Berliner Brauer Oli Lemke: "Biertrinken ist keine Mutprobe"
Oli Lemke hat in Berlin eine Brauerei und vier Wirtshäuser. Jetzt will er Bier-Weltmeister werden. Seine Hoffnung ist ein Berliner Traditionsgetränk.
Es muss gut 30 Jahre her sein, da verschlug es Oli Lemke auf einer Reise durch die USA nach St. Louis. Dort braut Anheuser-Busch seit 1876 sein Budweiser. Lemke, damals in Berlin im zweiten Semester Student der Lebensmitteltechnologie, Fachrichtung Brauereitechnik, wollte sich umschauen und Eindrücke sammeln. Plötzlich fand er sich im Aufzug nach ganz oben wieder: In der Topetage des Braukonzerns traf Lemke den Vize-Chef, der ihm nicht nur eine halbe Stunde seiner Zeit schenkte, sondern ihm auch noch eine sechsstündige Führung durch die Brauerei besorgte.
Heute ist Anheuser-Busch Teil der größten Brauerei der Welt: Anheuser-Busch-InBev produziert im Jahr 567 Millionen Hektoliter Bier, fast jedes dritte Bier, das auf der Welt getrunken wird, kommt von dem Megakonzern, der Marken wie „Beck’s“ oder „Corona“ geschluckt hat. Verglichen damit ist Oli Lemkes Braugeschäft ein Zwerg.
Seine Brauerei Lemke produziert gerade einmal 6000 Hektoliter im Jahr. 4500 davon werden in den vier Berliner Wirtshäusern ausgeschenkt, die Teil des Lemke-Unternehmens sind, der Rest wird in Flaschen abgefüllt und im Berliner Handel verkauft.
Doch mit einem Produkt will Lemke jetzt die USA erobern, mit seiner „Berliner Weisse“. In Europa haben seine Biere bereits Preise abgeräumt, im April tritt der 52-Jährige beim World Beer Cup im texanischen San Antonio an. Es gilt als der härteste Wettbewerb der Brauerbranche.
6000 Biere nehmen teil, und Lemke will hier bestehen. Seine Weisse hat er über Jahre hinweg zusammen mit dem Brauinstitut der Technischen Universität entwickelt: ein kompliziertes Gebräu aus Milchsäurebakterien und einer speziellen Hefe, das in der Flasche reift. Ein echtes Stück Berlin. Die Weisse ist das einzige Bier aus originärer Berliner Brautradition. In den USA kommt die „Budike Weisse“ von Lemke Bräu gut an. Lemke hat bereits 17 000 Liter in die Staaten geliefert – es ist sein einziger Export.
"Bier braucht Heimat", sagt Lemke
„Bier braucht Heimat. Es ist ein lokales Produkt“, sagt der Brauereichef, seine Berliner Heimat hört man ihm an. Doch wenn es um Bier geht, gibt es in der Hauptstadt nicht viele lokale Produkte, anders als etwa in Franken.
Die bekannten Berliner Marken wie Berliner Kindl, Schultheiss oder Berliner Pilsener sind längst keine Berliner Originale mehr, sondern gehören zu Deutschlands größtem Braukonzern Radeberger, der in den Händen der Oetker-Gruppe ist.
Die Szene, die in Berlin interessant ist, braut Craft Beer: Rund 30 Anbieter sind es inzwischen an der Spree. Doch obwohl alle der hippen Marken mit Berlin werben, lassen nicht wenige der jungen Unternehmen ihr Bier, das sie in Berlin verkaufen, ganz woanders herstellen. „Braubüros“ nennt Lemke das. Ihm gefällt das nicht.
Obwohl er das erste Craft Beer Berlins gebraut hat, sind ihm viele Kollegen aus den Großbrauereien näher als die Jungunternehmer aus der Craft-Beer-Szene, die gegen das deutsche Reinheitsgebot wettern und das Bier am liebsten neu erfinden würden. Lemke findet das falsch.
„Biertrinken ist keine Mutprobe“, meint er. Um ein gutes Bier zu brauen, brauche man Kreativität, Wissenschaft – und Handwerk. Bier besteht aus Malz, Hopfen, Wasser und Hefe. Doch es gibt allein 150 verschiedene Aromahopfen, da muss man schon wissen, was man tut.
In der deutschen Brauerszene wird Lemke geschätzt. Man kennt sich. Bei Jever hat der Berliner mal gearbeitet und auch bei Moritz Fiege in Bochum. Sein Bier wird beim Deutschen Brauertag genauso ausgeschenkt und auch jüngst beim Empfang von Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) auf der Grünen Woche.
"Der Biermarkt ist pervers", kritisiert der Brauer die Sonderangebote
Viele der deutschen Biere sind gut, lobt Lemke, aber sie sind zu billig. Jahrzehntelang haben sich Warsteiner, Krombacher, Veltins oder Radeberger Preiskämpfe geliefert. „Der Biermarkt ist pervers“, kritisiert der Berliner Brauer. Die Preise lägen manchmal unter den Rohstoffkosten. Sein Bier hat dagegen einen stolzen Preis. Zwischen 2 Euro und 2,59 Euro kostet die 0,33-Liter-Flasche im Supermarkt.
Allerdings will auch Lemke ein Alltagsbier anbieten, das sich die Leute leisten können sollen. Seine „Perle“, ein Helles, soll weniger als 30 Euro pro Kasten kosten, das ist zwar immer noch deutlich teurer als die Sonderangebots- und Billigbiere, für Lemke aber schon eine Anstrengung.
