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Durst auf Bier? In der Coronakrise trinken die Menschen lieber zu Hause als in der Kneipe.
© imago/Frank Sorge

Bitburger-Chef zur Lage der Brauereien: Trinken die Menschen gegen die Krise an?

Wochenlang waren Restaurants und Kneipen in diesem Jahr geschlossen. Haben die Deutschen dafür mehr zuhause getrunken? Ein Interview.

Axel Dahm leitet seit 2016 die Bitburger Braugruppe als Sprecher der Geschäftsführung. Zum Familienunternehmen gehören die Marken Bitburger, König, Königsbacher, Köstritzer, Licher, Nette und Wernesgrüner. Mit Benediktiner besteht eine Vertriebspartnerschaft. Im deutschen Biermarkt ist Bitburger (Umsatz 2019: 792 Millionen Euro) Marktführer beim Fassbier, die Radeberger Gruppe ist der größte Braukonzern, Krombacher die umsatzstärkste Einzelmarke. Dahm ist ein ungewöhnlicher Manager. Bevor er in die Wirtschaft wechselte, arbeitete er als Therapeut. Der Vater von fünf Kindern schreibt auch Kinderbücher. Sein Erstlingswerk ist ein Wintermärchen namens „Schokobär und Marzihäschen“.

Herr Dahm, Trinkerweisheiten loben die segensreiche Kraft des Biers in Krisenzeiten. „Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Bierchen her“ und ähnliches. Trinken die Bundesbürger gegen die Coronakrise an?
Nein, im Gegenteil. In der Krise achten die Menschen noch stärker auf ihre Gesundheit. Wir profitieren davon mit unserem alkoholfreien Bier. Das verkauft sich sehr gut. Aber diesen Trend sehen wir schon seit Jahren.

Wie hart wird dieses Jahr für die deutschen Brauer?
Noch ist das Jahr ja nicht vorbei. Aber die Gastronomie und das Eventgeschäft haben viele Monate lang brach gelegen, und Großveranstaltungen gibt es immer noch nicht. Im Juli und August hatten die Biergärten zwei gute Monate, aber jetzt kommt der Herbst. Ich rechne damit, dass der Konsum – in der Zeit nach Corona, also dem sogenannten neuen Normal -  im Gastro- und Eventbereich um 20 Prozent unter dem Vorjahr liegen wird. Dafür wird dann zwar etwas mehr Flaschenbier gekauft. Hier  rechnen wir branchenweit mit einem Umsatzzuwachs von drei bis fünf Prozent. Aber wie es genau aussieht, ist von Brauerei zu Brauerei unterschiedlich. Wir bei Bitburger sind, was den Handel angeht, mit dem ersten Halbjahr recht zufrieden. Mit Bitburger, Benediktiner und König Pilsner konnten wir deutlich stärker wachsen als der Markt.

Axel Dahm leitet seit 2016 die Bitburger-Braugruppe. Neben Bitburger gehören auch bekannte Marken wie König, Wernesgrüner, Licher und Köstritzer dazu.
Axel Dahm leitet seit 2016 die Bitburger-Braugruppe. Neben Bitburger gehören auch bekannte Marken wie König, Wernesgrüner, Licher und Köstritzer dazu.
© Bitburger

Aber am Flaschenbier verdient man weniger als am Fassbier.
Ja, das stimmt. Hinzu kommt: Die Gastronomie ist ganz wichtig für die Markenbildung. Ein frisch gezapftes Bier ist eben doch etwas Besonderes. Auch deshalb ist sehr schade, was gerade passiert. Für unsere Partner ist es eine sehr harte Zeit.

Sie beliefern 50.000 Kneipen und Restaurants, keine andere deutsche Brauerei hat so viele Partner in der Gastronomie wie Bitburger. Ist das jetzt ein Nachteil?
Nein. Wir haben zwar natürlich im Moment dadurch überproportional hohe Umsatzeinbußen, aber wir glauben an die Gastronomie und wir unterstützen unsere Partner. Und wir nutzen diese Zeit, um unseren Wettbewerbern attraktive Gastronomieobjekte abzuwerben. Das ist uns im ersten Halbjahr ganz gut gelungen.

Sie jagen sich gegenseitig die guten Adressen ab?
Das ist in der Branche üblich. Aber manche Konkurrenten haben in diesem Jahr einen Gang zurückgeschaltet, wir nicht.

Brauereien verkaufen den Wirten nicht nur Bier, sondern finanzieren ja auch die Einrichtungen. Die Gastrokrise trifft Sie gleich doppelt.

Wir suchen unsere Partner sehr sorgfältig aus, und wir legen Wert auf eine seriöse und nachhaltige Finanzierung, davon profitieren beide Seiten, das sieht man besonders in Krisenzeiten wie jetzt. Wir haben daher vergleichsweise wenig Ausfälle, weniger als unsere Konkurrenten, soweit wir das beurteilen können.

Sie eröffnen mit Benediktiner im November zum ersten Mal ein eigenes Brauhaus. Ist das Ihre neue Gastrostrategie?
Wir eröffnen in Gießen das erste selbstbetriebene Benediktiner Weißbräuhaus in enger Zusammenarbeit mit der Benediktiner Weissbräu GmbH, und es wird mit Sicherheit nicht das letzte sein. Gaststätte und Biergarten im bayerischen Stil – in diesem Konzept liegt viel Zukunft, im Inland und im Ausland.

Planen Sie solche Brauhäuser auch für Bitburger?
Nein, bei Bitburger verfolgen wir eine andere Strategie. Wir engagieren uns zwar auch hier sehr intensiv, bis hin zum Design, aber das machen wir immer in Zusammenarbeit mit unseren Pächtern, treten also nicht als Betreiber auf.

