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Klärbares Problem. In Kläranlagen werden gefährliche Keime bisher nicht entfernt. Doch die Technologie dafür existiert: Eine zusätzliche Klärstufe könnte Bakterien nahezu vollständig entfernen – auch die mehrfach resistenten.
©  Ralf Hirschberger/dpa/picture alliance

Gefährliche Keime im Trink- und Badewasser: Multiresistenzen im Bundestag

Gegen Antibiotika unempfindliche Keime sind in der Umwelt weit verbreitet. Nun debattiert das Parlament über Gegenmaßnahmen.

Nicht nur einfach Keime hatten Mikrobiologen und Journalisten Anfang Februar im Wasser und in den Sedimenten von Badeseen in Niedersachsen gefunden. Die genaue Untersuchung der Mikroben hatte sogar ergeben, dass sie gegen mehrere Antibiotika resistent waren. Zwar sehen Infektionsmediziner keine unmittelbare Gefährdung von Badenden. Das Immunsystem gesunder Menschen bekämpft antibiotikaresistente Keime genau so wirksam wie alle anderen Bakterien. Auch Erkrankungsfälle sind bislang nicht sicher nachgewiesen, obwohl sie das Berliner Robert-Koch-Institut nach Auskunft nicht ausschließt. Dennoch fordert die Fraktion der Grünen nun den Bundestag auf, Maßnahmen zum Schutz von Trink-, Grund- und Oberflächenwasser vor antibiotikaresistenten Keimen zu ergreifen. Am Donnerstag wird die Abgeordnete Bettina Hoffmann im Plenum einen Antrag einbringen, der heute veröffentlicht werden soll und dem Tagesspiegel vorliegt. Die Bundesregierung wird darin unter anderem aufgefordert, den Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft zu reduzieren und sogenannte Reserveantibiotika dort komplett zu verbieten. Nach der Debatte des Papiers im Plenum soll der Forderungskatalog an den Umweltausschuss verwiesen werden.

Tickende Zeitbombe

Welche Maßnahmen gegen die Verbreitung von multiresistenten Keimen sinnvoll sind, untersucht die Bundesregierung bereits, unter anderem in dem vom Bundesforschungsministerium geförderten Verbundprojekt Hyreka („Hygienisch-medizinische Relevanz und Kontrolle Antibiotika-resistenter Krankheitserreger in klinischen, landwirtschaftlichen und kommunalen Abwässern“). „Je mehr Keime in der Umwelt vorhanden sind, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie Menschen besiedeln“, sagt Thomas Schwartz vom Karlsruher Institut für Technologie und einer der Koordinatoren von Hyreka. Besiedlung etwa der Haut oder des Darmes bedeutet zwar nicht Erkrankung. Besiedelte Menschen aber sind hocheffiziente Weiterverbreiter der Keime. Und sollten solche Bakterien irgendwann doch eine Infektion auslösen, etwa wenn das Immunsystem geschwächt ist, ist ihnen mit Antibiotika schwer beizukommen. Wo eine erkrankte Person die Keime ursprünglich aufgelesen hat, ist oft schwer nachzuweisen – ob im Krankenhaus, wo sie schon lange ein großes Problem darstellen, beim Baden oder etwa beim Salatverzehr.

Die bereits in der Umwelt befindlichen Keime und die Umstände, die sie dort hinbringen und zu ihrer Vermehrung beitragen – all das gilt jedenfalls als tickende Zeitbombe. Antibiotikaresistente Bakterien gelangen unter anderem über Klinikabwässer und über Gülle und Mist von mit Antibiotika behandelten Nutztieren in die Umwelt. In den Abwässern von Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und landwirtschaftlichen Betrieben sind häufig auch die Medikamente selbst gelöst. Das kann dazu führen, dass resistente Bakterien sich dann besser vermehren können als normale und sich also noch weiter verbreiten. „Es ist bekannt, dass sich antimikrobielle Resistenzen und auch Multiresistenzen über lange Zeiträume in Keimpopulationen in der Umwelt halten und sogar, über Gentransfer, weiter verbreiten können“, sagt Jens Schönfeld vom Umweltbundesamt.

Bakterien tauschen Resistenzgene aus - auch über Artgrenzen hinweg

Tatsächlich können Gene, die für Antibiotika-Unempfindlichkeiten zuständig sind, in der Umwelt von Art zu Art weitergegeben werden. Denn bei Bakterien hat sich, weil sie auf Sex als Mittel der Neumischung von Erbanlagen verzichten, in der Evolution die Strategie des „horizontalen Gentransfers“ entwickelt: Sie docken aneinander an, tauschen Teile ihres Erbmaterials aus und trennen sich wieder. Das kann im Badesee passieren, aber auch in einem menschlichen Darm.

