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Bachflohkrebse reagieren empfindlich auf Veränderungen der Wasserqualität.
©  Berliner Wasserbetriebe

Voller Körpereinsatz für die Berliner Wasserbetriebe: Wie Bachflohkrebse das Trinkwasser kontrollieren

Kleine Krebse und mehr als 100 Menschen kontrollieren das Berliner Trinkwasser auf Schadstoffe. Mit ihnen machen die Wasserbetriebe jetzt Werbung.

Bachflohkrebse sind die neuen Moderlieschen. „Unsere Beschäftigten haben besonders feine Antennen fürs Wasser“, scherzen die Berliner Wasserbetriebe (BWB) neuerdings auf Werbeplakaten, die die im Original kaum zwei Zentimeter großen Krebse zeigen. Deren Arbeitsplätze befinden sich in allen neun Berliner Wasserwerken. Wegen der wochenlangen, auch durch die aktuellen Schauer nicht wirklich gelinderten Trockenheit müssen die Krebse Sonderschichten schieben, denn bei ausbleibendem Regen steigt der Wasserbedarf der Stadt.

Am Donnerstag haben die Wasserbetriebe ihre feinfühligen Mitarbeiter in ihrem zentralen Labor im ehemaligen Wasserwerk Jungfernheide präsentiert – und neue Methoden erklärt, mit denen sie das Wasser kontrollieren. Das, was durchs etwa 8000 Kilometer lange Rohrnetz zu den heimischen Hähnen fließt, ebenso wie die Ableiter, durch die das gereinigte Abwasser aus den Klärwerken zurück ins lokale Gewässersystem fließt. Das ist zurzeit ganz besonders lokal, denn wegen der Dürre bringen Havel, Spree und Dahme nicht einmal halb so viel Frischwasser nach Berlin wie sonst im Juni.

Bachflohkrebse fallen nicht unter Tierversuche

Die Bachflohkrebse, die in der Natur am Boden kalter Gebirgsbäche leben, haben gegenüber den knapp zehn Zentimeter großen Moderlieschen vor allem den Vorteil, dass sie keine Fische sind. Letztere durften ihren Job im Wasserwerk nur dank einer Ausnahmegenehmigung für Tierversuche machen – was einzelnen Grünen schon damals missfiel. Die Krebse aber sind Wirbellose und deshalb ohne Genehmigung rekrutierbar.

Über einen Bypass strömt das Frischwasser in den Werken durch Gefäße, in denen Lasersensoren die vibrierenden Kiemenbeinchen der Krebse beobachten. Sind plötzlich Schadstoffe im Wasser, ändert sich die Vibration und die lernende Software schlägt Alarm, sodass die Quelle lokalisiert und binnen Minuten vom Netz genommen werden kann.

Nach der einwöchigen Nonstopschicht wird das Personal in den Gefäßen gewechselt: Die Krebse bekommen Freizeit in einem Aquarium, in dem sie sich unter altem Laub verstecken und von dessen Anhaftungen ernähren können.

Das Wasser, das durch den Bypass strömt, verschwindet anschließend im Abfluss. Die strikte Trennung von Frisch- und Abwasser ist ein Grundprinzip bei der Wasserversorgung.

66.000 Proben wurden im vergangenen Jahr untersucht

Die Qualität wird nicht nur im Wasserwerk, sondern auch an mehreren Stellen im Rohrnetz überwacht – teils automatisch, teils durch tägliche Probenahmen, die ins Labor mit seinen rund 100 Beschäftigten gebracht werden. Mögliche Verschmutzungsquellen sind beispielsweise Lecks, durch die Oberflächenwasser in die Tiefbrunnen der Wasserschutzgebiete sickert. Ebenso kann es passieren, dass nach einem Rohrbruch ein Ersatzstück nicht ganz sauber eingepasst oder von Bauleuten mit dreckigen Händen angefasst worden ist.

