Paketzulieferer: Per Gesetz gegen die Missstände
Arbeitsminister Hubertus Heil will die Arbeitsbedingungen in der Paketbranche verbessern. Doch ob seine Gesetzespläne ausreichen, ist fraglich.
Mickrige Löhne von 4,50 Euro pro Stunde und Arbeitstage, die bis zu 16 Stunden dauern: Die Gewerkschaften schlagen Alarm, dass sich in der Paketbranche in Deutschland Beschäftigungsverhältnisse ausbreiten, die massiv gegen geltende Arbeitsbestimmungen verstoßen. Verdi-Chef Frank Bsirske spricht sogar von „zum Teil mafiösen Strukturen“. Rechtzeitig vor dem Weihnachtsgeschäft will Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) deshalb in diesem Jahr ein Gesetz verabschieden, das für bessere Arbeitsbedingungen in der Branche sorgen soll.
"Unmenschliche Zustände"
Zum Problem sind nach Ansicht der Gewerkschaften die vielen Subunternehmer geworden, die für die großen Paketzulieferer auf dem boomenden Markt tätig sind. Diese beauftragen dann weitere Subunternehmer, deren Beschäftigte vornehmlich aus Osteuropa stammen, wie es bei Verdi heißt. Manchmal müssten die Lieferanten sogar in ihren eigenen Fahrzeugen schlafen, solche Zustände seien „unmenschlich“.
Auch die Fahnder der Finanzkontrolle Schwarzarbeit nehmen die Branche deshalb inzwischen unter die Lupe: Im Februar gab es eine bundesweite Razzia, bei der mehr als 12 000 Fahrer nach ihren Arbeitsverhältnissen befragt wurden. Noch sind die Überprüfungen nicht abgeschlossen, aber die Zoll-Mitarbeiter stellten bei ihren Kontrollen zahlreiche Verstöße fest: Manche Fahrer waren illegal beschäftigt oder konnten keinen Führerschein vorweisen, ein Teil der Arbeitgeber führte keine Sozialabgaben für die Beschäftigten ab, in Bremen wurden zwei Moldawier verhaftet, weil sie gefälschte Pässe hatten.
Viele Unternehmen zahlen keinen Mindestlohn
Weitaus häufiger gab es bei der Prüfung allerdings Hinweise darauf, dass die Beschäftigten nicht den gesetzlichen Mindestlohn erhalten. Seit dem 1. Januar 2019 steht den Fahrern ein Stundenlohn von 9,19 Euro zu. Doch bei 2143 der gut 12 000 kontrollierten Paketboten stießen die Zoll-Fahnder auf Unstimmigkeiten – also bei fast jedem fünften Beschäftigten. Das Hauptzollamt Duisburg kam in ersten Auswertungen zum Ergebnis, dass jeder dritte Arbeitgeber zu wenig Lohn zahle.
Arbeitsminister Heil will nun per Gesetz dafür sorgen, dass die Paketzusteller stärker für die zum Teil miserablen Arbeitsbedingungen in ihren Subunternehmen verantwortlich gemacht werden können. Schon heute können Auftraggeber mit Bußgeldern belangt werden, wenn sie keine Bezahlung nach Mindestlohn garantieren können. Doch nun will Heil diese so genannte Nachunternehmerhaftung in der Paketbranche auch auf die Sozialversicherungspflicht ausweiten. Die Zustellfirmen müssten dann auch dafür einstehen, wenn Subunternehmer keine Sozialbeiträge abführen. In der Bauwirtschaft gelten solche Haftungsregelungen bereits seit 2002, in der Fleischbranche wurden sie 2017 eingeführt.
