellen, sind nicht mehr an die Öffnungszeiten gebunden. Auch für die Banken selbst ist der Automat ein Segen. Sie müssen weniger Mitarbeiter abstellen, die Geld auszahlen, auch brauchen sie längst nicht mehr an jeder Straßenecke eine Filiale mit Kassenhäuschen.
Die ersten Geräte haben nur wenige Kunden genutzt
Dabei war es in den sechziger Jahren längst nicht klar, dass sich die Erfindung von Shepherd-Barron durchsetzt. Bereits vor ihm hat es Versuche gegeben, so etwas wie einen Geldautomaten einzuführen. Seiner Zeit voraus war zum Beispiel der amerikanische Erfinder Luther George Simjian, der 1959 einen „Bankographen“ patentieren ließ. Das Gerät sah dem heutigen Geldautomaten bereits erstaunlich ähnlich – auch wenn es noch kein Geld ausgeben konnte. Stattdessen sollten Kunden am Bankographen jederzeit Schecks einwerfen können: Die Maschine fotografierte sie ab und spuckte einen Beleg aus. Genutzt wurde dieser Automat allerdings kaum. Simjian schrieb später frustriert: „Es scheint, dass die einzigen Leute, die diese Maschinen benutzten, eine kleine Anzahl von Prostituierten und Glücksspielern waren, die sich nicht dem Kassierer zu erkennen geben wollten.“
Auch der Automat, den Shepherd-Barron erfunden hat, wurde nicht über Nacht zum Wundergerät, das alle benutzen wollten. Das lag vermutlich auch daran, dass die Technik noch lange nicht ausgereift war. Damit dieser erste Geldautomat die Informationen der Schecks auslesen konnte, wurden die mit einem leicht radioaktiven Stoff überzogen. Auch bekamen Kunden auf diese Weise anfangs maximal zehn Pfund ausgezahlt. Der erste deutsche Geldautomat, den die Kreissparkasse Tübingen ein Jahr später aufstellte, funktionierte zwar bereits mit einer Art Lochkarte. Nutzen durften ihn aber nur ausgewählte Kunden, die noch dazu einen Safeschlüssel brauchten, um an das Geld zu kommen.
Der Geldautomat waren vielen lange suspekt
Und das war nicht die einzige Hürde. Viele Kunden trauten den ersten Geräten schlichtweg nicht. In den USA haben sich die Banken in den siebziger Jahren deshalb einiges einfallen lassen, um sie zur Nutzung der Geräte zu bewegen. Manche verteilten Gutscheine für Eis oder Hamburger vor dem Automaten. Andere zahlten Mitarbeitern eine Provision, wenn es ihnen gelang, Verbraucher von der automatischen Geldausgabe zu überzeugen. Eine Bank aus Florida versuchte gar, die Automaten zu personalisieren und gab ihnen den Namen „Miss X“.
Auch die Deutschen waren lange misstrauisch. „Seinen Durchbruch hatte der Geldautomat erst in den achtziger Jahren“, sagt Thorsten Wehber, der das Sparkassenarchiv leitet. Noch 1982 gab es deutschlandweit gerade einmal 100 Geldautomaten. Erst mit Einführung des Magnetstreifens stieg ihre Zahl rasant an. Die EC-Karte hatte man bis dahin nur als Ausweis gebraucht, um Schecks ausstellen zu können. Durch den Magnetstreifen auf der Karte wurde es dann aber auf einmal sehr viel bequemer und sicherer, Geld am Automaten abzuheben.
Braucht man die Geräte auch in Zukunft noch?
All das ist heute Geschichte. Inzwischen fragt sich niemand mehr, ob er sich trauen kann, den Geldautomaten zu benutzen. Viel eher fragt man sich, ob es den Geldautomaten in Zukunft noch geben wird. Schließlich kann man Bargeld längst auch an der Supermarktkasse abheben. Gleichzeitig zahlen Verbraucher in Ländern wie Schweden bereits fast nur noch per Smartphone oder Karte – und verschwinden die Scheine, braucht man auch keinen Geldautomaten mehr.
Uwe Krause kennt diese Argumente, bleibt aber entspannt. „Die Girokarte wird vielleicht aussterben“, sagt er, „der Geldautomat so schnell aber nicht.“ Krause muss das sagen, schließlich arbeitet er für einen der größten Hersteller von Geldautomaten, Diebold Nixdorf. Gleichzeitig hat er aber auch gute Gründe, an die Zukunft der Geräte zu glauben. Allen Diskussionen über die Abschaffung des Bargelds zum Trotz werden noch immer 85 Prozent aller Transaktionen in bar bezahlt. Hinzu kommt, dass die Automaten schlauer werden. Theoretisch können sie schon heute sehr viel mehr als nur Geld auszuzahlen. In Spanien ist es zum Beispiel schon lange üblich, dass man auch Tickets für U-Bahn oder Fußballstadion am Geldautomaten kauft. Auch nehmen die Geräte den Filialmitarbeitern dort sehr viel mehr Arbeit ab als hierzulande. So kann man in Spanien zum Beispiel sein Sparbuch am Automaten einlesen lassen und so Geld davon abheben oder darauf einzahlen.
Künftig soll der Geldautomat mehr können als Geld ausgeben
Auch in Deutschland könnte es in diese Richtung gehen. „Der Geldautomat dürfte stärker zum Multifunktionsgerät werden“, sagt Tamara Stepczynski. Sie sitzt beim Sparkassen- und Giroverband (DSGV) in einer Projektgruppe, die derzeit untersucht, wie die Sparkassen ihren SB-Bereich besser nutzen können. Vorstellen kann sich Stepczynski theoretisch viel. Sei es, dass man am Automaten ein Konto eröffnet, Gutscheine kauft oder einen Kredit abschließt. „Langfristig wollen wir unsere Dienstleistungen über alle Medien anbieten“, sagt sie. Alle Medien heißt: in der Filiale, online – und am Automaten.
Dem Gerät mehr Arbeit zu überlassen, ist aus Sicht der Banken nicht nur ein Service für den Kunden, sondern auch eine finanzielle Notwendigkeit. Fast alle Institute, selbst die Sparkassen und Volksbanken, schließen derzeit Filialen. Niedrige Zinsen und weniger Kunden, die sich vor Ort beraten lassen, machen das Geschäft schwerer – intelligente Automaten, die Mitarbeiter ersetzen, leichter.
Am Ende kommt es darauf an, wie die Kunden reagieren
Dabei bleibt aber die Frage: Was wollen die Kunden am Automaten erledigen, was nicht? Die Commerzbank hat das einige Monate in Berlin erprobt und in der Filiale am Ku’damm eine Videokasse installiert. An der konnte man sich statt per Karte auch mit Unterschrift ausweisen, Geld zugunsten Dritter einzahlen oder über Videotelefonie einfache Fragen mit einem Bankmitarbeiter klären. Durchgesetzt hat sich das aber nicht. Für den neuen Automaten hat die Commerzbank zwar einen Innovationspreis gewonnen, genutzt haben die Kunden ihn dagegen kaum.
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