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Was hat die Coronakrise für Sie und Ihre Marken geändert?
Wir fokussieren uns stärker auf bestimmte Marken in bestimmten Regionen. Wir haben das sehr frühzeitig getan. Das hilft uns jetzt im Wettbewerb.

Gibt es Köpi, Licher oder Wernesgrüner künftig nicht mehr bundesweit?

Doch, natürlich. Aber wir konzentrieren unser Marketing und vor allem  unsere Werbung für diese Marken auf bestimmte Kerngebiete. Für König Pilsener sind das etwa Nordrhein-Westfalen, Norddeutschland und die Urlaubsgebiete an Nord- und Ostsee. So vermeiden wir unnötige Streuverluste und können gezielt dort agieren, wo unsere Marken auch das größte Potenzial haben.

Früher hat die deutsche Fußballnationalmannschaft für Bitburger geworben. Warum haben Sie den Werbevertrag gekündigt?

Alles hat seine Zeit. Die Partnerschaft hat jahrelang sehr gut funktioniert und Bitburger bekannt gemacht. Aber inzwischen ist es deutlich wichtiger geworden, zu erklären, was das Besondere an Bitburger ist. Das interessiert auch die Verbraucher.

Hopfen statt Fußball: Bitburger hat seine Werbung umgestellt.
Hopfen statt Fußball: Bitburger hat seine Werbung umgestellt.
© ZB

Die Sache mit dem Siegelhopfen.
Ja, wir bauen mit der Familie Dick unseren eigenen Bitburger Siegelhopfen an. Das ist stilprägend und unterscheidet uns von fast allen Wettbewerbern.

Aber kein Mensch weiß, was ein Siegelhopfen ist.
Da liegen Sie aber falsch. Viele wollen wissen, ob es den Hopfenbauer Andreas Dick, der auch in unserer Werbung zu sehen ist, wirklich gibt. Und ja, er existiert tatsächlich. Das Örtchen Holsthum, in dem sein Hof liegt, und die gesamte Region profitieren sehr von der Werbung. Viele Leute wollen sich das anschauen. Die Gastronomie profitiert  dort, die Hotelübernachtungen nehmen zu.

Qualität hatte nicht immer ihren Preis. Markenbier ist früher oft im Handel verschleudert worden. Wie sieht es derzeit aus?
Ich verstehe den Handel. Die meisten Männer, vor allem die etwas Älteren, kennen kaum Preise. Aber sie wissen, was eine Kiste Bier kostet. Wenn Sie als Einzelhändler einen Mann in den Laden locken wollen, geht das nicht mitknackigem Gemüse oder Spülmittel. Die Kiste Bier ist das Zugpferd für Männer. Aber die unvernünftigen  Sonderangebote von acht, neun Euro pro Kiste sind zum Glück seltener geworden. Wir sehen im Moment allerdings wieder einzelne Ausreißer auf dem Markt. Wir gehören nicht dazu, wir verschleudern unser Bier nicht.

Glaubt man dem Brauerbund und seinen Statistiken, dann sinkt der Bierdurst der Bundesbürger schon seit Jahren. Was heißt das für die Braubranche?
Das betrifft nicht nur Bier, sondern alle alkoholischen Getränke. Die Menschen sind disziplinierter und wollen gesünder leben. Wir verkaufen aber immer mehr alkoholfreies Bier. Es ist nach Pils, Hellem und den Biermischgetränken schon das viertstärkste Segment. In den Statistiken des Brauerbundes taucht das alkoholfreie Bier aber nicht auf.

Am Flaschenbier verdienen Brauer weniger als am Fassbier.
Am Flaschenbier verdienen Brauer weniger als am Fassbier.
© dpa

Wie viele Brauereien werden die Durststrecke nicht überstehen?
Wenn der Kuchen kleiner wird, haben einige zu kämpfen, und die Coronakrise beschleunigt das. Das große Brauereisterben werden wir in diesem Jahr aber nicht erleben. Das liegt an den gelockerten Insolvenzvorschriften und der Verlängerung der Kurzarbeit. Aber im nächsten Jahr und im Jahr darauf werden sicherlich einige Brauer und Hoteliers aufgeben müssen. In der Gastronomie sehen wir das leider schon jetzt. Aber es ist ja nicht so, dass alle Brauer in der Krise stecken. Es gibt Brauereien, vor allem regionale, die einen sehr guten Job gemacht haben und sogar wachsen können.

Warum kommt keiner der großen Braukonzerne aus Deutschland?
Viele internationale Brauereien haben ihren Fokus früher auf die Eroberung anderer Märkte gelegt. Nehmen Sie beispielsweise Heineken, Holland ist ein kleiner Markt, da muss man über das eigene Land hinauswachsen. Vielleicht haben sich die deutschen Brauer zu lange auf den Heimatmarkt konzentriert.

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Welches Bier trinken Sie am liebsten?
Ich habe fünf Kinder, da kann ich auch nicht sagen, welches ich am liebsten habe. So ist das auch mit unseren Bieren. Ganz besonders gern mag ich allerdings unseren Bitburger Winterbock. Den haben wir im vergangenen Jahr neu für die Wintersaison eingeführt, und er kommt nächsten Monat wieder in den Handel.

Sie schreiben auch Kinderbücher. Und die Schriftstellerei ist nicht das einzig Ungewöhnliche. Sie haben einen interessanten Lebensweg und schon vieles gesehen und ja unter anderem auch Psychologie studiert. Hilft das bei der Krisenbewältigung?
Ja.  Es hilft schon, sich ab und zu mal daran zu erinnern, was die wirklich wichtigen Dinge sind. Das hilft, wenn man für ein Unternehmen Verantwortung übernehmen darf, gerade in herausfordernden Zeiten.

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