Hessen nach dem Bayern-Beben: Nach der Wahl ist vor der Wahl
Die hessische Politik analysiert das bayerische Ergebnis mit Bangen und Hoffen: Die einen versuchen, sich abzugrenzen, die anderen surfen auf dem Erfolg mit.
- Maria Fiedler
- Hans Monath
- Cordula Eubel
- Stephan Haselberger
- Antje Sirleschtov
Nach der Wahl ist vor der Wahl – diesmal wirklich. Mit Bangen oder Hoffen analysieren die Parteien das Wahlergebnis in Bayern vor dem Hintergrund der nächsten Landtagswahl. Sie findet bereits in zwei Wochen (28. Oktober) in Hessen statt und ihr Ausgang könnte noch größere Auswirkungen auf die Bundespolitik haben, als es das bayerische Wahlergebnis zu haben scheint. Denn zumindest für CDU und SPD gilt: Mögen die Richtungs- und Machtkämpfe innerhalb der Parteien bis zur Wahl in Hessen mit Rücksicht auf die eigenen Wahlkämpfer noch ausbleiben, werden sie danach umso heftiger ausfallen.
Seit fünf Jahren regieren CDU und Grüne in Wiesbaden in einer Koalition, von der man sagt, sie kümmere sich geräuschlos um die Angelegenheiten des Bundeslandes. Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und der grüne Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir wollen diese Koalition gern fortsetzen. Doch es fehlt ihnen ausweislich der Umfragen knapp die Mehrheit. Nun liegt vor den Wahlkämpfern der Endspurt und es stellt sich die Frage: Was bedeutet das Bayern-Ergebnis für die Protagonisten?
VOLKER BOUFFIER (CDU)
Als Bouffier am Montag in der Berliner CDU-Zentrale vor die Kameras tritt, hängt hinter ihm ein riesenhaftes Plakat. „Jetzt geht’s um Hessen“ steht darauf und man soll diese Erinnerung als klare Abgrenzung von der Schwesterpartei CSU verstehen. Die nämlich hat in Bayern rund zehn Prozentpunkte unter anderem deshalb verloren, weil ihre Führungskräfte als Störenfriede in der großen Koalition in Berlin gelten.
Beim ihm in Hessen sei die CDU hingegen geschlossen. „Hessen ist anders“, betont Bouffier. Eines ist klar: Im Augenblick liegt die Hessen-CDU in den Umfragen ebenfalls rund zehn Prozent hinter dem Wahlergebnis von 2013 (38Prozent). Bleibt das so und verliert Bouffier sogar den Auftrag zur Regierungsbildung, wird auch Angela Merkel dafür zur Rechenschaft gezogen werden.
THORSTEN SCHÄFER-GÜMBEL (SPD)
Der SPD-Spitzenkandidat startete am Montag seine Bustour, mit der er in den letzten knapp zwei Wochen um Stimmen werben will. Für TSG, wie der 49-Jährige von Freund und Feind genannt wird, geht es um alles; es ist sein dritter und wohl auch letzter Versuch, das Ministerpräsidentenamt zu übernehmen. Schon vor Sonntag kämpfte er mit Gegenwind aus Berlin, jetzt muss er aufpassen, dass das Desaster der Bayern-Genossen seinen Wahlkampf nicht zusätzlich belastet.
Schäfer-Gümbel hat, wenn man den Umfragen glaubt, weit bessere Chancen als zuvor Bayern-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen. Die Hessen-SPD könnte 23 bis 25 Prozent erreichen, während Schwarz-Grün wegen der Verluste der CDU (28 bis 32 Prozent) nicht mehr sicher mit einer Mehrheit rechnen kann. Um seinen Regierungsanspruch deutlich zu machen, prophezeit der SPD-Politiker ein „Kopf-an-Kopf-Rennen“ mit der Union.
Tatsächlich ist seine aussichtsreichste Machtoption die des Juniorpartners in einer Koalition unter Führung der CDU, also genau die Konstellation, die der SPD im Bund so zu schaffen macht. Dennoch würde die SPD-Führung in Berlin das Ende von Schwarz-Grün in Wiesbaden als Erfolg feiern – in der Hoffnung, die Kritik in den eigenen Reihen damit zu besänftigen.
