TTIP: Transatlantische Gremium soll über Finanzmarktregulierung entscheiden
Neue Dokumente aus den TTIP-Verhandlungen sorgen für Aufregung: Demnach soll ein transatlantisches Gremium künftig Finanzmarkt-Regeln aushandeln - und zwar ohne parlamentarische Kontrolle.
Michel Reimons Enthüllungen lösen neue Diskussionen über das umstrittene EU-USA-Handelsabkommen TTIP aus. Der Europaabgeordnete der österreichischen Grünen hat einen Vorschlag der EU-Kommission zur Regulierung der transatlantischen Finanzmärkte ins Netz gestellt - in wörtlicher Abschrift, denn die vertraulichen Unterlagen durften den Lesesaal des EU-Parlaments eigentlich nicht verlassen.
Verhandelt wird Brisantes: „Ein neu zu schaffendes transatlantisches Gremium, genannt 'das Forum', soll die Regulierungen aushandeln und verbindlich machen“, zitiert Reimon aus den Unterlagen. Für ihn ist das eine klare Aushebelung der parlamentarischen Kontrolle. Denn: „Die Parlamente dürfen Gesetze dann nur noch so erlassen, dass sie mit den Beschlüssen des Forums übereinstimmen“, sagte Reimon dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Tun sie das nicht, machen sich die jeweiligen Staaten klagbar - denn damit hätten sie dann den TTIP-Vertrag gebrochen.“ Und so eine mögliche Vertragsstrafe bestimme „mit Sicherheit“ den Verlauf einer Parlamentsdebatte über Finanzmarktregulierung, sagt der EU-Parlamentarier.
Die Regeln für die Finanzmärkte soll das Forum alleine ausarbeiten
Wie genau sich das geplante Regulierungs-Forum zusammensetzen soll, steht nicht im Kommissionsvorschlag. Arbeitsgruppen aus „Regulierungsbehörden und Supervisoren“ sollen sich regelmäßig treffen, einmal im Jahr wird ein Treffen auf Regierungsebene anberaumt. Transparenz gegenüber „Stakeholdern“ - betroffenen Interessensgruppen - wird ausdrücklich erwähnt. „Öffentliche Beratungen und Diskussionen in Parlamenten kommen dagegen gar nicht vor“, sagt Reimon.
Besonders kritisch sieht er ein weiteres Detail: Im TTIP-Vertrag werden das Forum und seine Spielräume beschlossen, nicht die Regeln für die Finanzmärkte selbst. Die soll das Forum „spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten des Vertrages“ vorlegen, heißt es in der Dokumentenabschrift. „Mit einer Zustimmung zum TTIP stellen wir also einen Blankoscheck zur Finanzmarktregulierung aus“, warnt Reimon.
Nationale Regierungen geben so Kompetenzen ab
Das stört nicht nur eingefleischte Kritiker. Nationen sollten Entscheidungen über Finanzmarktregeln auf keinen Fall aus der Hand geben, sondern grundsätzlich Parlamente darüber entscheiden lassen, findet Finanzmarktökonomin Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. „Es muss eine öffentliche Debatte geben können über den Sinn oder Unsinn einzelner Regulierungen auf dem Finanzmarkt.“ Und das ginge nur, wenn diese detailliert durch die einzelnen nationalen Parlamente gingen. „Von Ereignissen auf Finanzmärkten ist die gesamte Bevölkerung betroffen“, sagt die Professorin, also auch von Entscheidungen über Regeln auf den Finanzmärkten.
Anders als in anderen Wirtschaftsbereich, die im TTIP ausgehandelt werden, sind die US-amerikanischen Regeln auf dem Finanzmarkt seit der Finanzkrise strenger als die europäischen. Einige Anlageprodukte, die in der EU angeboten werden, sind in den USA inzwischen nicht mehr zulässig. „Man wird sich in einem solchen Gremium auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen“, schätzt Schäfer. Das Ergebnis wären dann weniger Regeln auf dem Finanzmarkt - wie vor Beginn der Krise. Und ohne dass die Entscheidungen darüber einen demokratischen Prozess durchlaufen.
„Diese Sorgen müssen die Verhandler auf jeden Fall ernst nehmen“, sagt Jürgen Matthes, Leiter der Abteilung internationale Wirtschaftsordnung und Konjunktur im arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW), das in der TTIP-Debatte vor allem die Vorteile der Freihandelsverträge betont. „Ein solche regulatorische Kooperation hebelt aber nicht die Parlamente aus“, findet Matthes. Im Expertenkreis würden Details abgeklärt, für die auch in den parlamentarischen Ausschüssen der Raum fehle. Dass am Ende die Volksvertreter der Parlamente entscheiden, sei selbstverständlich und anderes sei auch „sicher nicht Verhandlungsposition der EU-Kommission“. Bei der TTIP-Kritik werde immer sehr stark zugespitzt. epd
Miriam Bunjes