E-Mobilität: Regeländerung bereitet Ladesäulen-Betreibern Probleme
Bis April müssen E-Ladesäulen einem neuen Standard entsprechen. Doch die Umrüstung ist teuer, Tausende Anlagen müssen sogar abgerissen werden.
Eine scheinbar kleine Regeländerung bereitet den Betreibern von Ladesäulen für Elektrofahrzeuge große Probleme. Ab dem 1. April müssen solche Säulen eichrechtskonform sein. Das bedeutet, dass sie spezielle Messsysteme besitzen müssen, die aufzeichnen, wie viel Strom wann und zu welcher Zeit ein E-Autofahrer an einer Ladesäule geladen hat. Die Preisangabenverordnung schreibt außerdem vor, dass kilowattstundengenau abgerechnet werden soll.
Die Idee für die neue Regelung ist durchaus sinnvoll: Bevor der E-Autofahrer den Stecker in sein Fahrzeug steckt, soll er wissen, was ihn die Kilowattstunde Strom kostet. Das hatten vor allem Verbraucherschützer gefordert: „Eine einheitliche Abrechnung nach Kilowattstunde schafft Vergleichbarkeit und Transparenz – und das wiederum Vertrauen in die Elektromobilität“, heißt es vom Bundesverband der Verbraucherzentralen.
Die Regeländerung wird aller Voraussicht nach drastische Folgen für die Branche haben. Einige Betreiber planen sogar, die Regeln zu ignorieren und damit noch nicht abschätzbare Rechtsrisiken einzugehen, wie Tagesspiegel-Background-Recherchen zeigen. Denn die Kosten für die Umstellung sind hoch, mit einer Software-Umstellung ist es nicht getan.
Lage für Wechselstromlader ein wenig besser
Was bedeutet die Eichrechtsreform konkret für die Tarife für E-Autos? Session Fees, also eine pauschale Abrechnung pro Ladevorgang, wie sie Ionity beispielsweise derzeit an seinen Schnellladern anbietet, sind – zumindest nach Ansicht der juristischen Berater im Bundeswirtschaftsministerium – ab dem 1. April hierzulande unzulässig.
Die Lage für Wechselstromlader (AC) ist ein wenig besser als die für Schnelllader mit Gleichstrom. Die für Wechselstrom nötigen Umrüstungen sind inzwischen technisch kein Problem. Zunächst war der Energieversorger Innogy lange Zeit der einzige Betreiber, dessen Ladesäulen standardmäßig eine eichrechtskonforme Abrechnung bieten konnte. Mittlerweile hat die zuständige Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) mindestens drei weitere Lösungen zertifiziert, mit denen eine solche Messung möglich ist, darunter eine des Sauerländer Ladesystemherstellers Mennekes, der sich deshalb über Großaufträge freuen kann.
Viele Betreiber schaffen es nicht bis April
Die Umrüstung bereits installierter Ladepunkte wird dauern, viele Betreiber werden das nicht schaffen bis April. Das hat auch das Bundeswirtschaftsministerium festgestellt: Laut einem internen Papier aus dem Ministerium, das Tagesspiegel Background vorliegt, gibt es einige Anbieter mit größerem Bestand, die mit der Nachrüstung erst Ende des Jahres fertig sein werden.
Ein großes Problem sind auch Ladesäulen, die gar nicht eichrechtskonform umrüstbar sind. Davon gibt es laut Informationen aus dem Ministerium 2566 Einrichtungen mit zwei Ladepunkten und 1081 mit einem Ladepunkt. Rechtlich gesehen müssen sie im April außer Betrieb genommen werden. Anbieter, die solche Ladesäulen weiter betreiben, begehen eine Ordnungswidrigkeit, ihnen drohen Strafzahlungen.
Verzwickte Lage bei Schnellladern
Für Schnelllader ist die Situation noch verzwickter. Das beklagt etwa Ionity, das Netzwerk von Ladeeinreichtungen, zu dem sich die Autobauer BMW, Daimler, Ford und Volkswagen zusammengeschlossen haben. „Da es bis zum 1.4. noch keine technische Möglichkeit gibt, eichrechtskonform Gleichstrom zu messen, ist es auch Ionity nicht möglich, die Anforderung zu erfüllen“, sagte ein Sprecher des Schnellladenetzwerks.
