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Will den Dieselskandal hinter sich lassen: VW versucht, mit möglichst vielen Kunden Vergleiche zu schließen.
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Update

VW-Fahrer können sich bis 30. April anschließen: Volkswagen-Dieselvergleich geht in die Verlängerung

Eigentlich mussten sich Dieselopfer bis Montag dem Vergleich anschließen. Nun gibt es mehr Zeit - es ist sinnvoll, sich erst auf den letzten Drücker zu melden.

Dass sich Verbraucherschützer und der VW-Konzern einig sind, wenn es um den Dieselskandal geht, ist selten. Am Montag war es aber so weit. An diesem Tag sollte eigentlich die Frist für die Dieselkunden enden, den zwischen VW und dem Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) ausgehandelten Vergleich annehmen zu können.

Drei Viertel der Menschen, teilte Deutschlands größter Autobauer am Morgen mit, haben sich für den Vergleich entschieden, der je nach Modell und Modelljahr zwischen 1350 und 6250 Euro bringt. Von den 262.000 Fällen werden am Montag 200.000 abgeschlossen. Auf die Kunden wird eine Summe von 620 Millionen Euro verteilt, das Geld wird ab dem 5. Mai ausgezahlt.

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Rund 21.000 Fälle würden aber noch geprüft. Um weiteren Anspruchsberechtigten die Möglichkeit zu geben, sich zu registrieren und fehlende Unterlagen nachreichen, verlängerte der Konzern die Frist bis zum 30. April. Insgesamt hat Volkswagen für den Vergleich eine Summe von 830 Millionen Euro an Schadensersatz für manipulierte Diesel bereitgestellt.

Software-Update: Mit der neuen Software wollte VW das Problem lösen. Ob das geht, ist eine Frage, die der Europäische Gerichtshof demnächst entscheiden wird.
Software-Update: Mit der neuen Software wollte VW das Problem lösen. Ob das geht, ist eine Frage, die der Europäische Gerichtshof demnächst entscheiden wird.
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"Die hohe Zahl der heute geschlossenen Vergleiche zeigt, dass das Vergleichsangebot von unseren Kundinnen und Kunden als fair empfunden wurde und der Weg zum individuellen Vergleichsabschluss gut funktioniert hat", erklärte Hiltrud Werner, die im VW-Vorstand für Recht zuständig ist. 

"Damit haben wir zehntausenden Kunden, Volkswagen und dem Justizsystem langwierige Verfahren erspart", betonte VW-Justiziar Manfred Döss. Döss geht davon aus, dass sich die Zahl der Vergleichsabschlüsse noch erhöhen werde.

Auch Verbraucherschützer zufrieden

Dass sich so viele Menschen für den Vergleich entschieden haben, zeige, dass es "richtig war, ihn auszuhandeln“, sagte VZBV-Chef Klaus Müller. „Es ist das erste Mal, dass Verbraucher sich in einem Massenverfahren dieser Größenordnung gemeinsam gegen einen Betrug zur Wehr setzen konnten“, begrüßte der Verbraucherschützer. 

VW hatte sich Ende Februar im zweiten Anlauf mit dem VZBV auf einen Vergleich geeinigt. Damit will Volkswagen die Lasten durch den Dieselskandal eindämmen, der den Konzern bereits 31,3 Milliarden Euro gekostet hat.

Viele Verbraucher konnten sich nicht anmelden

Dass VW die Frist um zehn Tage verlängert, liegt nicht zuletzt an den Beschwerden vieler Verbraucher, die über Probleme mit der Abwicklung geklagt hatten. Beim VZBV hatten sich vor allem rund um die Osterfeiertage vermehrt Dieselkläger gemeldet und darüber geklagt, dass sie das Service-Center nicht erreicht hätten, Auskünfte missverständlich oder falsch gewesen seien und dass es ihnen nicht möglich gewesen sei, mit der Ombudsstelle Kontakt aufzunehmen. 

Viele Verbraucher bemängelten zudem, sie hätten trotz Eintragung im Klageregister beim Bundesamt für Justiz kein Anschreiben von VW erhalten, berichtete der VZBV am Montag.

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Die Frist, bis zu der sich zum Vergleich Berechtigte auf der Onlineplattform angemeldet und die entsprechenden Dokumente hochgeladen haben müssen, wurde daher bis zum 30. April verlängert. Verbrauchern, die die Vergleichskriterien erfüllen, aber noch keine Zugangsdaten haben, rät der VZBV, mit der Service-Hotline Kontakt aufzunehmen (05361-3790506). 

Bei Problemen soll Obudsstelle helfen

Sollten Verbraucher dort nicht erfolgreich sein, können sie darauf bestehen, dass ihr Fall der Ombudsstelle zur Prüfung vorgelegt wird. Die Ombudsstelle wird von der ehemaligen Justizministerin Brigitte Zypries, dem ehemaligen Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar und dem ehemaligen Versicherungsombudsmann Professor Günter Hirsch geleitet.

Musterprozess: Hunderttausende VW-Dieselkunden hatten sich der Musterfeststellungsklage der Verbraucherschützer angeschlossen.
Musterprozess: Hunderttausende VW-Dieselkunden hatten sich der Musterfeststellungsklage der Verbraucherschützer angeschlossen.
© REUTERS

Für Verbraucher, deren Vergleich jetzt noch nicht unter Dach und Fach ist, bietet die Fristverlängerung ungeahnte Möglichkeiten. Denn am 5. Mai beschäftigt sich der Bundesgerichtshof erstmals mit Dieselgate. Sollten die Richter noch am selben Tag ein Urteil fällen und sollte dieses verbraucherfreundlich ausfallen, könnten Verbraucher ihren Vergleich widerrufen und doch noch eine Einzelklage einreichen, die ihnen möglicherweise einen höheren Schadensersatz bringt. 

