zum Hauptinhalt
Am Ziel. Boris Johnson verantwortete die "Leave"-Kampagne von 2016.
© AFP

Die Brexit-Saga ist zu Ende: Der Härtetest aber kommt erst noch

Tag eins nach dem britischen Ausscheiden aus der EU-Zollunion. Wie groß wird der Einschnitt sein, wie gut die Umsetzung des Post-Brexit-Vertrags gelingen?

Am Silvesterabend um 23 Uhr Ortszeit ist in London das letzte Kapitel in der Brexit-Saga zu Ende gegangen. Großbritannien hat nun auch den Binnenmarkt der EU und die Zollunion mit der Gemeinschaft verlassen. Während der britische Premierminister Boris Johnson in seiner Neujahrsansprache von einem „großartigen Moment“ sprach, war anschließend in der Praxis zunächst wenig von dem Einschnitt zu spüren.

Auch wenn für beiden Seiten künftig zusätzliche Zollformalitäten gelten, blieb ein befürchtetes Chaos im Süden Englands und am französischen Hafen Calais aus. Der Härtetest bei der Umsetzung des Post-Brexit-Vertrages dürfte allerdings Anfang Januar kommen, wenn nach den Feiertagen auch der Warenverkehr über den Ärmelkanal wieder absehbar zunehmen wird.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Nach dem an Heiligabend ausgehandelten Handelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien soll es auch künftig keine Zölle zwischen beiden Seiten geben. Allerdings müssen britische Exporteure künftig Nachweise über Produkt- und Lebensmittelstandards erbringen. Erleichterungen bringt dabei ein „Smart Border“-System, das Vorabanmeldungen beim Zoll auf EU-Seite vorsieht.

Dass trotzdem künftig wohl mit zusätzlichen Wartezeiten zu rechnen ist, zeigte sich am Freitag am walisischen Hafen Holyhead. Dort fehlten bei Gütertransporten in Richtung des EU-Mitglieds Irland die nötigen Dokumente; die Lieferungen mussten gestoppt werden.

Gibraltar gehört jetzt zum Schengen-Raum

Derweil ist seit Donnerstag definitiv ausgeschlossen, dass es demnächst im Süden der iberischen Halbinsel an den Grenzübergängen zwischen Spanien und dem zu Großbritannien gehörenden Gibraltar zu einem dauerhaften Chaos kommt. Gerade noch rechtzeitig vor Jahresende schlossen London und Madrid eine Vereinbarung ab, der zufolge Gibraltar künftig zum Schengen-Raum gehören wird.

Innerhalb des Schengen-Raums der EU gilt normalerweise der kontrollfreie Übergang für Bürger, die die Grenzen passieren. Im Fall Gibraltars bedeutet dies, dass auch künftig jene 15.000 Menschen aus Spanien, die täglich zum Affenfelsen pendeln, nicht kontrolliert werden.

Beim EU-Referendum im Jahr 2016 hatte Johnson den Briten versprochen, dass sie die Kontrolle über die eigenen Belange zurückerhalten würden. Tatsächlich ist Großbritannien laut dem Handelsabkommen mit der EU in Zukunft nicht mehr an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gebunden.

Mit der Regelung für Gibraltar gibt London allerdings Zuständigkeiten zum Teil aus der Hand. Denn die Mitgliedschaft der britischen Exklave im Schengen-Raum geschieht unter der Aufsicht Spaniens. Zudem müssen Briten, die von London nach Gibraltar fliegen, bei der Ankunft künftig einen Pass vorzeigen.

Selbst die „Sun“ hält sich beim endgültigen Brexit zurück

Derartige Details hielten in Großbritannien zumindest die Brexit-freundliche Boulevardzeitung „Daily Express“ nicht davon ab, am Neujahrstag die britische Flagge auf der Titelseite abzudrucken. Die Zeitung „Sun“, die sich ebenfalls immer wieder für den Brexit ausgesprochen hatte, zeigte sich hingegen vergleichsweise zurückhaltend. Das Blatt widmete ihren Titel nicht dem Brexit, sondern lieber der Corona-Pandemie.

In Schottland herrschte am Tag eins nach dem Ausscheiden aus dem Binnenmarkt und der Zollunion in jedem Fall Katerstimmung. Es passt zur Gemütslage in der Region nördlich des Hadrianswalls, dass dort die Feiern zum „Hogmanay“, dem traditionellen Jahresausklang, Corona-bedingt nur virtuell stattfanden.

Viele Menschen in Schottland, wo sich beim Referendum von 2016 eine Mehrheit für den Verbleib in der Gemeinschaft ausgesprochen hatte, blicken mit Wehmut auf den endgültigen Abschied von der EU. Die Erste Ministerin Schottlands, Nicola Sturgeon, kündigte zur Jahreswende per Twitter an, dass Schottland in der Europäischen Union „bald zurück“ sein werde.

Sturgeon hofft auf absolute Mehrheit bei Parlamentswahl

Sturgeon setzt darauf, dass ihre Schottische Nationalpartei (SNP) bei den Regionalwahlen im kommenden Mai die absolute Mehrheit erringt und anschließend bei einem Unabhängigkeitsreferendum ebenfalls den Sieg davonträgt. Derzeit befürworten laut einer Umfrage 58 Prozent der Schotten die Unabhängigkeit ihrer Region von London.

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon.
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon.
© AFP

Ob allerdings tatsächlich eine Rückkehr Schottlands in die EU via Unabhängigkeitsreferendum machbar ist, hängt von vielen Unwägbarkeiten ab. Zum einen ist unklar, ob sich die Schotten – Brexit hin oder her – im Moment der Wahrheit tatsächlich für eine wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich aussprechen würden.

2014 war ein Referendum zu Gunsten der Union mit London ausgegangen. Zudem verweigert Premier Johnson die nötige Zustimmung für eine Wiederholung des Unabhängigkeitsreferendums von 2014.

Eine Entscheidung ganz eigener Art musste Johnson indes in Sachen Brexit im engeren Familienkreis zur Kenntnis nehmen. Stanley Johnson, der Vater des Premierministers, will die französische Staatsbürgerschaft beantragen. Der 80-Jährige, der die britischen Konservativen früher im Europaparlament vertrat, sagte zur Begründung, er wolle eine Verbindung mit der EU bewahren. Und auch Johnsons Schwester Rachel erwägt, französische Staatsbürgerin zu werden.

Zur Startseite