90 Prozent nehmen VW-Vergleich an: So geht es jetzt weiter in der Dieselaffäre
Für 235.000 Kunden gibt es jetzt Geld, doch Dieselgate ist noch lange nicht vorbei. Es stehen Grundsatzurteile an, die nicht nur VW betreffen könnten.
Eine wichtige Etappe ist geschafft, doch der Dieselskandal geht weiter.
Am Dienstag wird sich erstmals der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage beschäftigen, ob die Eigentümer eines VW-Diesel mit Abschaltautomatik Schadensersatz verlangen können. Zusätzliche Brisanz kommt jetzt vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) aus Luxemburg. In ihrem Schlussplädoyer im Dieselstreit erklärte EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston am Donnerstag Abschalteinrichtungen in Dieselautos, mit denen der Abgasausstoß temperaturabhängig gesteuert wird, für illegal.
Das würde nicht nur Volkswagen, sondern alle Autobauer betreffen, die mit solchen Thermofenstern arbeiten. Zwar wird ein Urteil erst in drei bis sechs Monaten erwartet, doch in den meisten Fällen folgt das Gericht dem Schlussplädoyer. "Der gesamten Automobilindustrie drohen nun Rückrufs- und Klagewellen sowie Strafen in Milliardenhöhe", sagt Claus Goldenstein. Der Dieselanwalt vertritt den Kläger, der es als erster mit seinem Diesel bis vor den BGH geschafft hat und nun schon bald ein Grundsatzurteil zur Abgassoftware erwirken könnte.
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90 Prozent nehmen VW-Dieselvergleich an
Für 235.000 Eigentümer eines VW-Diesel ist eine wichtige Hürde jetzt aber schon genommen. Sie haben das Vergleichsangebot angenommen, das VW und der Bundesverband für die Verbraucherzentralen (VZBV) ausgehandelt hatten. Ab nächstem Dienstag gibt es Geld, je nach Modelltyp und -jahr zahlt VW eine Entschädigung von 1350 bis 6250 Euro. Die Frist für den Vergleich ist am Donnerstag abgelaufen, neue Anträge sind nicht mehr möglich. Allerdings können fehlende Unterlagen noch bis zum 8. Mai hochgeladen werden, teilte VW mit. Das Service-Center ist auch weiterhin erreichbar.
VW hatte 262.500 Verbraucher angeschrieben. Rund 90 Prozent haben den Vergleich angenommen. Sowohl der Autokonzern als auch die Verbraucherschützer sehen das als Erfolg. "Ziel des Vergleichs war, Zehntausenden Kunden, Volkswagen und dem Justizsystem langwierige Verfahren zu ersparen", betonte ein VW-Sprecher. "Dieses Ziel ist durch den erfolgreichen Vergleich erreicht".
Verbraucherschützer: Ein "historischer Prozess geht zu Ende"
"Noch nie zuvor konnten so viele Verbraucherinnen und Verbraucher auf einen Schlag von einem Verfahren profitieren", freut sich VZBV-Chef Klaus Müller. Der Vergleich war möglich geworden, nachdem der VZBV Musterfeststellungsklage gegen VW beim Oberlandesgericht Braunschweig eingereicht hatte. Die Klage hat der VZBV am Donnerstag zurückgenommen. Ein "historischer Prozess" sei beendet, so Müller.
Das Vergleichsangebot richtete sich ausschließlich an Menschen, die sich dieser Klage angeschlossen hatten und sich dazu in das Klageregister beim Bundesamt für Justiz hatten eintragen lassen. Allerdings waren Kläger, die ihr Auto nach dem 31. Dezember 2015 gekauft hatten und die ihren Wohnsitz beim Kauf im Ausland hatten, von dem Vergleich ausgenommen. Sie müssten jetzt auf eigene Faust klagen. Dazu haben sie bis Oktober Zeit.
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Damit können sie in Ruhe die weitere Rechtsprechung abwarten. Das betrifft vor allem das Urteil des Bundesgerichtshofs, aber auch die Einschätzung des EuGH.
Sollte der EuGH der Auffassung der Generalanwältin folgen, hätte das nach Meinung von Ralph Sauer weitreichende Folgen - für die Softwareupdates, mit denen nach Meinung von VW die Softwaremanipulationen beendet sind. "Auch nach dem Update arbeitet die Abschaltautomatik temperaturabhängig", gibt Sauer zu bedenken, der Teil des Anwaltsteams des VZBV bei der Musterfeststellungsklage war. "Das heißt, dass das Update den Schaden nicht behoben hat".
VW: EuGH-Fall hat für aktuelle Fälle keine Bedeutung
Volkswagen sieht das anders. Die durch die Generalanwältin geäußerte Auffassung zur rechtlichen Bewertung der Umschaltlogik habe für die juristische Aufarbeitung der Dieselthematik keinerlei Konsequenzen, sagte ein VW-Sprecher auf Anfrage. Diese Frage spiele in den laufenden Verfahren keine Rolle mehr.
Im Mittelpunkt der laufenden rechtlichen Auseinandersetzungen stehe vielmehr im Wesentlichen die Frage nach einem möglichen Schaden der betroffenen Fahrzeughalter. Hierzu habe sich die Generalanwältin in ihrer Stellungnahme aber nicht geäußert. "Volkwagen ist der Ansicht, dass seinen Kunden kein Schaden entstanden ist, da die ursprüngliche Umschaltlogik die Restwerte und das Software-Update die wesentlichen Fahrzeugeigenschaften nicht negativ verändert hat", betont Volkswagen.
Zur Frage, wie die europäische Vorschrift zum Ausnahmetatbestand des Motorschutzes zu verstehen ist, habe die Generalanwältin dem Gerichtshof eine allgemeine, technische Auslegung vorgeschlagen und betont, dass es Sache des nationalen Gerichts sei, dies im Einzelfall anzuwenden. "Volkswagen wird auch in Zukunft eng mit allen zuständigen Regulierungsbehörden zusammenarbeiten, um die geltenden rechtlichen Vorgaben vollständig umzusetzen", betont VW.
Im September 2015 war aufgeflogen, dass VW mit einer speziellen Software Abgaswerte bei Zulassungstests manipuliert hatte. Eine spezielle Software hatte erkannt, ob das Auto im Labor geprüft wurde oder auf der Straße unterwegs war. Bei den Tests lief die Abgasrückführung, die den Ausstoß von Stickoxid drosselt, auf vollen Touren, im Normalbetrieb wurde die Abgasrückführung dagegen gedrosselt.
Sind Thermofenster illegal?
Während die juristische Aufarbeitung des VW-Dieselskandals mit den Urteilen des BGH - im Sommer stehen noch zwei weitere Verfahren an - bald erledigt ist, ist die Frage der Thermofenster noch weitgehend ungeklärt. Diese dienen nach Darstellung der Autobauer dem Schutz der Motoren.
In der EU-Verordnung zur Typgenehmigung von Fahrzeugen der Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 sind Abschalteinrichtungen aber verboten. Wie passt das zusammen? Nach Meinung von Sharpston nicht so gut: Einrichtungen zur Abgasreinigung könnten zwar ausnahmsweise genehmigt werden, wenn sie nötig sind, um den Motor zu schützen und einen sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu ermöglichen, meint die Juristin, aber solche Ausnahmen seien eng auszulegen.