Die Widerrufsfrist für den Vergleich beträgt 14 Tage. "Die Vergleichsfrist beginnt dann zu laufen, wenn wir den Vergleichsschluss bestätigt haben", sagte ein VW-Sprecher. Das Widerrufsende könne daher also auch nach der mündlichen Verhandlung liegen. Allerdings rechnet VW nicht damit, dass der BGH bereits am 5. Mai entscheiden wird.

Auch der EuGH beschäftigt sich mit der Abgassteuerung

Interessant ist aber nicht nur der Prozess in Karlsruhe, sondern auch ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof. Dabei geht es um die Frage, ob Thermofenster generell zulässig sind oder nicht. Dürfen Autohersteller also den Ausstoß von Abgasen nach der Temperatur steuern? Diese Grundsatzfrage, glaubt Dieselanwalt Ralph Sauer, hätte auch Konsequenzen für die Software-Updates, die dann möglicherweise ebenfalls unzulässig wären. 

Egal, was kommt: "Kläger sind gut beraten, den Vergleich zeitlich auf den letzten Drücker anzunehmen", sagte der Anwalt dem Tagesspiegel. Damit gewinne man Zeit für einen möglichen Widerruf.

Viele wollen das Kapitel einfach hinter sich lassen

Viele Dieselkunden wollen das Kapitel um Abgasmanipulationen jedoch einfach abschließen. Hunderttausende hatten sich der Musterfeststellungsklage des VZBV gegen VW angeschlossen, weil sie nicht selber vor Gericht ziehen wollten.

Ursprünglich hatten sich 470.000 Personen für die Musterklage registriert. Die endgültige Zahl der Vergleichsberechtigten fiel niedriger aus, weil man sich in den Verhandlungen darauf verständigt hatte, nur Dieselhalter zu berücksichtigen, die ihren Wagen vor dem 1. Januar 2016 gekauft haben. 

Auch Kläger mit Sitz im Ausland wurden nicht berücksichtigt sowie doppelte und falsche Angaben aus dem Register getilgt. Der Autobauer hatte im September 2015 zugegeben, millionenfach Abgaswerte von Dieselautos mit einer Software frisiert zu haben.

Verbraucherschützer fordern Nachbesserungen für Musterklage

Mit dem außergerichtlichen Vergleich kann das Verfahren um die so genannte Musterfeststellungsklage vor dem Oberlandesgericht Braunschweig beendet werden. 

Es war der erste, viel beachtete Prozess für diese in Deutschland neu eingeführte Art der Sammelklage, mit der Verbraucher ihre Interessen vor Gericht bündeln können. Der Richter hatte sich schon früh für einen Vergleich ausgesprochen, um das Verfahren abzukürzen, das sich sonst über mehrere Jahre hätte hinzuziehen können.

Fordert Reformen: VZBV-Chef Klaus Müller will Massenklagen von Verbrauchern erleichtern.
Fordert Reformen: VZBV-Chef Klaus Müller will Massenklagen von Verbrauchern erleichtern.
© picture alliance/dpa

Trotz des Erfolgs der Musterfeststellungsklage fordert VZBV-Chef Müller Nachbesserungen. "Dass nun mehr als 200.000 Verbraucher in einem Massenverfahren eine Entschädigung erhalten, ist ein Erfolg, der ohne die Musterfeststellungsklage nicht möglich wäre“, betonte Müller. 

„Mit einer besseren Ausgestaltung des Gesetzes hätten jedoch wesentlich mehr Verbraucher profitieren können." Bei der Musterfeststellungsklage müssen Verbraucher am Ende des Verfahrens noch auf eigene Faust klagen, um ihren Anspruch durchzusetzen.

Erstes Urteil auch zum Nachfolgemotor

Die Musterfeststellungsklage hatte sich gegen den Dieselmotor EA189 gerichtet. Nun nehmen Dieselanwälte verstärkt den Nachfolgemotor EA288 ins Visier. Das Landgericht Regensburg bewertete die "Zykluserkennnung" des Motors kürzlich als sittenwidrige Schädigung und verurteilte VW zu Schadensersatz ((Urteil vom 06.02.2020, Az. 73 O 1181/19).

„Dieses Urteil zeigt, dass der Abgasskandal noch lange nicht vorbei ist“, erklärte Klägeranwalt Marco Rogert. „Im Gegenteil: Die Abgasmanipulation beim EA 288-Motor betrifft auch die vermeintlich sauberen Euro-6-Diesel – und damit Zigtausende Autokäufer, die nun gute Chancen auf Rückabwicklung und Rückerstattung des Kaufpreises haben. Wir rechnen mit einer weiteren Klagewelle und empfehlen allen Betroffenen, sich von einem Anwalt beraten zu lassen.“

Bei VW sieht man das anders. Das Kraftfahrtbundesamt sei bei Prüfungen des EA288 nicht auf eine unzulässige Abschalteinrichtung gestoßen, das Regensburger Urteil beruhe auf einem Prozessfehler, sagte ein VW-Sprecher. Volkswagen werde gegen die Entscheidung in die Berufung gehen. Von 325 Urteilen seien bisher 99 Prozent zugunsten von VW ausgefallen. "Von rund 1100 Verfahren sind gegenwärtig rund 200 Verfahren in der zweiten Instanz", heißt es bei VW auf Anfrage. "Vergleiche werden nicht geschlossen."

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