Air-Berlin-Chef tritt zurück: Letzter Aufruf für Joachim Hunold
Fast beiläufig erklärte Joachim Hunold seinen überraschenden Rückzug. Der Manager machte aus einer angeschlagenen Mini-Gesellschaft den zweitgrößten deutschen Luftfahrtkonzern. Doch seit 2007 sinkt sein Stern.
Nach 20 Jahren an der Spitze gönnt er sich noch 20 Minuten Kribbeln. Eine Ewigkeit. Als Joachim Hunold am Morgen in die Garage des rotgeklinkerten Bürobaus am Saatwinkler Damm einfährt, weiß niemand in seiner Air-Berlin-Zentrale, was er plant. Er geht in den Konferenzraum mit der großen Fensterfront. Es ist Zeit für die Telefonkonferenz, die er alle drei Monate einberuft, um Journalisten und Investoren über die aktuellen Quartalszahlen zu informieren. Die Zahlen sind schlecht. Wie erwartet. Und wie üblich sind auch Air Berlins Finanzvorstand dabei und der Konzernsprecher, um das zu erklären. Nur ihnen verriet „der Achim“, wie ihn alle Mitarbeiter nennen, Minuten vor Beginn der Konferenz seinen Plan. Rücktritt.
Ab Punkt 10 Uhr referiert Hunold und Finanzchef Ulf Hüttmeyer dann Zahl um Zahl in einer 21-seitigen Präsentation, die sie zuvor an alle Fachleute verschickt hatten. Erst bei Seite 19, nach gut 20 Minuten, unterbricht Hunold seinen Finanzchef. „Bevor wir zum Ausblick kommen, möchte ich noch einen Hinweis in eigener Sache abgeben“, sagt er. Dazu werde in dieser Sekunde eine Adhoc-Meldung verschickt. Solche Meldungen sollen Börsenhändler über kursrelevante Ereignisse in Unternehmen zeitnah informieren. „Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass jetzt ein Führungswechsel unser eingeleitetes Programm ‚Shape and Size’ nur beschleunigen kann“, liest Hunold vom Blatt ab. Minuten später dreht der Aktienkurs von einem Minus von rund drei Prozent auf fünf Prozent ins Plus.
Für Zuhörer am anderen Ende der Telefonleitung klingt der verschachtelte Rücktrittssatz so beiläufig gesprochen, als ginge es hier um die Streichung der Strecke Paderborn nach Manchester, die er zuvor verkündet hat. Air Berlins Sprecher Uwe Berlinghoff, der mit im Raum sagt später: „Wer Hunold kennt, hat gemerkt, wie nah ihm das ging. Das war ganz deutlich zu sehen.“
Hunold hat oft in seiner Karriere einsame Entscheidungen getroffen. Das ist sicher Teil seines Erfolges. Er wurde vor bald 62 Jahren in Düsseldorf geboren als Sohn eines Waschmittelvertreters. Und es klingt fast wie ausgedacht, dass Hunold als junger Mann buchstäblich hoch hinaus will: Bei einem missglückten Hochsprung bricht er sich den Arm. Da war es aus mit dem Traum von der Karriere als Pilot bei der Lufthansa. Doch bis er zum Chef mehrerer Hundert Piloten aufsteigt, ist es noch ein weiter Weg. Abitur, dann das Jurastudium, das er 1978 abbricht. Er jobbt als Kellner in einer Düsseldorfer Altstadtkneipe, was er später „mein Psychologiestudium“ nennt.
Dann heuert Hunold als Kofferverlader am Düsseldorfer Flughafen an. Dort erkennt man schnell sein Talent als Manager. Er steigt zum Stationsleiter auf. 1982 wechselt er zum Ferienkonzern Tui. Während eines Streiks organisiert er blitzschnell, dass jeder, der irgendwie geradeaus gucken kann, mit anpackte. Am Ende kann der Betrieb fast reibungslos laufen. Hunold kommt in die Verkaufsabteilung, wird Marketingdirektor.
1990 gerät er in Streit mit dem Tui-Großaktionär WestLB und erhält eine großzügige Abfindung. Er beginnt Golf zu spielen und wittert dann die Chance: 1991 kauft er mit einigen Partnern die angeschlagene kleine Ferienfluglinie Air Berlin, 1978 in den USA gegründet, weil nur Gesellschaften der Alliierten ins eingeschlossene West-Berlin fliegen durften. Nach der Wende hatte Air Berlin eigentlich keine Existenzberechtigung mehr. Hunold organisiert mit zwei Boeings seine eigene Ferienfluggesellschaft. 2010 befördert er mit rund 160 Maschinen 33,6 Millionen Passagiere zu 163 Zielen in 36 Ländern.
Ein Jahr nach dem Börsengang 2006 beginnt der Stern Air Berlins zu sinken. Der Kurs erreicht mit mehr als 20 Euro je Aktie seinen Höhepunkt. Von da an geht es fast stetig bergab – und das obwohl die Fluggesellschaft ihren Umsatz immer weiter steigert. Gewinn aber bleibt die vergangenen drei Geschäftsjahre aus. Vor zwei Wochen landet der Kurs bei 2,40 Euro. Gestern schließt er wenig fester bei 2,45. Air Berlin ist damit billig zu haben für Konkurrenten. Hunold dürfte offenbar bewusst geworden sein, dass er allein es nicht mehr wird richten können.
Sein Abgang wird gemischt aufgenommen. „Joachim Hunold ist eine große unternehmerische Persönlichkeit, die sich um die deutsche Luftfahrt verdient gemacht hat“, erklärt Klaus-Peter Siegloch, Präsident des Luftverkehrsverbands BDL. „Er hat den Wettbewerb in dieser Branche gefördert und viel für die deutsche Wirtschaft geleistet.“ Eric Schweitzer, Präsident der Berliner IHK sagt: „Hunold ist und bleibt der Vater von Air Berlin.“ Die Fluggesellschaft stehe auch für die wiedergewonnene deutsche Einheit.
Die Gewerkschaften reagierten erwartungsgemäß verhalten. „Ein Neustart ist überfällig. Es ist aber kein Sparpaket, sondern ein echter Strategiewechsel nötig. Allen ist klar, dass es zu Veränderungen kommen muss, aber das darf nicht zulasten der Beschäftigten gehen“, sagt Verdi-Sprecher Christoph Schmitz in einer ersten Reaktion. Und bei der Pilotenvereinigung Cockpit heißt es, mit dem Führungswechsel hätten die „beständig schlechten Zahlen“ nun zu Konsequenzen geführt. „Das bisherige Geschäftsmodell ist gescheitert.“