Psychologie des Geldes: "Die Menschen hängen am Bargeld"
Claudia Hammond hat herausgefunden: Was geht in uns vor, wenn wir das Portemonnaie öffnen? Von Hamster-Typen, Pfennigfuchsern und Cash-Splashern.
Frau Hammond, Sie haben zwei Jahre für Ihre „Psychologie des Geldes“ recherchiert, 250 Studien ausgewertet. Hat sich Ihr Verhältnis zum Geld dadurch verändert?
Schon, beispielsweise kaufe ich heute nicht mehr im mittleren Preissegment.
War Ihr Buchvertrag so gut dotiert?
Ich nehme jetzt oft das billigste Produkt. Durch meine Recherche ist mir bewusst geworden, dass Händler die teuersten Modelle nur ausstellen, weil das den zweitteuersten den Anschein gibt, als gehörten sie zur mittleren Preisklasse. Unzählige Untersuchungen beweisen, dass viele Kaufentscheidungen auf dem sogenannten Kompromisseffekt basieren. Es hat sich ja oft im Leben als vernünftig erwiesen, Extreme zu vermeiden, den Mittelweg zu wählen. Geschäftsleute machen sich das zunutze, sie stellen das extrawattierte Toilettenpapier und den besonders ausgefeilten Computer nur ins Regal, um zu verhindern, dass die Leute zum billigsten Produkt greifen.
Welche Richtung der Psychologie verfolgen Sie? Keine Psychoanalyse…
…nein. Mir geht es um beweisbare Ergebnisse aus wissenschaftlichen Studien.
Am meisten hat mich die Untersuchung überrascht, bei der Tresenkräfte ihr Trinkgeld um 150 Prozent steigerten, angeblich, indem sie die Gäste zuvor angefasst hatten…
…nur leicht am Oberarm berührt. Zwei französische Psychologen haben den Effekt in einer Bar in der bretonischen Küstenstadt Vannes beobachtet.
In Deutschland gilt Körperkontakt mit Fremden als aufdringlich. Ist dieser Trick vielleicht nur in Frankreich anwendbar?
Das Experiment wurde in England wiederholt, und es funktionierte auch dort. In einer anderen Studie brachten Kellner die Rechnung auf herzförmigen Tellern, auch ihnen haben die Gäste mehr Trinkgeld gegeben. Wir halten uns alle für sehr vernünftig in Gelddingen, und doch sind wir unterschwellig stark beeinflussbar.
Der deutsche Soziologe Georg Simmel schrieb bereits vor über 100 Jahren „Zur Psychologie des Geldes“. Geld, heißt es darin, trete an die Stelle von Gott. „Das Gefühl von Ruhe und Sicherheit, das der Besitz von Geld im Gegensatz zu allem sonstigen Besitz gewährt, entspricht psychologisch demjenigen, welches der Fromme in seinem Gott findet.“ Was hat sich seitdem verändert?
Geld nimmt einen immer zentraleren Platz in der Gesellschaft ein, das bedingt der Kapitalismus. Drei Viertel der amerikanischen Studenten sagten in einer Umfrage, dass es ihnen sehr wichtig sei, finanziellen Wohlstand zu erreichen. Doppelt so viele wie 30 Jahre zuvor.
Beim Zustand des amerikanischen Sozialsystems ist das verständlich. Warum übt Geld darüber hinaus so eine große Faszination aus?
Geld aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn genauso wie Drogen oder Süßigkeiten. Der Neurotransmitter Dopamin wird ausgeschüttet. Das Besondere am Geld ist, dass das Glückshormon bereits freigesetzt wird, wenn ein Betrag auch nur in Aussicht gestellt wird. Bekommt jemand für einen späteren Zeitpunkt Schokolade versprochen, hat das nicht denselben Effekt.
Was fasziniert Sie persönlich am Geld?
Geld als solches begeistert mich nicht besonders. Mich fasziniert das psychologische Konstrukt. Ein Geldschein ist ja im Grunde nur ein Stück Papier – ohne eigenen Wert, wie ihn zum Beispiel Edelmetalle haben. Doch der Schein ist ein Versprechen, dass ihn jemand gegen etwas eintauschen kann, und das Versprechen funktioniert, weil wir alle daran glauben. Ich habe gerade einen Inlandsflug in Vietnam gebucht. Da muss ich in ein paar Wochen beruflich hin. Ich kann annehmen, dass das Flugzeug da steht, dass es abhebt und die Besatzung bezahlt wird. Geld ist die Kommerzialisierung von Vertrauen.
Sie schreiben in Ihrem Buch über Experimente, bei denen den Versuchspersonen Geldbündel nur gezeigt wurden, und prompt veränderten sie sich. In der Regel wurden sie fieser.
