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Leere Regale, diesmal nicht wegen Corona.
© imago / Gustavo Valiente

„Ich kaufe so schnell nichts mehr aus Europa“: Nun bekommen die Briten die Quittung für den Brexit

Viele exportorientierte Branchen kämpfen mit zusätzlicher Bürokratie und erhöhten Kosten durch den Brexit. Sogar Elton John und die Sex Pistols haben zu leiden.

Drei Wochen nach dem Ausscheiden aus dem EU-Binnenmarkt macht sich der Brexit zunehmend unangenehm bemerkbar. Trotz des in letzter Minute abgeschlossenen Abkommens zwischen der EU und ihrem ausgetretenen Ex-Mitglied beklagen Handelsunternehmen auf beiden Seiten des Ärmelkanals eine Vielzahl neuer Hindernisse und Gebühren.

Warenpakete stecken wochenlang beim Zoll fest, Trucker müssen Leerfahrten absolvieren. Der schottischen Fischindustrie verdirbt die frische Ware im Labyrinth neuer Vorschriften, prominente Musiker laufen Sturm gegen neue Visabedingungen.

Die Skepsis von Wirtschaftsverbänden nach der Bekanntgabe der GB/UK-Vereinbarung vom Heiligen Abend stellt sich mehr und mehr als weitsichtig heraus. Viele Pressemitteilungen enthielten einen „Seufzer der Erleichterung“, dem der langjährige Geschäftsführer der deutsch-britischen Handelskammer, Ulrich Hoppe, hinzufügte: „Es bleibt aber ein Seufzer, denn der Handel über den Kanal wird so oder so schwieriger und teurer.“

Kein Zweifel - was bei den weitgehend ahnungslosen Konsumenten ankommt, ist teurer und dauert länger als im alten Jahr. Bei der BBC beklagte sich die 26-Jährige Londonerin Ellie Huddleston über zusätzliche Gebühren für zwei Pakete aus der EU.

So belief sich die Endabrechnung für einen neuen Mantel auf umgerechnet 315 Euro statt der erwarteten 225 Euro, eine Steigerung um 41 Prozent. Beim zweiten Paket hätte der Preisaufschlag immerhin rund ein Drittel betragen. Huddleston ließ beide zurückschicken: „Ich kaufe so schnell nichts mehr aus Europa.“ Andere Kunden bezahlen und warten lang auf die Freigabe durch den Zoll.

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Weil Kurierfirmen die zusätzlichen Zölle und Mehrwertsteuern für Güter im Wert von mehr als 39 Pfund (44,08 Euro) im Namen der Regierung eintreiben müssen, wird alles teurer.

So erhebt das Frachtunternehmen TNT neuerdings eine Gebühr von 4,31 Pfund auf alle Sendungen von der EU ins Vereinigte Königreich und umgekehrt. Damit will man die Millionenkosten eintreiben, die durch den Brexit entstanden sind. Royal Mail verlangt 8 Pfund, bei DHL beträgt die Mindestgebühr sogar elf Pfund.

Firmen aus der EU liefern nicht mehr

Das dies mit dem lukrativen Online-Handel zwischen Insel und Kontinent auf Dauer anstellt, lässt sich leicht ausmalen. Schon verweigern einzelne Unternehmen wie der holländische Fahrradspezialist Dutch Bike Bits oder der belgische Bierlieferant Beer on Web die Belieferung britischer Kunden.

Auch manche Spediteure haben die Nase voll. DB Schenker setzte vergangene Woche die Lieferung von Waren nach Großbritannien aus, weil viel zu wenig Kunden auf dem Kontinent vollständige und korrekt ausgefüllte Formulare vorweisen können.

Auf der Insel ist die Unwissenheit womöglich noch höher, manche Unternehmen schätzen den Anteil der korrekt vorbereiteten Kunden auf lediglich zehn Prozent. Schon fahren immer mehr Trucker ihre Fahrzeuge lieber leer zurück aufs Festland als sich mit dem britischen Zoll herumzuschlagen. „Lieber leer als drei Tage Stillstand“, sagt einer.

Dabei gilt derzeit eigentlich noch eine Schonfrist für die Handeltreibenden. Zudem hatten viele Unternehmen im alten Jahr ihre Lagerbestände aufgefüllt, Automobilfirmen wie Nissan fuhren die Produktion herunter oder machten ganz Pause. Wenn die Lieferketten demnächst wieder normal, also just in time,  funktionieren sollen, dürfte es in den Kanalhäfen zu Engpässen kommen. Dabei machen die strengen Vorschriften zur Bekämpfung von Sars-CoV-2 das Leben der Lastwagenfahrer ohnehin schwierig.

Die Sex Pistols „auf beschämende Weise im Stich gelassen“

Neben vielem anderen hat die Pandemie die Tourneen von Orchestern und Bands zum Erliegen gebracht. Im Vorgriff auf bessere Zeiten haben jetzt prominente Musiker die viel schwierigeren Bedingungen für zukünftige Besuche auf dem Kontinent angeprangert.

Man sei von der Regierung „auf beschämende Weise im Stich gelassen“ worden, schrieben Prominente wie Simon Rattle, Elton John, Sting und die Sex Pistols in der „Times“. Um Zehntausenden von Fans live aufspielen zu können, seien zukünftig „teure Arbeitserlaubnisbewilligungen und ein Berg von Formularen für die Ausrüstung“ notwendig.

Tatsächlich dürfen beispielsweise britische Roadies die wertvollen Container mit Instrumenten und Verstärkern zukünftig nur noch in drei EU-Städte lenken; dann muss eine im Binnenmarkt registrierte Zugmaschine übernehmen.

London und Brüssel machen sich gegenseitig für die Probleme der Milliarden-Branche verantwortlich. Das sei tatsächlich „ein schwieriges Problem“, windet sich eine britische Regierungssprecherin, man peile neue Gespräche mit der EU an.

Die City wird leiden

Der Handelsexperte Jason Langrish war an der Ausarbeitung von Ceta, dem Freihandelsvertrag zwischen Kanada und der EU, beteiligt. Auf einer Veranstaltung des Londoner Clubs der Auslandspresse FPA sagte er neulich einen negativen Effekt des neuen britischen Status voraus, aber „keine unmittelbare Katastrophe: Das geht langsam und dauert.“

Nach und nach werde beispielsweise die Wettbewerbsfähigkeit der City of London unterminiert, bisher das wichtigste Finanzzentrum der Welt. Auch im wichtigen Automobilsektor würden sich die Zusatzkosten bald bemerkbar machen.

Was sich da machen lässt? Schon wird in Brüssel gemunkelt, man könne gewiss den für beide Seiten lukrativen Handel erleichtern, notwendig seien dafür aber gewisse britische Garantien, was die Einhaltung von Normen im Arbeits- und Umweltrecht angeht.

Genau bei jenen fairen Konkurrenzbedingungen für Unternehmen, dem sogenannten level playing field, werde London dem Kontinent entgegenkommen, glaubt Handelsexperte Langrish: „Und dann gehört das Königreich wieder zum Dunstkreis der EU.“

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