Saudi-Arabien: Sigmar Gabriels Rüstungsdilemma
Der Bundeswirtschaftsminister sucht einen neuen Ansatz in der Rüstungspolitik. Exporte in Länder wie Saudi-Arabien sollten der Vergangenheit angehören. Doch die Zahlen zeigen, Gabriels Ankündigungen decken sich nicht mit der Wirklichkeit.
Ein gutes Jahr ist vergangen, seit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel einen Kurswechsel bei der Genehmigung von Rüstungsexporten angekündigt hat. Es sei eine Schande, dass Deutschland zu den größten Waffenexporteuren gehöre, sagte der SPD-Chef damals im Interview mit dem „Stern“ – und kündigte zugleich eine restriktivere Genehmigungspraxis an. Seine rote Linie definierte Gabriel wie folgt: „Keine Waffen an Länder, in denen Bürgerkrieg herrscht. Auch Unrechtsregimen sollte man keine Waffen verkaufen.“
Tatsächlich legte der Minister im Februar Zahlen vor, die den Kurswechsel zu bestätigen schienen. So wurden 2014 Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter im Wert von 3,97 Milliarden Euro erteilt, während es 2013 noch Genehmigungen in Höhe von 5,85 Milliarden Euro waren. Seit 2008 lagen die Werte Jahr für Jahr jeweils zwischen 4,7 und 5,9 Milliarden Euro.
Die Ausfuhr an zweifelhafte Drittländer bleibt konstant
Macht Gabriel also ernst, müssen sich die Diktatoren und Despoten dieser Welt einen neuen Waffenlieferanten suchen? Ganz so einfach ist es nicht. Schon aus den Zahlen im Februar ging hervor, dass der Anteil der Genehmigungen für Exporte in sogenannte Drittländer 2014 mit mehr als 60 Prozent beinahe konstant geblieben war. Und darin liegt die Krux: Zu den Drittländern zählen all jene Staaten, die weder Mitglied der EU noch der Nato sind oder diesen zumindest - wie etwa Australien - gleichgestellt sind. Nicht selten handelt es bei diesen Ländern um Staaten, in denen Menschenrechte systematisch verletzt werden.
Neue Zahlen deuten darauf hin, dass Gabriels Ministerium auch im laufenden Jahr zu Ausnahmen bereit ist, wenn es um die Genehmigung von Rüstungslieferungen an Drittländer geht. So wurden bis Mitte April der Export von Rüstungsgütern im Wert von rund 30 Millionen Euro an Saudi-Arabien genehmigt. Munition wurde dabei ebenso geliefert, wie Komponenten für den Marschflugkörper „Storm Shadow“ sowie Zubehör für Kampfflugzeuge und gepanzerte Fahrzeuge. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt.
Nach wie vor mit im Geschäft: Saudi-Arabien, das elementare Menschenrechte verletzt
Die internationale Gemeinschaft wirft der Regierung in Riad seit Jahrzehnten vor, ihren Bürgern selbst die elementarsten Menschenrechte zu verwehren: Frauen werden im öffentlichen Leben diskriminiert, Homosexuellen droht die Todesstrafe und jede politische Opposition wird vom wahhabitischen Regime des Landes unterdrückt. Brisant sind die deutschen Rüstungslieferungen an die Saudis aber auch deshalb, weil der Staat seit März im Nachbarland Jemen einen Militäreinsatz anführt. Im Jemen liefern sich Huthi-Rebellen und verbündete Armeeeinheiten seit Wochen heftige Kämpfe mit den Truppen und Milizen von Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi. Die von den Saudis angeführte arabische Militärallianz fliegt seit Ende März Luftangriffe gegen die Huthis. Seit Beginn der Kämpfe wurden nach UN-Angaben mehr als 1200 Menschen getötet, die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) wirft Saudi-Arabien gar den Einsatz geächteter Streumunition vor. Trotz dieser Kampfhandlungen wurden vom Berliner Ministerium weitere Rüstungsexporte genehmigt: Allein im April seien Ausfuhrgenehmigungen mit einem Wert von 12,8 Millionen Euro für Saudi-Arabien erteilt worden, heißt es in der Antwort der Bundesregierung.
Den großen Worten folgen keine großen Taten: Gabriels Rüstungspolitik bleibt hinter den Ankündigungen zurück
Das Wirtschaftsministerium verteidigt die erteilten Exportgenehmigungen indes: „Die Bundesregierung hat bisher und wird weiterhin eine restriktive Rüstungsexportpolitik verfolgen. Entscheidungen werden jeweils im Einzelfall getroffen. Dabei werden alle Aspekte des jeweiligen Falls berücksichtigt, gewichtet und abgewogen“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums dem Tagesspiegel. „Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern wird nicht genehmigt in Länder, in denen durch den Export bestehende Spannungen oder Konflikte ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft werden.“
In der Opposition wird indes befürchtet, dass eben dies bei deutschen Rüstungslieferungen an den Golf der Fall ist: „Saudi-Arabien ist eine aggressive Macht, die ohne Rücksicht auf Verluste sein Militär einsetzt wie wir jetzt im Jemen sehen und schon in Bahrain gesehen haben. Das Land hätte nie mit deutschen Waffen beliefert werden dürfen", sagte Jan van Aken, Rüstungsexperte der Linkspartei, dem Tagesspiegel. Auch Agnieszka Brugger, sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, sieht die Genehmigungspraxis des Wirtschaftsministers kritisch: „Die Koalition verabschiedet sich immer mehr von den geltenden Grundsätzen für eine restriktive deutsche Rüstungsexportpolitik", sagte sie dem Tagesspiegel. „Sigmar Gabriel muss seine hehren Ankündigungen endlich mit einem glaubwürdigen Strategiewechsel und realer Politik umsetzen, sonst macht er sich und die Sozialdemokratie unglaubwürdig."
Gabriel unter Druck von Industrie und Gewerkschaften
Auf der anderen Seite sieht sich Gabriel dem Druck nicht nur der Industrie, sondern auch der traditionell SPD-freundlichen Gewerkschaftskreise ausgesetzt, seinen neuen Rüstungskurs zu überdenken. Die Debatte über Rüstungsexporte brauche „ein bisschen weniger Aufregung und vor allen Dingen keinen kurzfristigen Populismus, sondern eine langfristige Orientierung“, kritisierte etwa Roman Zitzelsberger, Chef der IG Metall Baden-Württemberg, 2014 den Vorstoß des Ministers. Damit steht fest: Angesichts wirtschaftlicher Interessen von Industrie und Arbeitnehmervertretern und seiner eigenen moralischen Ansprüche ist Sigmar Gabriel in einen Zwiespalt geraten. Handeln muss er dennoch.
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