Streit um Klimaschutz: Thunberg löst emotionale Debatte über Atomenergie aus
Eine Aussage der schwedischen Klimaaktivistin Thunberg zur Atomenergie hat heftige Reaktionen ausgelöst. Dabei zitiert sie nur den Weltklimarat IPCC.
Es ist nur ein kurzer Absatz in einem langen Facebook-Post: Die schwedische Klima-Aktivistin Greta Thunberg erinnert daran, dass Atomenergie dem Weltklimarat IPCC zufolge „ein kleiner Teil einer sehr großen neuen kohlenstofffreien Energie-Lösung“ sein könnte. Nicht nur im Atomausstiegsland Deutschland hat dies heftige Reaktionen ausgelöst. Thunberg ergänzte daraufhin ihren Post um die Aussage, dass sie persönlich gegen Atomkraft sei.
Unterstützung erhält sie von der deutschen Klimaschutz-Aktivistin Luisa Neubauer: „Greta hat ganz klar unterstrichen, dass sie persönlich Kernenergie ablehnt“, sagte Neubauer, die eine der Organisatorinnen der „Fridays-for-Future“ -Schulstreiks in Deutschland ist.
Auch sie spricht sich gegen Atomkraft als Energiequelle für Deutschland aus, schon allein aus Sicherheitsgründen. Die Frage, ob Kernenergie klimafreundlich sein könnte, stelle sich ihr daher nicht: „Die Deutschen haben es seit 20 Jahren verpasst, einen schnellen Kohleausstieg einzuleiten. Darum sollten wir uns kümmern.“
Klimaaktivisten befürchten keine Auswirkungen auf Proteste
Befürchtungen, dass sich wegen der Diskussion um Thunbergs Aussagen weniger Menschen den Demonstrationen anschließen könnten, hat Neubauer nicht: „Wer sich daran stört, der sollte sich den IPCC-Report angucken und dann Gretas Beitrag nochmal genauer lesen.“
In dem angesprochenen Bericht von 2014 bezeichnet der Weltklimarat die Kernenergie als ausgereifte Grundlaststromquelle mit niedrigem Treibhausgasausstoß. Sie könne daher einen zunehmenden Beitrag zu einer kohlenstoffarmen Energieversorgung leisten.
Das ist allerdings nicht alles: „Es gibt jedoch eine Vielzahl von Hindernissen und Risiken“, berichtet der IPCC auf Grundlage der von ihm gesichteten wissenschaftlichen Literatur. Dazu gehörten die Risiken beim Abbau von Uran und beim Betrieb der Anlagen sowie das ungelöste Endlagerungsproblem. Bedenken bestünden auch hinsichtlich der Verbreitung von Nuklearwaffen.
Weltweit sind rund 450 Kernreaktoren in Betrieb
Ungeachtet dieser Risiken wird die Kernkraft nach Angaben der World Nuclear Association (WNA) weltweit weiter genutzt. Insgesamt sind demnach derzeit rund 450 Kernreaktoren in 30 Ländern in Betrieb. Im Bau sind der WNA zufolge momentan etwa 50 Reaktoren in 15 Ländern, die meisten in China, Indien, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Auch die Türkei hat Pläne: Den Zuschlag für den Bau des ersten Atomkraftwerks im Land bekam der russische Staatskonzern Atomstroiexport. Er wird später den Brennstoff liefern und die abgebrannten Brennstäbe zurücknehmen.
Russland bietet oft Finanzierung und Bau aus einer Hand an – so auch in Bangladesch, wo zurzeit ebenfalls das erste Atomkraftwerk entsteht. Trotz dieser Zahlen, die einen Aufschwung der Atomkraft suggerieren, waren 2013 noch 18 Atomkraftwerke mehr im Bau als heute. Auch die Nuklearstromproduktion stagniere, während die Stromerzeugung aus Erneuerbaren stetig wachse, heißt es im World Nuclear Industry Status Report.
