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Kehrseite der guten Bildung: Jugendliche mit hohem Schulabschluss nehmen Hauptschülern Ausbildungsplätze weg. Foto: F. Gabbert/dpa
© dpa-tmn

Ausbildung in Deutschland: Mehr Abiturienten als Hauptschüler

Viele Lehrstellen bleiben unbesetzt, die Bewerberzahlen in vielen Unternehmen schrumpfen. Dazu bildet nur noch jeder fünfte Betrieb aus. Ein Grund ist die Akademisierung.

Mittlerweile machen mehr Abiturienten als Hauptschüler eine duale Ausbildung in Deutschland. Die Chancen, eine Lehrstelle nach Wunsch zu bekommen, seien zwar noch nie so gut gewesen wie heute, schreibt die Bundesregierung im aktuellen Berufsbildungsbericht. Doch viele Bewerber würden den Ansprüchen der Unternehmen nicht genügen - weswegen immer mehr Lehrstellen unbesetzt blieben.

Auf 100 Schulabgänger, die einen Ausbildungsplatz suchten, kamen im vergangenen Jahr 104,2 Angebote. Gleichzeitig stieg die Zahl freier Stellen zum letzten Ausbildungsstart im September um 4,5 Prozent auf 43.500 – und mehr als 20.000 Jugendliche fanden keinen passenden Ausbildungsplatz.  Angebot und Nachfrage klaffen auseinander. Außerdem spüren die deutschen Unternehmen, dass die Bewerberzahlen wegen des demografischen Wandels schrumpfen und immer mehr Jugendliche studieren.

Ein Grund dafür ist die Blamage nach der Pisa-Studie im Jahr 2001, nach der es hieß: Mehr Abiturienten, mehr Hochschulabsolventen! Für viele Betriebe ist daraus geworden: Weniger Lehrlinge – weswegen die Tendenz dahin geht, nicht mehr auszubilden. Inzwischen tut das hierzulande nur noch jeder fünfte Betrieb.

1,2 Millionen ohne Ausbildung oder Studium

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) meinte, dass die Unternehmen wegen des Nachwuchsproblems zunehmend bereit seien, „leistungsschwächeren und jetzt auch Flüchtlingen eine Chance“ zu geben. Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht das ganz anders. „In der bundesweiten Lehrstellenbörse der Industrie- und Handelskammern bleiben fast zwei von drei Angeboten Hauptschülern von vornherein verschlossen“, sagte die stellvertretende Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Elke Hannack. Es gebe erstmals mehr Studienberechtigte (28 Prozent) als ehemalige Hauptschüler (26 Prozent) im dualen System.

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Susanne Eisenmann, wundert sich, dass es für die Wirtschaft so schwer sei, Hauptschüler in die Ausbildung zu integrieren. „Obwohl diese doch im klassischen Sinne für den Arbeitsmarkt ausgebildet sind“. Sie beobachte häufig eine Tendenz bei Arbeitgebern, lieber den Realschüler zu nehmen, der zweimal sitzengeblieben ist, als den Hauptschüler, der seine Schulkarriere gut und effizient geschafft hat. Dies könne auf Dauer nicht funktionieren. Nach Angaben des DGB haben in Deutschland rund 1,2 Millionen Menschen zwischen 20 und 29 keine abgeschlossene Ausbildung, befinden sich nicht in der Schule oder im Studium. Das sei in dieser Altersgruppe mehr als jeder Zehnte.

Trend geht weiter zu höherer Qualifizierung

Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wäre es ein Fehler, nun von einer „Über-Akademisierung“ in Deutschland zu sprechen. „So wichtig natürlich auch der Nachwuchs in den dualen Ausbildungsberufen für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland ist: es gibt keinen Grund, generell vor der Aufnahme eines Studiums zu warnen“, sagte IAB-Direktor Joachim Möller. Hochschulabsolventen würden immerhin besser verdienen und seltener arbeitslos werden. Seit 1991 habe sich der Akademikerarbeit unter den Erwerbstätigen auf 21 Prozent fast verdoppelt – und „Entwicklungen wie die Digitalisierung“ würden den Trend zur Höherqualifizierung auch eher weiter verstärkten.

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