Kann passieren, wenn Tiefbau mit Lebensmittelverpackungen zu tun hat, die Wasserrohre nun mal sind. Zumal es sich um das am strengsten kontrollierte Lebensmittel im Land handelt: Die Grenz- und Schwellenwerte in der Trinkwasserverordnung beruhen auf dem Ansatz, dass Trinkwasser lebenslang in jeder Menge risikolos konsumiert werden kann.

Mehr als 66.000 Proben wurden im vergangenen Jahr in Jungfernheide untersucht. Die Fachleute hier wissen, dass das Wasser aus Tegel ganz andere Bakterien enthält als das aus Friedrichshagen. Entscheidend ist, welche es sind und wie viele. 100 „koloniebildende Einheiten“ – und ein Bakterium wird ganz schnell zur Kolonie – pro Milliliter sind erlaubt.

Über Lichteffekte werden die Bakterien in vorbeifließendem Wasser bestimmt. Dabei gilt die Faustregel, dass die Kleinen die harmlosen sind, während die Großen womöglich krank machen können. Coliforme Keime beispielsweise dürfen keinesfalls im Frischwasser sein, ebenso wenig Legionellen. Für die haben die Wasserbetriebe einen Schnelltest entwickelt, der das bisherige zehntägige Anzüchten und Ausbrüten ersetzen soll: Bei der neuen Methode werden über Magnetismus die (eisenhaltigen) Antikörper erkannt, die an den Legionellen hängen. So ist die Sache in ein paar Stunden erledigt.

Zertifiziertes Analyseverfahren

Die Wasserbetriebe haben sich dieses und andere Analyseverfahren zertifizieren lassen – und würden es gern vermarkten. Als mögliche Kunden haben sie Bäderbetriebe im Auge, die ihre Einrichtungen nach Legionellenbefall bisher wochenlang schließen müssen.

Eine Etage höher im Laborgebäude an der Motardstraße befindet sich die „Non Target“-Analytik. „Ziellose Suche“ bedeutet, dass nicht nur die Nadel im Heuhaufen gesucht wird, sondern auch die Reißzwecke und alles, was sonst nicht hineingehört. Die typische Warnschwelle liegt bei 0,1 Mikrogramm pro Liter, also einem zehnmillionstel Gramm in einem Kilo Wasser. Das können beispielsweise Rückstände aus Arzneimitteln sein – Nebenprodukte einer alternden Wohlstandsgesellschaft, die bisher weitgehend ungehindert die Klärwerke passieren. Noch sind sie also ein Abwasserthema.

Aber in Berlin, das sein Trinkwasser fast komplett im Stadtgebiet gewinnt, kann langfristig ein Trinkwasserthema daraus werden. Auch deshalb gilt in der Wasserwirtschaft das „Minimierungsgebot“. Wasser wird im Gegensatz zu anderen Lebensmitteln oder Energieträgern nicht verbraucht, sondern nur genutzt. Irgendwann und irgendwo taucht es wieder auf im ewigen Kreislauf.

Der Aufwand von heute ist bei den Wasserbetrieben die Versicherung für morgen. Dabei werden Analyse- und Reinigungstechnik immer besser, aber auch immer teurer. Die Tarife sollen trotzdem zunächst bis 2021 stabil bleiben. Die Frage, wie viel des technisch Möglichen auch sinnvoll ist, stellt sich ständig neu.

Einer der etwa 50 Stoffe, für die die Trinkwasserverordnung Grenzwerte vorgibt, ist Nitrat – ein typisches Überbleibsel der Gülle aus Massentierhaltung. In den Regionen Deutschlands wie Niedersachsen, die die halbe Welt mit billigem Schweinefleisch versorgen, ist der Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter teilweise nur noch mühsam einzuhalten. „Beim Nitrat haben wir überhaupt keine Auffälligkeiten“, sagt Laborleiterin Uta Böckelmann. Die Großstadt kann ökologisch durchaus Vorteile haben. Vor allem, wenn ihr Boden das Wasser so gründlich filtert, wie der in Berlin es tut.

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