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Problem für die Kläranlagen: Im Abwasser finden sich immer mehr Arzneimittelrückstände.
© Patrick Seeger/dpa

Grüne wollen Pharmaindustrie zahlen lassen: Streit um Arzneirückstände im Trinkwasser

Im Trinkwasser finden sich immer mehr Arzneirückstände. Die Grünen wollen die Hersteller an den Kosten der Reinigung beteiligen. Doch die wehren sich.

Die Grünen fordern aufgrund zunehmender Arzneimittelrückstände im Wasser eine finanzielle Beteiligung der Pharmaindustrie an den Kosten der Wiederaufbereitung. „Die Pharmaindustrie darf sich nicht länger aus ihrer Verantwortung stehlen“, sagte ihre umweltpolitische Sprecherin Bettina Hoffmann. Wenn Arzneihersteller das Wasser durch ihre Medizinprodukte verunreinigten, hätten sie auch die Wiederaufbereitung mitzufinanzieren. „Es darf nicht sein, dass die Kosten für die Wasserwiederaufbereitung allein bei den Wasserbetrieben hängen bleiben oder auf die Verbraucherinnen und Verbraucher umgelegt werden.“

Arzneihersteller: Abwasserreinigung ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Die Pharmaindustrie lehnt die geforderte Kostenbeteiligung ab. Die medizinische Versorgung sei „ein Grundbedürfnis der Bevölkerung“, sagte der Geschäftsführer Forschung des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), Siegfried Throm, dem Tagesspiegel. „Die Beseitigung der bei ihrer Anwendung unvermeidlichen Arzneistoffspuren im Abwasser ist deshalb eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie sollte auch gesamtgesellschaftlich finanziert werden.“

Anlass für den Vorstoß ist die Forderung einer „vierten Reinigungsstufe“, die Schätzungen zufolge rund 1,2 Milliarden Euro kosten würde. Dabei geht es um die Beseitigung von Mikroverunreinigungen, etwa durch Gebrauchschemikalien, Medikamente, Schädlingsbekämpfungsmittel und hormonaktive Stoffe wie Weichmacher oder UV-Filter in Sonnencremes und Kosmetika. Zudem landen in den Kläranlagen über das Abwasser von Kliniken und Pflegeheimen immer mehr antibiotika-resistente Bakterien .

Es drohen Gebührensteigerungen von bis zu 17 Prozent

Die vierte Reinigungsstufe dürfe nicht allein über Abwassergebühren finanziert werden, heißt es in einem Gutachten für den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Nicht nur, weil das im Schnitt Gebührensteigerungen von 14 bis 17 Prozent zu Folge haben werde. Eine Finanzierung über Gebührenzahler hätte auch „keinerlei Vermeidungsanreiz“, warnen die Experten des Beratungsunternehmens Civity Management Consultants in dem 26-seitigen Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt. Wenn man die Verursacher nicht an den Kosten beteilige, werde die Verschmutzung durch Arzneirückstände nicht sinken, sondern weiter steigen. Schließlich rechne man für die nächsten 25 Jahren mit einer Steigerung des Arzneiverbrauchs um bis zu 70 Prozent.

Beispiel Berlin. Hier sollen alle sechs Klärwerke in den nächsten acht bis neun Jahren eine vierte Reinigungsstufe erhalten. Die Arzneirückstände seien hier zwar nicht übermäßig, sagte ein Sprecher. Doch Berlin sei diesbezüglich besonders sensibel, weil die Flüsse der Stadt sehr träge seien und sich die Rückstände dadurch kaum verdünnten. Und an Arzneiwirkstoffen sind im Berliner Wasser, wenn man die Analysedaten liest, derzeit rund drei Dutzend nachweisbar – auch wenn ihre Konzentration deutlich unter den gesundheitlichen Orientierungswerten liegt: vom Narkosemittel Phenobarbital über das Schmerzmittel Diclofenac bis zum Blutdrucksenker Valsartan. Tariferhöhungen durch den Ausbau der Reinigung drohen den Berlinern vorerst aber nicht.

Arzneimittelabgabe oder Verursacher-Fonds

Für die Finanzierung müsse das „Verursacherprinzip“ gelten, schreiben die Gutachter. Sie fordern entweder eine Arzneimittelabgabe für alle rezeptpflichtigen Medikamente oder eine Fondslösung per Vereinbarung mit der Pharmaindustrie. Letztere habe den Charme von weniger Verwaltungsaufwand, die Beiträge ließen sich nach der Problematik einzelner Medikamente staffeln. Jedoch fehle einem solchen Fonds die Rechtsverbindlichkeit.

Bei der verbindlicheren Arzneimittelabgabe komme man auf 2,5 Cent pro Tagesdosis und Medikament, rechnen die Experten vor. „Bezogen auf die Einnahme eines Medikaments beispielsweise über 30 Tage hinweg ergäbe sich so eine vergleichsweise geringe Belastung von 0,75 Euro.“ Insgesamt freilich ergäben sich dadurch, bezogen auf die 664 Millionen Verordnungen des Jahres 2017, rein rechnerisch zwei Euro pro Packung. Und das Expertengutachten legt nahe, dass diese Kosten dann auch über Krankenkassen und Beitragszahler mitabgefangen werden könnten.

Die Grünen sympathisieren eher mit dem anderen Modell. Ein Verursacher-Fonds könne ein „guter Weg“ sein, sagte Hoffmann. Es sei „alarmierend, dass die Belastung der Gewässer mit Spurenstoffen aus Arzneimitteln immer weiter zunimmt“, erklärte die Grünen-Politikerin. Die Bundesregierung müsse „endlich das Vorsorgeprinzip ernstnehmen und Gewässerverunreinigungen mit Spurenstoffen schon an der Quelle unterbinden“.

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