Bei einem solchen Preis verdiene er nicht viel, sagt er. Seine Kosten sind höher als die der Großkonkurrenz: Im Craft Beer steckt mehr Hopfen, die Etiketten auf den Flaschen sind aufwendiger. 30 Euro für einen Kasten Bier, regional und handwerklich hergestellt, findet Lemke auch nicht zu viel.
Von wegen Handwerk: Brauer sind ein Volk für sich. Bodenständig, schnörkellos, so wie Lemke. Fester Händedruck, klare Worte. Die, die das Geschäft von Grund auf gelernt haben, respektieren sich und tauschen sich aus, über die Grenzen hinweg. Während des Studiums war der Berliner in Venezuela und hat dort bei der größten Brauerei des Landes, Polar, gejobbt. Trotz der Krise im Land besteht die Verbindung fort, bei Lemke hospitieren noch heute Praktikanten der venezolanischen Brauerei. „Die Welt der Brauer ist klein und verbindet Kontinente“, erzählt Lemke. Er findet das schön, ist selbst viel herumgekommen.
In der Mongolei hat Lemke Brauereien gebaut
Auf Teneriffa hat er eine Brauerei gebaut, genau wie in Japan und in der Mongolei. In Ulan Bator hat der Tüftler erst die eine Brauanstalt errichtet und danach auch gleich noch die Konkurrenzanlage. Doch inzwischen hat er das Baugeschäft eingestellt, wegen der Familie. Lemke wollte mehr Zeit mit seinen vier Kindern verbringen.
Dass der Brauer aber überhaupt zum Brauereibauer geworden ist, liegt an seiner Vergangenheit. Seine erste Brauanlage hat Lemke nämlich selbst zusammengeschweißt. 1999 ging sie in Betrieb, heute kann man die zwei Kessel quasi als Museumsstücke in der ersten Gaststätte bewundern, die der Unternehmer aufgemacht hat: im Brauhaus am Hackeschen Markt in den S-Bahnbögen.
Die neue Brauerei – moderner, größer – liegt nur wenige Meter vom Gründungsort entfernt im Herzen der Stadt, genauso wie das zweite Wirtshaus der Lemke-Familie, das Brauhaus Mitte am Alexanderplatz. Zu vielen seiner Lokale hat Lemke eine persönliche Beziehung. Im Charlottenburger Luisenbräu in der Nähe des Schlosses hatte Lemke einst gearbeitet. Als die Brauerei – die erste Gasthausbrauerei Berlins – finanziell in die Knie ging, sprang er ein und übernahm sie. Genauso wie bei der „Tiergartenquelle“, in der er einst als Zapfer sein Geld verdient hatte.
Warum man in der Tiergartenquelle von KPM-Geschirr isst
Eine Besonderheit wollte Lemke in der kleinen Kiezkneipe unbedingt bewahren. Man aß dort nämlich von KPM-Tellern. Die KPM-Werkstatt lag um die Ecke, viele Mitarbeiter der Porzellan-Manufaktur bezahlten ihre Biere mit Tellern statt mit Geld. Doch als die „Tiergartenquelle“ schloss, räumte der Eigentümer den Laden aus mitsamt des KPM-Geschirrs.
Was tun? „Ich ging ins KaDeWe und kaufte 20 Teller“, erinnert sich Lemke. Heute bekommen die Gäste der „Tiergartenquelle“ ihr Essen wieder auf KPM-Porzellan, ins KaDeWe muss der Chef aber nicht mehr. Inzwischen gibt es eine Kooperation mit KPM, die Berliner Traditionsfirma liefert ihm Teller aus zweiter Wahl.
Neun Millionen Euro Umsatz macht die Brauerei Lemke im Jahr, den Löwenanteil steuern die Wirtshäuser bei. Dort kann man Bierproben machen, Brauseminare besuchen, die Brauerei besichtigen, essen und trinken.
16 Biere hat Lemke dauerhaft im Angebot, die meisten Kunden greifen zum Bohemian Pilsener, viele aber auch zum Pale Ale oder zum IPA. Einige trauen sich auch an die anspruchsvolleren Biere, die in Eichen-, Whiskey- oder Rumfässern ausgebaut werden. Die Probierstube unter den S-Bahn-Bögen am Hackeschen Markt erinnert an die Portweinkeller im portugiesischen Porto.
Lemke hat eine klare Botschaft, die er künftig noch stärker vermitteln will: „Wir sind eure Brauerei“, sagt er. Er will der Brauer der Berliner sein – und der Berlin-Besucher.
Die Weisse als Konkurrenz zum Champagner?
Dazu experimentiert er weiter. Seine Weisse gibt es jetzt nicht nur pur, sondern auch in den Geschmacksrichtungen Himbeer, Waldmeister und Eiche. Doch statt vom Sirup kommt der Geschmack bei der „Budike Weisse“ von echten Früchten, Kräutern oder Eichenholzspänen, auf denen das Bier gelagert ist. Derzeit tüftelt Lemke an der nächsten Drehung, einer Weissen mit zehn Prozent Alkoholgehalt. Luise soll sie heißen, fein perlen und dem Champagner Konkurrenz machen. Auch Cocktails auf Basis seiner Weissen kann sich der Unternehmer vorstellen. Vielleicht wird das ein Knaller in Berlin. Vielleicht aber auch eher in den USA. In St. Louis sollte man sich schon mal warm anziehen.
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