Ja, Priming-Versuche. Eine gängige Methode der Psychologie. Durch einen Schlüsselreiz, hier das Geldbündel, werden Gedächtnisinhalte aktiviert, die das Verhalten beeinflussen. In einer Studie musste beispielsweise ein Teil der Probanden Geld zählen, eine anderer Teil nicht. Ein Mitarbeiter war instruiert worden, anschließend einen Stift fallen zu lassen, und die Versuchsleiter haben geguckt, wer ihn aufhebt. Dabei kam heraus: Menschen sind weniger hilfsbereit, wenn sie vorher Geld gezählt haben.
"Ob Boni wirklich wirken, ist wissenschaftlich nicht belegt"
Spielgeld verdirbt den Charakter. So richtig glaubwürdig klingt das nicht.
Es handelt sich um Forschung nach wissenschaftlichen Standards. Häufig zeigte sich, dass sich die Bewertungsmaßstäbe änderten, sobald Geld ins Spiel kam. Wenn das Denken geschäftlich ausgerichtet wird, werden anschließend Entscheidungen weniger nach ihrer moralischen Vertretbarkeit gefällt, sondern eher in Hinblick auf ihren wirtschaftlichen Vorteil.
Wie wirksam ist Geld als Motivationshilfe?
Geld nimmt die intrinsische Motivation weg, die Freude an der Sache. Wenn eine Aufgabe gar keinen Spaß machen kann und zudem kurzfristig ist, kann ein finanzieller Anreiz durchaus sinnvoll sein. So könnte man Kinder dazu zu bringen, das Einmaleins zu lernen. Da müssen sie einmal durch, und anschließend können sie es ein Leben lang.
Kinder für Schulleistungen bezahlen – ist das nicht Pädagogik von vorgestern?
Vor zehn Jahren startete ein Harvard-Ökonom ein Projekt, bei dem mit Geldprämien gegen schlechte Schulleistungen vorgegangen werden sollte. In fünf Städten wurden insgesamt 9,4 Millionen Dollar ausgegeben. In New York bekamen Viertklässler 25 Dollar für eine gute Note!
Und?
Es änderte sich kaum etwas, in Chicago sanken die Fehlzeiten ein wenig. In Dallas funktionierte das Prinzip viel besser als in den anderen Städten, weil die Kinder dort nicht für Noten, sondern die Erledigung konkreter Aufgaben bezahlt wurden: fürs Bücherlesen. Eine Aufgabenstellung, die sie aus eigener Kraft bewältigen konnten.
Eine gute Note schreiben, war zu kompliziert?
Ja. Man musste den Kindern erst zeigen, wie man eine Eins bekommt.
Was halten Sie von Bonuszahlungen für Banker?
Es gibt keine einzige wissenschaftliche Erkenntnis darüber, ob Boni wirken oder nicht, obwohl Millionen Pfund dafür ausgegeben werden. Meiner Ansicht nach ist das Instrument viel zu pauschal. In Großbritannien bekommen die Banker ja sogar ihr Extrageld, wenn sie schlecht waren.
Diejenigen, die den Bonus bekommen, haben auch ohne genug. Ihre Bedürfnisse sind erfüllt.
Der Freund einer Freundin arbeitete in der Finanzindustrie. Einmal saß er weinend im Taxi. Er war verzweifelt, weil er nur einen Bonus von 16 000 Pfund bekommen hatte. Das war so viel, wie sie im ganzen Jahr verdiente! Doch es ging ihm nicht um die Summe, sondern bei Bankern ist der Bonus der einzige Maßstab zur Bewertung ihrer Person. Und 16 000 Pfund hieß: fast gefeuert.
Der ehemalige Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, der die Hybris der Banker Anfang des Jahrtausends verkörperte wie kaum jemand sonst, antwortete auf die Frage, was Geld für ihn bedeute: Unabhängigkeit. Eine wohlfeile Antwort, oder?
Natürlich ist es einfacher zu sagen, dass man Geld schätzt, weil es einem Unabhängigkeit garantiert als weil es einem Macht verleiht. Stimmen kann es trotzdem. Es ist vom Persönlichkeitsprofil der Menschen abhängig, aus welchen Motiven sie Geld haben wollen. Es gibt die Cash-Splasher, die ihr Geld mit vollen Händen ausgeben, und jeder soll ihnen zugucken. Solche Leute sind oft sehr großzügig. Dann gibt es die Hamsterer, die Geld horten, weil sie es als Sicherheit brauchen. Dann die Pfennigfuchser, die immer so wenig wie möglich zahlen wollen.
Klingt mehr wie ein Spiel als wie Wissenschaft.
Amerikanische Psychoanalytiker haben die Kategorien in den 70er Jahren entwickelt. Sie dienen der Veranschaulichung von Charaktermerkmalen, auf die sie bei ihren Klienten gestoßen sind.
"Vielleicht ruft dich bald deine Karte an"
Welcher Typ sind Sie?
Ein Mischtyp, wie die meisten Menschen. Mir fällt es nicht besonders schwer, mit Geld hauszuhalten, ich horte es aber auch nicht.
Haben Sie einen Spartipp?