Mittelfristig wird sich die Lage bessern, mehrere Unternehmen haben angekündigt, eichrechtskonforme Gleichstrom-Lader zu entwickeln. So machte LEM der zulassenden Behörde PTB eine entsprechende Zusage. Vier weitere Hersteller erwarten im Laufe des zweiten Quartals einen positiven Bescheid.
Doch auch wenn es die technischen Lösungen gibt, bedeuten sie hohe zusätzliche Kosten für die Ladenetzbetreiber. Je nach Ladeleistung werden bei Schnellladern zwischen 600 und 2500 Euro für die Nachrüstung einer Ladestation veranschlagt.
Wieviel das insgesamt die Branche kosten wird, ist unklar. Ein hoher Millionenbetrag wird es mindestens, soviel ist sicher, aber genauer einordnen kann niemand die Belastung angesichts der äußerst unübersichtlichen Situation.
Drücken werden sich die Anbieter nicht können, denn eine weitere Fristverlängerung für die Aussetzung des Eichrechts und der Preisangabenverordnung wird es nicht geben. Als Begründung heißt es dazu auch in Kreisen des Bundeswirtschaftsministeriums: „Letztlich werden damit die Unternehmen bestraft, die bei der Elektromobilität als Pioniere vorangegangen sind.“ Das solle verhindert werden.
Ladesäulenbetrieber gehen ins Risiko
Müssen die Betreiber also eine Klagewelle fürchten? Dazu wird es nicht kommen, erwarten Branchenexperten. Die zuständigen Landeseich- und Preisbehörden scheinen ein Auge zuzudrücken. Für AC-Ladesäulen der alten Generation könnte es weiter Ausnahmen geben. Gleiches gilt für die bereits installierten Schnelllader, die sich aufgrund fehlender Messtechnik gar nicht fristgerecht umrüsten lassen.
Die Vorlage einer Absichtserklärung und eines Nachrüstplans bei den zuständigen Eichbehörden wird voraussichtlich reichen, um drohenden Ordnungswidrigkeits-Verfahren zu entgehen.
Wie lange gibt es Flatrates?
Unklar ist, welche Handhabe Kunden ab dem 1. April haben. Einige Betreiber, die zurzeit Flatrates pro Ladevorgang oder Minutenpreise anbieten, wollten sich auf Nachfrage von Tagesspiegel Background nicht zu ihren Umrüstplänen und möglichen neuen Tarifen äußern.
Hinter vorgehaltener Hand heißt es aber: Man sei bereit, eine Klage zu riskieren. Andere wiederum wollen ihre Tarife in den kommenden Wochen umstellen, darunter Ionity, wie zu hören ist.
Laut Simon Schäfer-Stradowsky vom Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM) ist die Rechtsunsicherheit für die Ladesäulenbetreiber ein Desaster. „Im vergangenen Jahrzehnt wurden mehrere hundert Millionen Euro in den Ausbau der Ladeinfrastruktur investiert“, sagt er. „Ohne vorher sicherzustellen, dass die mit Steuergeld installierten Ladesäulen eichrechtskonform sind.“
Nicht eichrechtskonform – reif für den Abriss?
Bei einer strengen Vollstreckung droht einigen davon ab April der Abriss. „Doch das Bundeswirtschaftsministerium hat bis heute keine Rechtssicherheit für die Betreiber hergestellt“, kritisiert Schäfer-Stradowsky. „Es gleicht einem Staatsversagen, ähnlich wie bei der Dieselkrise.“
Kritik an der Preisangabenverordnung kommt auch aus anderer Ecke: Claas Bracklo zweifelt, ob die kilowattstundengenaue Abrechnung für die Kunden tatsächlich der beste Weg ist. Für den Mobilfunk habe sich auch ein Mix aus flexiblen Tarifen und Flatrates bewährt, sagte der BMW-Manager, beim Autoindustrieverband VDA zuständig für Elektromobilität, vor einiger Zeit den „VDI-Nachrichten“.
Bracklo: „Wir brauchen Zeit, um intelligente, preiswerte und industrietaugliche Lösungen zu entwickeln, die zudem für ganz Europa gelten.“ Weltweit habe dafür sowieso niemand Verständnis.
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