Sozialpartner zum Coronagespräch im Kanzleramt: Streit um das Kurzarbeitergeld
Gewerkschaften wollen mehr als 60 Prozent des Nettolohns – Merkel hat Verständnis, Arbeitgeber nicht. Tarifverhandlungen werden vermutlich verschoben.
Steffen Kampeter muckte auf, als es ums Geld ging. Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeber (BDA) reagierte angesäuert, als das Thema Kurzarbeit am Freitagabend im Kanzleramt auf den Tisch kam. Jetzt tue die Regierung endlich mal etwas für die Arbeitgeber, so die Klage des Arbeitgeberfunktionärs, und prompt kämen die Gewerkschaften und wollten das wieder kassieren. DGB-Chef Reiner Hoffmann und der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann hielten dagegen und hatten die Bundeskanzlerin an ihrer Seite: In dieser Woche sollen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die Köpfe zusammenstecken und über Wege zu einem höheres Kurzarbeitergeld nachdenken. Denn von 60 Prozent des letzten Nettolohns können Arbeitnehmer in schlecht bezahlten Jobs nicht lange leben.
Aufstockung bis 100 Prozent gibt es auch
In manchen Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen sind für bestimmte Beschäftigte für den Fall der Kurzarbeit Aufstockungen durch den Arbeitgeber auf 80, 90 oder sogar 100 Prozent vorgesehen. Zum Beispiel bei VW oder für die Arbeitnehmer in der baden-württembergischen Industrie. Der Koalitionsausschuss hatte sich am vorvergangenen Sonntag darauf verständigt, dass in der Krise die Bundesagentur für Arbeit den Arbeitgebern die Sozialversicherungsbeiträge für die Beschäftigten in Kurzarbeit abnimmt. Der Ansatz der Gewerkschaften dazu: Die BA zahlt erst dann für die Arbeitgebern die Sozialbeiträge, wenn die sich zuvor mit den Gewerkschaften auf eine Aufstockung verständigt haben. So hat das 2008/2009 in der Finanzkrise funktioniert. Damals gingen kaum Arbeitsplätze verloren und die Kaufkraft der Kurzarbeiter blieb stabil.
Lohnfortzahlung bei Kinderbetreuung
Die Runde aus Politikern und Sozialpartnern widmete sich am Freitagabend ferner der Problematik jener Arbeitnehmer, die wegen der Kinderbetreuung nicht arbeiten. In diesem Fall könnte der Paragraf 616 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) greifen, der eine Lohnfortzahlung analog zum Krankheitsfall vorsieht. Ob und wie man das gewährleistet, soll geprüft werden. Eine weitere Verabredung der Kanzleramtsrunde: Die Minister für Arbeit und Wirtschaft installieren eine Clearingstelle für arbeits- und wirtschaftspolitische Fragen, die vor allem aus dem Mittelstand zuhauf erwartet werden auch im Hinblick auf Hilfen.
Derweil setzen die Tarifparteien in der Metallindustrie mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit ihre Tarifverhandlungen für rund vier Millionen Metaller fort. Heute geht es in Berlin unter anderem um die Arbeitszeitverkürzung für die ostdeutschen Industriearbeiter, die jede Woche drei Stunden länger im Werk sind als die Kollegen im Westen.
IG Metall kann nicht mobilisieren
Normalerweise führt die IG Metall keine Tarifverhandlungen ohne Tamtam. Aufmärsche mit roten Fahnen vor dem Verhandlungslokal gehören ebenso dazu wie außerordentliche Belegschaftsversammlungen vor Werktoren. In diesem Jahr ist alles anders. Erst überraschte die Gewerkschaftsspitze die Arbeitgeber mit der Idee eines „Moratoriums“: Statt einer prozentualen Forderung soll es nur einen Inflationsausgleich geben sowie „betriebliche Zukunftstarifverträge“ über Innovationen, Investitionen und sichere Arbeitsplätze. Dann kam das Virus. Und mit jedem Tag schrumpft der Spielraum.
Tarifvertrag light in NRW möglich
In Nordrhein-Westfalen sind die Verhandler am weitesten und am wenigsten ideologisch belastet. In der Woche vor Ostern, vermutlich am 2. April, könnte es hier einen Pilotabschluss geben: Statt Lohnprozente nur eine Einmalzahlung, deren Höhe auch von der Situation im Betrieb abhängt. Dazu verabreden die Tarifparteien Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung inklusive einer Aufstockung des Kurzarbeitergeldes. Dieser Tarifabschluss light regelte also nur ein paar naheliegende und unkomplizierte Dinge, alles weitere wird in den Herbst verschoben. Das betrifft vor allem den Wunsche der IG Metall nach einer Gesprächsverpflichtung der Geschäftführer über ihre Investitionsplanung und überhaupt den strategischen Ansatz der Firma. „Wir wollen nicht am Schluss den Dreck wegräumen , sondern frühzeitig über die Strategie reden“, sagt Jörg Hofmann.
Arbeitgeber wollen fünfjährige Lohnpause
Der Tariffuchs hatte sich gefreut über seine Idee des Moratoriums in Zeiten der Transformation der Autoindustrie. „Wir haben einen kleinen Haken geschlagen, und die Arbeitgeber sind seitdem in der Findungsphase.“ Tatsächlich sind die beiden großen Arbeitgeberorganisation in Baden-Württemberg und Bayern aus dem Verbund des Dachverbandes Gesamtmetall ausgeschert und haben Freund und Feind mit einer erstaunlichen Forderung überrascht: Sie wollen ein „echtes Belastungs-Moratorium mit einer Laufzeit von mindestens fünf Jahren“. So schlimm jedoch kann das Virus gar nicht wüten, dass sich die IG Metall auf eine fünfjährige Lohnzurückhaltung einließe. Aber es gilt auch: Ohne demonstrierende und warnstreikende Massen kann die Gewerkschaft nichts durchsetzen. Also Vertagung auf den Herbst.
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