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Wer es gern sonnig hat, konnte 2018 genießen; so wie hier auf dem Tempelhofer Feld.
© Paul Zinken/dpa

Hitze und Trockenheit in Berlin: Das Wetter 2018 stellt alles in den Schatten

Dürre und Wärme dieses Jahres übertreffen alles bisher Bekannte - auch den "Jahrhundertsommer" 2003. Ohne Globalisierung gäbe es eine Hungersnot.

Meteorologisch ist der Sommer seit dem Wochenende vorbei – und die vorläufige Bilanz des Deutschen Wetterdienstes (DWD) klang wie eine leichte Entwarnung: Im Jahrhundertsommer 2003 – der mit bis zu 80.000 vorzeitigen Todesfällen und Milliardenschäden als schwerste Naturkatastrophe der jüngeren europäischen Geschichte gilt – war es noch heißer, so hat der DWD anhand seiner bundesweit rund 2000 Wetterstationen ermittelt. Eine Auswertung für Berlin zeigt allerdings, dass das Wetter hier selbst den Jahrhundertsommer buchstäblich in den Schatten stellt. Die Folgen dürften die ganze Region noch lange beschäftigen.

Ohne die Globalisierung würde der Nordosten Deutschlands jetzt unter einer Hungersnot leiden, sagt Jörg Riemann. Der Chefmeteorologe der Wettermanufaktur in Tempelhof hat die Wetterdaten der Region ausgewertet und in Archive geschaut. Dort fand er fürs Jahr 1540 Berichte über eine katastrophale Dürre, durch die das Essen knapp wurde.

Lückenlose Wetterdaten gibt es seit 1893, als die Station auf dem Potsdamer Telegrafenberg in Betrieb ging. Sie gilt bis heute als Referenz fürs ostdeutsche Binnenland. Weder hier noch in Berlin wurde 2018 ein neuer Tagesrekord gemessen: Bei 38 Grad war Schluss. Aber der Rückblick auf den Sommer insgesamt wimmelt von Rekorden. Weil anders als 2003 diesmal alle drei Sommermonate viel zu warm waren, überbietet 2018 mit einem Temperaturmittel von 20,7 Grad (inklusive Nächte!) den 2003er gleich um ein halbes Grad. Nimmt man das Frühjahr mit seinen rekordwarmen Monaten April und Mai dazu, wächst der Abstand zum bisherigen Spitzenjahr auf 1,3 Grad. „Diese anhaltend starke Wärme ist verbunden mit hoher Verdunstung, zumal die Luft sehr trocken war“, sagt Riemann. Seit Februar schaufeln immer neue Hochdruckgebiete die Luft aus Osten – mal aus Russland, mal vom Balkan her – zu uns und blocken die Regentiefs vom Atlantik ab. Eine grundsätzliche Änderung dieser Wetterlage ist nicht absehbar. Inzwischen ist das Land so ausgetrocknet, dass Regenwolken sich einfach auflösen.

Das Sonnen-Soll für 2018 ist schon übererfüllt

Entsprechend fällt die Sonnenscheinbilanz aus: Zwar wurde der Rekord aus dem Sommer 1947 knapp verfehlt, „aber mit dem Frühjahr dazu sind wir doch wieder an erster Stelle“, sagt Riemann. Vom Jahresbeginn bis Ende August schien die Sonne 1776 Stunden. Das sind nicht nur gigantische 131 Stunden mehr als im alten Rekordjahr 1947, sondern auch mehr als in einem durchschnittlichen Jahr überhaupt zu erwarten wäre. Selbst wenn es also bis Silvester grau bliebe, wäre 2018 in und um Berlin ein zu sonniges Jahr.

Tatsächlich aber sind für diesen Montag schon wieder sonnige 28 Grad angekündigt und für den Rest der Woche freundliches Spätsommerwetter. Immerhin sind keine weiteren Hitzetage mit mehr als 30 Grad in Sicht. Sechs solche Tage wären statistisch normal. 2003 waren es 22, in diesem Jahr 29. Oft folgen auf Hitzetage „Tropennächte“ mit mehr als 20 Grad. Eine pro Sommer ist üblich, sieben waren es in diesem Jahr. Extremfall war ein Tiefstwert von 24,4 Grad in Tegel und Tempelhof am Morgen des 1. August. Ein Wert wie an einem durchschnittlichen Sommernachmittag.

Indizien für wetterbedingte Sterbefälle

In solchen Phasen häufen sich in den besonders aufgeheizten Großstädten die Todesfälle, weiß man seit der Aufarbeitung von 2003. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ berichtete gestern, dass acht von neun angefragten Kommunen für 2018 ebenfalls Häufungen festgestellt hätten. Die Ausnahme in diesem noch nicht repräsentativen Bild war Friedrichshain-Kreuzberg – zugleich die einzige Berliner Datenquelle.

Bleibt das Thema Dürre: Der Sommer 1976 war deutlich trockener als der aktuelle, aber inklusive April und Mai ist 2018 wiederum das trockenste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen vor 125 Jahren. Nur an 19 der 92 Sommertage fiel in Berlin und Potsdam überhaupt Regen – so selten wie nie zuvor. Ohne das verregnete zweite Halbjahr 2017 wäre die Natur schon jetzt in katastrophaler Verfassung – mancher See nur noch eine Pfütze, mancher Fluss nur Schlamm. Die Böden bräuchten einen verregneten Herbst und einen schneereichen Winter, damit im Jahr 2019 noch großflächig Obst und Gemüse angebaut werden können.

„Statistisch kommt diese Kombination aus Trockenheit, Wärme und Sonnenreichtum wie 2018 nur einmal alle 200 bis 400 Jahre vor“, sagt der Meteorologe. Und hofft, dass sich diese Erkenntnis nicht auflöst wie die Wolken über Berlin.

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