Ende des Bergbaus unter Tage: Steinmeier nimmt letztes Stück Steinkohle entgegen
Es ist ein schwerer Tag, sagt Bergmann Jürgen Jakubeit. Dann übergibt er dem Bundespräsidenten das letzte Stück Steinkohle. So endet heute eine Geschichte.
Ramazan Atli braucht nur wenige Worte, um die Arbeit unter Tage zu beschreiben. „Das ist meine Heimat“, sagt er. Im Schacht 1159 Meter unter Bottrop ist es warm, dunkel und dreckig. Ruß klebt auf Atlis weißer Arbeitskleidung und in seinem Gesicht. Man merkt schnell: Er wird diesen Ort vermissen, an dem die Kumpel zusammenhalten. An dem weder Religion noch Hautfarbe eine Rolle spielen. „Unter Tage sind eh alle schwarz“, sagt Atli. So einfach ist das.
Dass er einmal Bergmann werden würde, das war von klein auf klar. Schon sein Großvater hat Steinkohle abgebaut, damals noch in der Türkei. 1972 dann zog sein Vater als Gastarbeiter ins Ruhrgebiet, holte die Familie später nach. Bereits mit 17 arbeitete Atli selbst im Schacht. Erst stand er an der Maschine, die die Kohle aus dem Berg schnitt. Später wurde er Sprengmeister. Heute macht der 47-Jährige das, was gerade anfällt: Mal hilft er beim Aufräumen, mal führt er Besucher durch das unterirdische Labyrinth. Hauptsache, Atli kann so lange wie möglich dabeibleiben. Deshalb ist er nach Bottrop gewechselt, in die Zeche, die als Letztes schließt. Doch nun ist auch dort Schicht im Schacht.
Steinmeier spricht von einem "Tag der Trauer"
Symbolisch haben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker am Freitag das letzte Stück Steinkohle aus der Zeche Prosper Haniel entgegengenommen. Es sei ein schwerer Tag, sagte Bergmann Jürgen Jakubeit, als er Steinmeier den schwarzen, glänzenden Brocken übergab. Auch der Bundespräsident sprach „von einem Tag der Trauer, der viele Menschen in Deutschland bewegt“. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe die Kohle den Wohlstand gebracht hat. Gleichzeitig erinnerte Steinmeier aber auch an die harte Arbeit unter Tage. Und an die Gefahr – „niemals waren Angehörige sicher, ob alle gesund wieder nach oben kommen würden“. Steinmeier würdigte die Werte der Bergleute, ihren „mutigen Blick nach vorne und ihre Art anzupacken“. Deshalb sei ihm für die Zukunft des Ruhrgebiets nicht bange.
Den Abschied von der Kohle hat die Politik jahrelang vorbereitet – bereits 2007 hat man ihn beschlossen. Zu hoch waren die Subventionen, die der Staat in den Sektor stecken musste. Zu groß war die Konkurrenz aus dem Ausland, wo man Steinkohle oberirdisch und damit sehr viel günstiger abbauen konnte. Der frühere Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) sieht in dem Ausstieg aus der Steinkohle gar ein „Musterbeispiel“ für eine sozialverträgliche Abwicklung klimaschädlicher Industrien.
Den Strukturwandel hat das Ruhrgebiet noch nicht bewältigt
600.000 Kumpel haben einst in den Zechen geschuftet. Nach und nach hat man sie in den Vorruhestand geschickt. Die verbliebenen Bergmänner wechselten von einer Zeche, die dicht machte, zur nächsten. Andere wurden umgeschult. Doch auch wenn man offiziell keinen Kumpel „ins Bergfreie“ fallen ließ: Den Strukturwandel hat das Ruhrgebiet noch lange nicht bewältigt. Längst nicht allen Städten ist es gelungen, neue Industrien aufzubauen. Die Arbeitslosigkeit bleibt mit 8,8 Prozent hoch.
Am Tag des Abschieds jedoch überwiegen das Lob und die Wehmut. Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Gewerkschaft IG BCE, sagte, er hoffe, dass die Werte der Branche erhalten bleiben: „Dieses Land braucht wieder mehr Kumpelkultur.“ Bergmann Ramazan Atli wird versuchen, diese Einstellung an seine zwei Söhne weiterzugeben – wenn er ihnen schon seinen Beruf nicht vererben kann. Er selbst bleibt noch zwei Jahre auf dem Pütt, hilft bei der Abwicklung. Dann ist auch für ihn der Bergbau Geschichte.
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