Wenn man sich ein Konto an einem weit entfernten Ort anlegt, ist die Gefahr kleiner, dass man es plündert – selbst wenn es ein Online-Konto ist. Das sagt jedenfalls eine Studie aus den USA. Die Versuchspersonen waren New Yorker. Für die einen wurde Geld in New York angelegt und für die anderen in Los Angeles. Offenbar gibt es eine größere psychische Barriere, Geld anzutasten, das man weit weg wähnt.
Im Kapitalismus heißt es doch immer, man soll sein Geld ausgeben, um es zu mehren.
Das befolgen die meisten Menschen nicht. Wenn die Zinsen runtergehen, sparen viele sogar mehr, weil sie es als Zeichen dafür nehmen, dass es der Wirtschaft schlecht geht und Vorräte angelegt werden müssen. Sie tun das Gegenteil von dem, was mit der Zinssenkung beabsichtigt war. Wir hassen Verlust so sehr, dass wir uns darüber manche Gewinnchance nehmen. Die Psychologie nennt das Verlustaversion. Ein uraltes Verhaltensmuster, sogar unter Affen zu beobachten.
Wie äußert sich das?
In einem bekannten Experiment gab ein Tierpfleger Affen jeweils drei Trauben, manchmal nur zwei. Ein anderer verteilte zwei Trauben und legte manchmal eine Extra-Traube dazu. Die Affen gingen lieber zum Zweiten. Vom Ersten fühlten sie sich betrogen. Auf das Konzept der Verlustaversion spekuliert übrigens jetzt auch eine Firma in den USA und hat ihr Bonussystem umgestellt. Die Manager bekommen ihre Boni bereits im Januar, als Vorschuss, und wenn sie nicht performen, müssen sie sie zurückzahlen. Das ist ziemlich gemein, aber vielleicht wirkungsvoll.
In Utopien wird oft eine Welt ohne Geld geschildert.
Ein guter Freund von mir, der Psychologieprofessor Dylan Evans, gründete vor ein paar Jahren eine Selbstversorger-Kommune in den schottischen Highlands, in der er das Geld abgeschafft hatte. Die Bewohner produzierten dort ihren eigenen Strom, pflanzten Lebensmittel an. Schwierig wurde es, wenn sie von außen etwas brauchten wie zum Beispiel ein Computerteil. Gescheitert ist das Ganze letztlich an der Gruppendynamik. Dylan hätte es gerne basisdemokratisch gehabt, aber viele sahen in ihm einen Messias. Er landete sogar in der psychiatrischen Klinik. Jetzt ist er wieder gesund.
Auch Superreichen gefällt offenbar eine Welt ohne Geld. In den Restaurants von Fisher Island, einer Reichen-Insel vor Miami, auf die nur Bewohner und deren Gäste mit einer inseleigenen Fähre raufdürfen, zahlt man, indem man seinen Namen sagt.
Geld hat etwas Unromantisches. Leuten gefällt es, in ihrer Stammkneipe einen Deckel zu haben. Das fühlt sich an, als wäre man unter Freunden.
Ist eigentlich auch erforscht, wie es sich anfühlt, Geld weggeben zu müssen: wenn man irgendetwas damit bezahlt?
Ich kenne keine. Es gibt Analysen von Unterschieden zwischen dem Bezahlen mit Bargeld und Karte. In Großbritannien wurden vor zwei Jahren sogenannte Contactless Cards eingeführt. Die müssen nur über ein Lesegerät gehalten werden, und Beträge bis 30 Pfund sind abgebucht. Keine Pin-Nummer, keine Unterschrift. Sie haben sich mittlerweile weit verbreitet. In manchen Pubs gibt es Selbstbedienungszapfhähne für diese Karten. Sogar Verkäufer der Obdachlosenzeitung haben schon ein System für Contactless Cards. In zehn Jahren, heißt es, gibt es in unserem Land kein Bargeld mehr.
Geben Menschen mehr aus mit dieser Karte?
Ja, weil sich das Ganze nicht mehr anfühlt wie Geld. Ich bin aber zuversichtlich, dass bald eine Lösung für das Problem gefunden wird. So war das immer bei technischen Innovationen. Eine nachfolgende Neuerung korrigierte die negativen Seiten der ersten. Vielleicht ruft dich bald freitags deine Karte an und sagt, ob dir aufgefallen sei, dass du diese Woche bereits 30 Euro für Kaffee ausgegeben hast.
In Deutschland wird erwogen, Bar-Transaktionen auf 5000 Euro zu begrenzen, um Terrororganisationen die Geldzufuhr zu erschweren. Dagegen gibt es große Widerstände.
Menschen hängen einfach an ihrem Bargeld. Geld von der Bank abzuheben, empfinden viele als freudvoll. Mir gefällt es zum Beispiel, eine dieser neuen 50-Pfund-Noten in der Hand zu halten – vielleicht, weil sie so selten sind. Ein bisschen erinnert diese Faszination an Kinder, die immer wieder ihre Münzen im Sparschwein zählen. Bevor sie um den Wert von Geld wissen, wissen sie um seine Kostbarkeit. Es ist ein Schatz. Dieses Gefühl hört nie auf.