Die Gewerkschaft Verdi begrüßt Heils Initiative. „Das ist eine weitere Planke, um den Arbeitsmarkt vor Auswüchsen zu bewahren“, sagt Sprecher Richard Rother. Thomas Bernhard, bei der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten für die Fleischbranche zuständig, ist hingegen deutlich skeptischer. Er hat Zweifel, dass die Pläne des Arbeitsministers die Missstände in der Paketbranche beheben können. Mitte 2017 hatte der Bundestag ein vergleichbares Gesetz für die Fleischwirtschaft beschlossen, die wegen der Zustände auf den Schlachthöfen immer wieder in die Schlagzeilen geriet. „In der Theorie ist diese Regelung gut“, sagt Bernhard. „Aber in der Praxis ist sie nicht umsetzbar und entfaltet kaum präventive Wirkung.“
Das liegt aus seiner Sicht zum einen an den langen Verfahrensdauern. Wenn die Zollfahnder Verstöße bei den Sozialbeiträgen feststellten, dauere es in der Regel ein Dreivierteljahr, bis es zu einer Anklage vor dem Sozialgericht komme. Und bis die Gerichte entschieden hätten, vergehe noch mehr Zeit. „Viele Arbeitnehmer, gerade aus dem Ausland, arbeiten dann schon längst woanders - oder die Ansprüche sind verjährt.“
Ein weiteres Problem sind nach Ansicht von Bernhard die seltenen Kontrollen. „Von den 1300 Betrieben in der Industrie werden nur 150 regelmäßig kontrolliert“, sagt er. Dabei gäbe es hier durchaus etwas zu holen, wie aktuelle Erhebungen zeigen. Danach verdoppelte sich die Summe der vom Zoll verhängten Strafen 2017 im Vergleich zum Vorjahr, obwohl im gleichen Zeitraum die Zahl der Kontrollen halbiert wurde. „Es würde sich lohnen, hier gründlicher hinzuschauen“, sagt er.
Der NGG-Mann sieht Parallelen zwischen den Zuständen in der Fleischwirtschaft Anfang der 2010er Jahre und der Paketbranche von heute. „Dort gibt es immer mehr Subunternehmer“, sagt er. Das sei „katastrophal“, weil die Arbeitsbedingungen sich so kaum überprüfen ließen. Er hielte es deshalb für sinnvoller, bei den Werkverträgen anzusetzen und deren Einsatz zu verbieten. „Die Unternehmen nutzen sonst jedes Schlupfloch aus“, sagt er.
Der Zoll braucht mehr Fahnder
Auch die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Beate Müller-Gemmeke sagt, es werde nicht reichen, die Unternehmen für die Zahlung von Sozialbeiträgen in Haftung zu nehmen. „Wir müssen auch das Personal bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit so aufstocken, dass regelmäßig und breit kontrolliert werden kann. Nur das hat einen abschreckenden Effekt auf Unternehmer, die sonst gegen die Regeln verstoßen“, sagt die Bundestagsabgeordnete. Sie hält es außerdem für notwendig, die Dokumentationspflichten in der Paketbranche zu verschärfen. „Wenn die Arbeitszeit täglich erfasst werden muss und nicht erst Tage später eingetragen werden kann, beugt das Missbrauch vor.“
Doch bevor Heil über strengere Dokumentationspflichten nachdenkt, muss er erst einmal den Koalitionspartner von seinem Gesetzesvorhaben überzeugen. Der CSU-Arbeitsmarktexperte Stephan Stracke betont zwar, dass auch seine Partei für Fairness am Arbeitsmarkt und das Funktionieren der Sozialsysteme stehe. Doch zunächst müsse es eine „ehrliche Analyse“ geben: Warum seien die Selbstheilungskräfte der Branche offenbar nicht ausreichend? Könnten die offenkundig bestehenden Kontrolldefizite in der Logistikbranche mit der Gesetzesvorlage von Finanzminister Olaf Scholz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch beseitigt werden, die erst vor kurzem vom Kabinett beschlossen wurde? Erst nach einer solchen Analyse stelle sich die Frage der Notwendigkeit von gesetzlichen Regulierungen, sagt CSU-Mann Stracke. „Herr Heil macht mit seiner Ankündigung den zweiten Schritt vor dem ersten. Das geht selten gut.“
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