Geht die Hessen-Wahl dagegen krachend schief, müssen Parteichefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz mit einem Aufstand rechnen – gegen sie als Führungsfiguren und gegen die ungeliebte große Koalition.
TAREK AL-WAZIR/PRISKA HINZ (GRÜNE)
Eine bessere Ausgangslage für die Landtagswahl hätten die hessischen Grünen sich nicht wünschen können. Die Partei profitiert vom positiven Bundestrend, nun spornt auch das Rekordergebnis der Bayern-Grünen sie an: „Wir wollen auch in Hessen das beste Ergebnis erzielen, das wir je hatten“, erklärten die Spitzenkandidaten Tarek Al-Wazir und Priska Hinz am Tag nach der Bayern-Wahl. Ein Ziel, das laut Umfragen realistisch erscheint. Zuletzt erreichten die Grünen in Hessen Werte bis zu 18 Prozent, Wirtschaftsminister Al-Wazir schaffte es, zum beliebtesten Landespolitiker aufzusteigen.
Die letzten Regierungsjahre waren für Schwarz-Grün-Fans der Beleg, dass eine Koalition mit der CDU der Partei nicht schaden muss. Dennoch dürfte es im Wahlkampf-Endspurt für die Hessen-Grünen hilfreich sein, dass ihre Parteifreunde in Bayern nicht mit der CSU über eine Koalition verhandeln müssen.
In Hessen hat Al-Wazir Sympathien für die Fortsetzung von Schwarz-Grün erkennen lassen, aber seine Partei hält sich alle Optionen offen – auch Jamaika, eine Ampel oder Rot-Rot-Grün. Einen Fall möchten die grünen Wahlkämpfer sich allerdings lieber nicht ausmalen: dass sie gestärkt aus der Wahl hervorgehen, aber trotzdem in der Opposition landen.
RENÉ ROCK (FDP)
Der Spitzenkandidat der FDP im hessischen Landtag bietet sich am Tag nach der Bayern-Wahl ohne Umschweife als Mehrheitsbeschaffer für die bestehende schwarz-grüne Koalition an. „Ernsthaft“ wolle man ein Jamaika-Bündnis verhandeln, sagt er und findet, dass man mit CDU und Grünen inhaltliche Übereinstimmungen habe.
Rock selbst, ein eher stiller Wahlkämpfer, hat offensichtlich am Bayern-Ergebnis erkannt, dass die Zeiten nicht wirklich mit den Freien Demokraten sind: 5,1 Prozent für die Bayern-FDP, das hätte fast nicht gereicht. Und auch in Hessen kommt Rock in den Umfragen mit sechs Prozent nicht vom Fleck.
RAINER RAHN (AfD)
Nachdem die AfD in Bayern ihren eigenen, hochgesteckten Zielen nicht gerecht geworden ist, stehen die Wahlkämpfer in Hessen unter Druck. Parteichef Jörg Meuthen prognostiziert, dass die AfD in Hessen „deutlich höher“ liegen werde als in Bayern. Schließlich spielten dort die Freien Wähler, die in Bayern ein besseres Abschneiden der AfD verhindert hätten, keine Rolle.
Doch ob es aufgeht, „15 Prozent plus x“ zu erreichen, ist fraglich: Derzeit steht die AfD in Hessen bei 13Prozent. Und der als gemäßigt geltende Spitzenkandidat Rainer Rahn, ein pensionierter Zahnarzt, ist im Wahlkampf bislang wenig aufgefallen.
JANINE WISSLER/JAN SCHALAUSKE (LINKE)
Wenn die Linken in Hessen eines lernen mussten in den vergangenen Jahren, dann ist es das: Ob sie nun in den Umfragen vor der Landtagswahl bei vier oder sieben Prozent liegen, am Ende sind sie mit knapp über fünf Prozent im Landtag. Linken-Chefin Katja Kipping gab am Montag die Parole „volle Kraft voraus“ für die Wahl in zwei Wochen aus.
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