Nationale Industriestrategie: Peter Altmaiers Suche nach der sozialen Marktwirtschaft
Der Minister will in den Markt eingreifen, damit Deutschland wettbewerbsfähig bleibt. Er ist sich bewusst, dass er damit die Tradition seiner Vorgänger bricht.
In weiten Teilen las sich die Rede, mit der Peter Altmaier am Dienstag seine Nationale Industriestrategie 2030 vorstellte, wie eine Entschuldigung. Eine Apologie an die wirtschaftspolitischen Grundsätze der Bundesrepublik. „Ich bin ein überzeugter Anhänger der Marktwirtschaft“, versicherte der Bundeswirtschaftsminister. „Und ein Bewunderer von Ludwig Erhard.“ Doch die geltenden Rahmenbedingungen sind aus Altmaiers Sicht nicht mehr geeignet, deutschen Firmen ein Bestehen auf dem Weltmarkt zu ermöglichen – und davon hänge Deutschlands Wohl ab. Gerade das Wohlstandsversprechen, das sein 20. Amtsvorgänger den Deutschen einst gab, zwinge ihn deshalb förmlich dazu, jetzt mit dem Staate ins Feld zu ziehen.
Und das tut der CDU-Politiker gleich an zwei Fronten, wie in dieser Woche deutlich wurde. Zum einen ist da seine eigene Industriestrategie, mit der er Schlüsselbranchen und -firmen massiv unterstützen will. Konzerne wie VW, Siemens, ThyssenKrupp oder die Deutsche Bank stünden damit ob ihrer Relevanz für den Wirtschaftsstandort praktisch unter Staatsschutz. Ziel ist die Bildung sogenannter „Champions“, die groß genug sind, um es mit der Konkurrenz aus China oder den USA aufzunehmen.
Zum anderen will Altmaier das Wettbewerbsrecht der EU reformieren. Denn just einen Tag nachdem der Wirtschaftsminister seine Pläne publik gemacht hatte, schob die EU-Kommission der Bildung eines ebensolchen „Champions“ einen Riegel vor, indem sie den Zusammenschluss der Zugsparten von Siemens und Alstom untersagte. Eine Entscheidung, die Altmaier „bei allem Respekt“ falsch findet, wie er gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Bruno Le Maire in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel erklärte. Beide kündigten an, bis Mai Vorschläge vorzulegen, wie das Wettbewerbsrecht der EU reformiert werden kann, damit nicht nochmal ein europäischer Großkonzern verhindert werde.
Und so zeigt sich am Ende dieser Woche, dass offenbar nicht nur der Wohlstand der Bundesrepublik auf dem Spiel steht, sondern auch das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft.
Auf Protektionismus reagiert Altmaier mit Protektionismus
Ja, soziale Marktwirtschaft bedeute, dass der Staat sich raushält, wenn er nicht gebraucht wird, gab auch Altmaier am Dienstag zu. Doch sei das derzeit nicht der Fall. „Es gibt offenbar Länder, die glauben, dass man den Welthandel nicht nur mit marktwirtschaftlichen Mitteln betreiben kann“, erklärte er. Stattdessen versuchten sie „mit Protektionismus, Interventionismus und durch das Setzen von Rahmenbedingungen dem eigenen Wirtschaftsraum Vorteile zu schaffen, die im freien Spiel der Kräfte vielleicht nicht ganz so einfach zu erreichen wären“.
Es ist kein Geheimnis, dass Altmaier mit dieser Umschreibung etwa auf China zielt. Durchaus überraschen darf aber, dass der Wirtschaftsminister aus dieser Analyse offenbar den Schluss zieht, diesen Verzerrungen des Wettbewerbs sei am besten mit noch mehr Verzerrungen zu begegnen. Auf Protektionismus will er antworten, indem er deutsche Firmen unter Artenschutz stellt, auf Interventionismus, indem er beim EU-Recht eingreift.
Es dauerte dann auch nicht lange, bis die führenden Wirtschaftswissenschaftler des Landes Altmaiers Pläne scharf kritisierten. Vier der fünf Wirtschaftsweisen bezeichneten die Nationale Industriestrategie am Donnerstag in der „Welt“ als „Anlass zu großer Sorge“. „Mit China in einen Wettlauf um Subventionierung, Regulierung, Protektionismus und Markteingriffe einzusteigen und ,deutsche’ Champions zu päppeln, erscheint wenig Erfolg versprechend“, schreiben die Ökonomieprofessoren Isabel Schnabel, Christoph Schmidt, Volker Wieland und Lars Feld.
Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wähnt die „Politik mit planwirtschaftlicher Industriepolitik auf dem Holzweg“. Mit seinem Vorhaben, das EU-Wettbewerbsrecht zu ändern, stößt Altmaier sogar bei seinen eigenen Beratern auf Widerstand. „Wenn gesagt wird, man müsse Wettbewerbsbehinderungen in Europa erlauben, damit europäische Unternehmen auf den Weltmärkten besser mithalten können, hätte das zur Konsequenz, dass die europäischen Konsumenten mehr zahlen müssen“, sagte der Chef der Monopolkommission, Achim Wambach, dem Tagesspiegel.
Wissenschaft fordert Bildungspolitik und Risikokapital
Doch in einem Punkt sind sich alle Experten einig: Es ist dringend notwendig, dass die Zukunftsfähigkeit der deutschen Industrie in die öffentliche Debatte rückt. Denn tatsächlich gibt es genug Anzeichen, dass Deutschland „zur Werkbank der anderen“ werden könnte, wie Altmaier es nennt. In der neuesten Wachstumsprognose der EU-Kommission belegt Deutschland den vorletzten Platz. Im Bundeshaushalt klafft ein Loch von 25 Milliarden Euro. Und dass US-Präsident Donald Trump den Freihandel, von dem Deutschland so profitiert, gerade in seine Einzelteile zerlegt, rundet das Bild ab, das einen die Sorgen des Wirtschaftsministers verstehen lässt.
Doch anstatt die deutsche Wirtschaft zu stärken, spricht Altmaier ihr das Misstrauen aus. Denn dass er Mega-Fusionen da für nötig hält, wo sie bisher verboten sind, und dass er staatliche Förderung in Aussicht stellt, wo bisher der Markt entschieden hat, ob sich Unterstützung lohnt, zeigt letztlich, dass Altmaier der deutschen Wirtschaft nicht mehr zutraut, ohne Hilfestellung die Innovationen zu erschaffen, die auf dem Weltmarkt gefragt sind. Diese pessimistische Einschätzung teilt nicht jeder. So wies EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in ihrer Begründung, warum sich Siemens und Alstom nicht zusammentun dürfen, auch darauf hin, dass beide Unternehmen ohnehin schon weltweit führend auf ihrem Gebiet seien.
Die Wirtschaftsweisen finden indes, dass eine gute physische Infrastruktur, nachhaltige Bildungspolitik und Förderung von Grundlagenforschung der deutschen Wirtschaft sehr viel mehr helfen würden als regulierende Eingriffe. Anlässlich des 70. Geburtstags der D-Mark forderte DIW-Präsident Marcel Fratzscher schon im vergangenen Sommer zudem bessere Rahmenbedingungen für die Bereitstellung von Risikokapital und anderer Investitionen. Und er stellte damals klar, dass die soziale Marktwirtschaft, der „geeignete Gesellschaftsvertrag“ sei. „Mehr denn je.“