Anders als in Deutschland, das der Kernkraft aus Sicherheits- und Akzeptanzgründen den Rücken gekehrt hat, führen in vielen anderen Ländern wirtschaftliche Überlegungen dazu, dass nicht in neue Meiler investiert wird. In den USA etwa machen billiges Fracking-Erdgas und die sinkenden Kosten von Wind- und Solarstrom neue Kernkraftwerke uninteressant. Binnen fünf Jahren wurden dort fünf Meiler vorzeitig abgeschaltet, viele andere müssen staatlich subventioniert werden. In Großbritannien wurden mehrere Neubauprojekte ad acta gelegt.
Akws brauchen Jahrzehnte, um Investitionskosten einzuspielen
Denn Kernkraftwerke sind extrem teuer im Bau und brauchen Jahrzehnte, um ihre Investitionskosten einzuspielen. Unter den gegenwärtigen Marktbedingungen – bei ungewisser Strompreisentwicklung – sind ihre Renditechancen wackelig. Damit werden sie für Investoren weniger interessant als beispielsweise erneuerbare Energien. Wenn aus Klimaschutzgründen gewünscht, sind neue Reaktoren deshalb in hohem Maße auf staatliche Förderung angewiesen.
In Deutschland mit seiner traditionell starken Umwelt- und Anti-Atomkraft-Bewegung führte die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 zum Atomausstieg. „Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert“, erklärte Angela Merkel (CDU), damals Kanzlerin einer schwarz-gelben Regierung, im Bundestag. Erst wenige Monate zuvor hatte die Regierung eine Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke beschlossen und den von Rot-Grün beschlossenen Ausstieg revidiert. Nach Fukushima hieß es, bis 2022 solle Deutschland aus der Atomkraft aussteigen. Eine „Herkulesaufgabe“, wie Merkel in ihrer Rede betont – doch im Lichte der Atomkatastrophe von Fukushima notwendig.
Auch der Kohleausstieg ist umstritten
„Nach zwei Kehrtwenden um 180 Grad sind Sie genau dort angekommen, wo Rot-Grün die Dinge schon gestaltet hat“, lästerte der damalige SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Doch die Opposition zog mit. Mit großer Mehrheit beschloss der Bundestag schließlich den endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie.
Inzwischen ist der Kohleausstieg das aktuelle energiepolitische Thema und auch er ist umstritten: „Deutschland kann nicht zeitgleich aus der Atom- und Kohlekraft aussteigen“, ist ein Argument vor allem von Konservativen. Dabei stellen sie vor allem auf Versorgungssicherheit und Strompreise ab.
Diese Punkte hatte auch die Kohlekommission im Blick. Sie schlug deshalb vor, dass Deutschland ab 2022 schrittweise aus der Kohle aussteigt. Auch sollen Auswirkungen von Kraftwerksabschaltungen auf den Strommarkt regelmäßig überprüft werden. Entsprechend soll der Pfad verlangsamt oder beschleunigt werden.
Deutschland sucht noch Standort für Endlager
Beim Umbau seines Energiesystems könnte Deutschland damit ein weltweites Vorbild werden. „Deutschland steuert jetzt in ein Energiesystem, das hoch flexibel ist und sehr risikoarm. Das ist ein Vorteil“, sagt Felix Matthes, Leiter Klimapolitik beim Öko-Institut. „Alle Länder, die in Zukunft stark auf Atom setzen, müssen mit dem Spannungsfeld leben, wie sie technisch und ökonomisch mit einer Technologie umgehen, die teuer ist und zudem unflexibel.“ Auf die Chancen eines erneuerbaren Energiesystems hatte auch Merkel 2011 hingewiesen, als sie den Deutschen den Atomausstieg nahebrachte.
Die Nutzung der Atomkraft hinterlässt in jedem Fall ein schwieriges Erbe: Bis 2031 soll ein deutscher Standort für hochradioaktiven Atommüll gefunden sein. Die Suche ist aufwendig. Und damit ist Deutschland nicht allein: Bisher gibt es weltweit kein einziges Endlager für hochradioaktiven Atommüll.