Berliner Energiepolitik: Schachzug gegen Vattenfall
Im Verfahren um den Betrieb des Berliner Stromnetzes nutzt der Finanzsenator eine Gesetzesänderung. Der Netzinhaber und -betreiber Vattenfall ist empört.
Matthias Kollatz-Ahnen wartet auf das Bundesgesetzblatt. Es ist nur noch eine Frage von Tagen, bis dort die Änderungen im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) veröffentlicht und damit wirksam werden. Und dann wird Berlins Finanzsenator das novellierte EnWG im Verfahren um die Vergabe der Stromnetzkonzession nutzen. Eigentlich ist seit Monaten alles gesagt und getan, die drei Bieter reichten Ende August ihre Angebote bei der Vergabestelle in der Senatsfinanzverwaltung ein und warten seitdem auf die Entscheidung. Landtagswahl und Koalitionsverhandlungen kamen dazwischen. Und nun eben auch noch die Änderung des EnWG, die Kollatz-Ahnen anwenden will, um mehr Rechtssicherheit in das Verfahren zu kriegen. So lautet die offizielle Erklärung. Im Ergebnis richtet sich die erneute Verzögerung aber gegen Vattenfall. Kollatz-Ahnen (SPD) und die rot-rot-grüne Koalition wollen alles versuchen, um Vattenfall zu übergehen und der landeseigenen Berlin Energie den Zuschlag zu geben für das profitable Geschäft mit dem Stromnetz.
Der Senat will alle Netze übernehmen
„Die Koalition strebt eine 100-prozentige Rekommunalisierung des Stromnetzes an, unabhängig vom Ausgang des Konzessionsverfahrens.“ So steht es im Koalitionsvertrag von SPD, Linken und Grünen. Das Konzessionsverfahren „nach Recht und Gesetz diskriminierungsfrei“ weiter zu führen und am Ende dem erfahrenen Altkonzessionär Vattenfall nicht den Zuschlag zu geben – das ist indes nur schwer möglich. Und doch der erklärte Wille des Senats. Mit dem reformierten Energiewirtschaftsgesetz hat Kollatz-Ahnen jetzt einen Hebel, um Vattenfall zu ärgern und vielleicht sogar auszustechen.
Die Stromkonzession lief bereits 2014 aus
Eine Konzession räumt einem Dritten das Recht ein, einen Bereich der öffentlichen Hand zu nutzen. In der Regel werden die Konzessionen für 20 Jahre vergeben. Vor gut fünf Jahren begann in Berlin das Stromverfahren, die Konzession lief 2014 aus. Dass immer noch keine Entscheidung getroffen wurde, hängt auch mit dem vermurksten Gasverfahren zusammen: 2014 bekam der erst 2012 gegründete Landesbetrieb Berlin Energie den Zuschlag der Senatsverwaltung für Finanzen, damals noch unter dem Senator Ulrich Nußbaum. Die unterlegene Gasag klagte mit Erfolg dagegen, die juristische Auseinandersetzung dauert an. Bis zu einer endgültigen Entscheidung betreibt die Gasag das Gasnetz weiter.
Das Netz ist ungefähr zwei Milliarden Euro wert
Auch Altkonzessionär Vattenfall wird klagen, wenn Berlin Energie den Zuschlag für das Stromnetz bekommen sollte. Der dritte Bieter, die Genossenschaft Bürgerenergie Berlin, hat nur eine Außenseiterchance. Wer die Konzession bekommt, der besitzt in der Regel auch das Netz, dessen Wert auf rund zwei Milliarden Euro geschätzt wird. Mit dem Betrieb des Netzes wird jedes Jahr ein zwei- bis dreistelliger Millionengewinn gemacht. „Die Erträge aus dem Netzbetrieb sollen in der Stadt bleiben und in die Förderung der Energiewende fließen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Also nicht länger beim schwedischen Staatskonzern Vattenfall landen, der das Netz vor 15 Jahren zusammen mit der Bewag gekauft hatte.
Vattenfall will sich wehren
Das steht im Koalitionsvertrag, das ist der politische Wille. Der rechtliche Rahmen, in dem die Konzessionsvergabe abläuft, begrenzt indes den politischen Spielraum. Um diesen Spielraum zugunsten der Kommunen zu erweitern, wurde Ende 2016 das Energiewirtschaftsgesetz reformiert. Für Berlin heißt das: Eine Entscheidung gegen Vattenfall ist nun leichter möglich. Das sehen die Manager des schwedischen Konzerns auch so, entsprechend empört fielen die Reaktionen aus. Vattenfall prüft sogar Rechtsmittel gegen die Anwendung des neuen EnWG durch die Senatsverwaltung für Finanzen.
Rekommunalisierung ist der Trend der Zeit
Die Neufassung des Gesetzes findet in einer Zeit der Rekommunalisierung statt: Städte und Gemeinde wollen nach den in den 1990er Jahren beliebten Privatisierungen nun wieder mehr Zugriff auf kommunale Versorger und die Infrastruktur bekommen. Mit der Reform des EnWG blieb der Gesetzgeber zwar hinter den Wünschen der Kommunen zurück, die sich noch mehr Möglichkeiten in den Konzessionsverfahren gegenüber den oftmals von Konzernen gestellten Altkonzessionären gewünscht hatten. Was nun neu ist, sind klare Regeln bei der Festlegung des Netzpreises, wenn also das Netz von einem Altkonzessionär übergeht auf einen neuen, häufig kommunalen Netzbetreiber und dieser für das Netz zahlen muss. Ferner ist der Umgang mit Verfahrensfehlern neu geregelt: Sofern ein Bieter im Rahmen des Verfahrens Mängel entdeckt haben will, muss er diese sofort rügen. Bislang konnte er sammeln und am Ende, wenn der Bieter nicht den Zuschlag bekommen hatte, mit dem Hinweis auf Verfahrensfehler gegen die Vergabeentscheidung klagen. Das geht jetzt nicht mehr. Kurzum: Der Altkonzessionär hat am Ende weniger juristische Munition in der Hand als bisher. Klagen gegen die Vergabeentscheidung sind indes weiterhin möglich.
Es droht eine jahrelange Hängepartie
Bei Vattenfall ist man einigermaßen fassungslos über das Prozedere, schließlich ist das Verfahren mehr oder weniger abgeschlossen, die Angebote dürften geprüft sein, es fehlt nur noch die Entscheidung. Je nachdem, was in den kommenden Wochen an Rügen eingeht und wie die Vergabestelle damit umgeht, zieht sich das Verfahren weiter in die Länge. Womöglich sogar über Jahre. Das muss für Vattenfall nicht schlecht sein – denn bis zur rechtskräftigen Vergabe der Konzession betreibt der Konzern das Netz weiter.
Der Senat jedoch bekommt keinen Zugriff auf das Netz, das „für die Gestaltung der Energiewende wichtig ist“ (Koalitionsvertrag). Es droht nun, wie bei der Gasag, eine jahrelange Hängepartie. Oder das Kalkül der Politik geht auf: Vattenfall verliert die Lust an den Berliner Geschäften und verkauft sowohl seinen Anteil an der Gasag als auch das Stromnetz.