Mit einem „kurzfristigen Verschwinden der resistenten Bakterien aus der Umwelt“ sei selbst bei einem sofortigen Stopp der Einträge jedenfalls nicht zu rechnen, so Schönfeld. Doch obwohl es fast unmöglich erscheint, Resistenzen in der Umwelt wieder komplett auszumerzen, gilt eines doch als sicher: Weniger Eintrag resistenter Erreger und resistenzfördernder Antibiotika könnten das Problem massiv entschärfen. „Man kann Antibiotika an sich nicht abschaffen, weder in der Human- noch in der Tiermedizin“, sagt Ludwig Hölzl, Professor für Mikrobiologie und Tierhygiene an der Universitär Hohenheim. Der Einsatz müsse aber so weit wie möglich reduziert werden.

Vor allem müsse man in der Tierhaltung auf Mittel verzichten, die in der Humanmedizin als Reserveantibiotika eben gerade für solche Fälle vorgehalten werden, in denen andere Mittel nicht funktionieren. Die Recherchen in Niedersachsen hatten allerdings gezeigt, dass zu den in Gewässern verbreiteten Antibiotikaresistenzen oft auch solche gegen das Reserveantibiotikum Colistin gehören. Politik und Behörden seien hier gefordert. Neue Regularien brauche es dafür nicht unbedingt, sagt Hölzl: „Wenn die bestehenden Regeln umgesetzt werden, wird man bereits viel erreichen.“ So sei die „Tierärztliche Hausapotheke“, die Verordnung zum Umgang mit Infektionskrankheiten, erst im Februar aktualisiert worden.

Die resistenten Keime kommen nicht nur aus der Tierhaltung

Es sei auch falsch, das Problem allein in der Massentierhaltung zu verorten. Denn es gebe auch für große Ställe Möglichkeiten, über Hygiene, Quarantäne und gezielte tierärztliche Versorgung den Einsatz der Medikamente deutlich zu reduzieren. „Nur ist es eben so, dass etwa die Kosten für Antibiotika gut zu kalkulieren sind, während solche flankierenden Maßnahmen und deren positive Auswirkungen für einen Betrieb sich nicht so klar berechnen lassen“, sagt Hölzl. Man müsse also Anreize schaffen. Zusätzlich sei es wichtig, nach Alternativen zur Antibiotikabehandlung zu suchen. Bakteriophagen gelten dafür als vielversprechend. Diese Bakterien zerstörenden Viren testen und auch einsetzen zu dürfen, dafür müssten in Deutschland die Rahmenbedingungen deutlich verbessert werden, so Hölzl.

Als zweiter wichtiger Ansatzpunkt gilt, Bakterien und Antibiotika, die sich bereits im Abwasser oder landwirtschaftlichem Abfall befinden, dort wieder herauszubekommen, bevor sie in die Umwelt gelangen. Laut Regine Szewzyk vom Umweltbundesamt wird dies nur mit einer zusätzlichen Klärstufe in Kläranlagen möglich sein. Wie die konzipiert werden muss, das ist eine der Fragen, die im Hyreka-Projekt bearbeitet werden.

Aufrüstung in den Kläranlagen

Der Karlsruher Biotechnologie-Professor Schwartz sagt, im Grunde seien zwei zusätzliche Klärstufen notwendig. Aktivkohlefilter reichten „für Spurenstoffe wie etwa Medikamentenrückstände aus“. Für Mikroorganismen sei aber einen fünfte Klärstufe notwendig. Die könnte aus einer Kombination aus Ozonbehandlung und UV-Bestrahlung bestehen. Aber auch ultrafiltrierende Membranen würden getestet. Mit solchen Methoden komme man in Testanlagen „unter die Nachweisgrenze“. Das Wasser kommt also praktisch steril dort heraus. Bei der Frage, wie viel so etwas kosten würde, will er sich nicht festlegen. Es werde aber „durch eine vertretbare Erhöhung der Abwasserabgaben finanzierbar sein“.

Klinikabwässer etwa könnten so vielleicht komplett sowohl von Bakterien als auch von Antibiotika befreit werden. Gülle dagegen lässt sich nicht auf diese Weise klären. Selbst die meisten Biogasanlagen erreichen keine ausreichend hohen Temperaturen, um Keime sicher abzutöten. „Langzeitlagerung ist bei Gülle eine Möglichkeit, die Keimbelastung zu senken“, so Hölzl. Aber auch, wenn Gülle nur auf den Flächen des Betriebes, auf dem sie anfällt, ausgebracht werde, sei das Problem zumindest ein begrenztes. Weite Transporte oder gar „Gülleimporte“ dagegen trügen stark zur Verbreitung auch resistenter Keime bei.

So könnte sich das nasse Jahr 2017 nachträglich als noch problematischer erweisen, als es für Landwirte ohnehin schon war. Denn weil Gülle kaum ausgebracht werden konnte, kam sie in riesige Becken. Von dort aus wird sie, sobald das Wetter mitspielt, weiträumig auf Agrarflächen verteilt werden.

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