zum Hauptinhalt
Tafeldienst. Im Mai besuchte Rösler Kalifornien. So eine große Start-up-Szene wie dort wünscht er sich auch für Deutschland.
© picture alliance / dpa

Philipp Rösler: Positive Lernkurve

Wirtschaftsminister Philipp Rösler hat Akzente gesetzt, Fehler gemacht – und scheint bereit für mehr. Eine Zwischenbilanz vor der Bundestagswahl.

Dieses Bild wird bleiben. Philipp Rösler, blauer Anzug, breites Lächeln, umarmt Kai Diekmann, Sweatshirt, reklameweiße Zähne, Hornbrille. Ein halbes Jahr ist dieses Foto vom Wirtschaftsminister und dem Chefredakteur der „Bild“ alt. Aufgenommen auf Röslers Reise durchs Silicon Valley, Ursprung und Herz der weltweiten Start-up-Szene. Silicon Valley, so etwas hätte Rösler gerne auch in Deutschland. Gemeinsam mit rund 100 Unternehmern ist er nach Kalifornien gereist, um zu demonstrieren: seine Aufgeschlossenheit gegenüber moderner Technik; seine Solidarität mit jungen, innovativen Köpfen; seine Entschlossenheit, der deutschen Wirtschaft Wege in die Zukunft zu ebnen. Stattdessen diskutieren Medien und Blogger zu Hause über dieses Foto. Umarmt Rösler? Wird er umarmt? Darf sich ein Minister mit der Presse gemein machen? Und umgekehrt?

Die junge digitale Wirtschaft ist das Thema, das sich der 40-jährige Rösler in seiner zweieinhalbjährigen Amtszeit gesucht hat. Hier funkt ihm keiner dazwischen, nicht der Finanzminister, nicht der Umweltminister. Es ist sein Alleinstellungsmerkmal. Und es ist mehr als taktisches Kalkül. So bescheinigen es ihm jedenfalls die, die ihn ins Silicon Valley begleitet haben. Der Minister sei voll im Stoff, sagt einer, der dabei war. Offen, sehr ansprechbar, wissbegierig. Wenn jetzt das Telefon klingele, könne auch schon mal Rösler persönlich dran sein – weil er eine Frage habe.

Inzwischen hat Rösler einen Beirat geschaffen, in dem Unternehmer und Wissenschaftler Handlungsempfehlungen abgeben, hat Gründerfonds aufgelegt, bemüht sich um die bessere Vernetzung von Start-ups mit etablierten Konzernen. Er besucht junge IT-lastige Unternehmen und trifft sich öffentlichkeitswirksam mit Geldgebern wie dem deutschstämmigen US-Investor Peter Thiel, der zu den frühen Förderern von Facebook gehört.

Im Ministerium selbst wird der Technologie-Fokus des Ministers nicht durchgehend mit Wohlwollen betrachtet. Für so manchen ist es ein Feigenblatt dafür, dass in anderen Bereichen die Bilanz eher durchwachsen ausfällt. In der Euro-Krise etwa hat sich der Minister gleich zu Beginn seiner Amtszeit ins Aus geschossen. Im September 2011 bringt er den Koalitionspartner gegen sich auf, als er eine geordnete Insolvenz für Griechenland für möglich hält. Ein Jahr später, während Bundeskanzlerin Angela Merkel in Urlaub ist, spricht der Vizekanzler plötzlich davon, dass ein möglicher Euro-Austritt der Griechen seinen Schrecken verloren habe. Bei einem Besuch mit deutschen Unternehmern schlägt er vor ziemlich genau zwei Jahren eine „Allianz für Wachstum“ vor. Genüsslich nimmt die Opposition die Ergebnisse der Initiative auseinander. Die zugesagte Hilfe bei der Verwaltungsreform griechischer Behörden werde durch die Aussage des Internationalen Währungsfonds (IWF) konterkariert, kommentiert Wolfgang Tiefensee, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPDFraktion. Der IWF sehe bei der Reform „beachtliche Defizite“. Den Aufbau einer staatlichen Förderbank nach dem Vorbild der KfW wollte Rösler ebenfalls vorantreiben. Ergebnis: Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) präsentierte im Juli in Athen den konkreten Plan für diese „Institution für Wachstum“ – ohne Rösler. „Außer Spesen nichts gewesen“, bilanziert Tiefensee.

Die verbalen Ausfälle Röslers und der über Jahre schlingernde Euro-Kurs seiner Partei haben nicht gerade zu einem besseren Klima zwischen Wirtschafts- und Finanzministerium beigetragen. Schon unter Brüderle sei es nicht gut gewesen, sagt einer, der in beiden Häusern oft ein und aus geht. „Mit Rösler hat sich das fortgesetzt. Das Verhältnis der beiden Minister ist zerrüttet.“ Rösler sei daran nicht unschuldig. Es fehle ihm mitunter an Fingerspitzengefühl und Instinkt. Als FDP-Minister eine wirtschaftsliberale Politik zu verfolgen sei auf der einen Seite völlig legitim. Auf der anderen Seite müsse man als Politiker in einer Schlüsselposition aber auch pragmatisch handeln können. Rösler hingegen habe ein echtes Talent für Eigentore.

In der Tat wirkt der Wirtschaftsminister in manchem, was er tut, unglücklich. Wie im vergangenen Jahr bei der Pleite der Drogeriemarktkette Schlecker. Mit einer Länderbürgschaft hatte Baden-Württembergs Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) die mehr als 11 000 Arbeitsplätze retten wollen. Die Bundesländer waren sich einig, doch die FDP blockierte in letzter Minute. Statt aufmunternde Worte zu finden, empfahl Rösler den Schlecker-Frauen eine schnelle Jobsuche. Es gelte für die Beschäftigten „schnellstmöglich eine Anschlussverwendung selber zu finden.“

Inzwischen bescheinigen Beobachter Rösler aber eine positive Lernkurve. Zum Beispiel bei der Energiewende. Nach einer Durststrecke hat er sich dem Vernehmen nach in die komplexe Materie eingearbeitet. Er habe Zahlen und Finanzierung mehr in den Vordergrund gerückt, was bitter nötig gewesen sei, heißt es nicht nur aus Industriekreisen. Beim Netzausbau soll sich der Minister als treibende Kraft profiliert und seine Länderkollegen auf Kurs gebracht haben. Der über Jahre aufgebaute Entscheidungsstau löse sich langsam auf. Dennoch lähmt das Kompetenzgerangel zwischen Wirtschafts- und dem Umweltministerium den Wandel von Atom- und fossilen hin zu erneuerbaren Energien. Nach Expertenangaben kümmern sich derzeit rund 80 Referate in sechs Ministerien um das Infrastrukturprojekt. Röslers Haus vertritt dabei in erster Linie die Interessen der Industrie. Die zeigt sich erwartungsgemäß zufrieden. Der Minister, so ist zu hören, habe seinem Haus nach einer jahrelangen Achterbahnfahrt unter seinen Vorgängern neue Stabilität und Selbstbewusstsein verliehen.

Simon Frost

Zur Startseite