Roter Donnerstag: Kurssturz in China reißt Dax unter 10.000 Punkte
Die hilflosen Versuche der chinesischen Behörden, den Kursverfall an der Börse und am Devisenmarkt zu stoppen, lösen Turbulenzen an den internationalen Aktienmärkten aus.
Um 1000 Punkte ist der Deutsche Aktienindex (Dax) in nur sechs Handelstagen abgerutscht. Allein am Donnerstag fiel der Leitindex bis zum Abend um 300 Punkte, ein Minus von rund drei Prozent. Das Jahr 2016 beginnt mit einem Mini-Crash an den Börsen. Auslöser des Ausverkaufs sind abermals die heftigen Turbulenzen an den chinesischen Märkten – und die vergeblichen Versuche der dortigen Behörden, weitere Kursverluste regulatorisch und mit großen Finanzspritzen zu verhindern. Am Donnerstag scheiterte das Manöver erneut. Nach nur einer halben Stunde wurde der Handel in Schanghai und Shenzhen automatisch gestoppt. Der Mechanismus, der eingeführt worden war, um Anlegern die Unsicherheit zu nehmen und Übertreibungen zu vermeiden, bewirkt das Gegenteil. Die Nervosität steigt.
„Chinas Börse ist kaputt“, sagte Sebastian Heilmann, Direktor des Mercator Institute for China Studies (Merics) in Berlin. Chinas Aktienmärkte hätten zwar stets als Kasino gegolten. „Doch selbst für Spekulanten sind sie heute zu gefährlich“, warnte Heilmann.
Sorge um einen Abwertungswettlauf in Asien
Mit Sorge beobachten Experten auch, dass China seine Währung Yuan immer weiter abwertet, um so die heimische Wirtschaft anzukurbeln. Eine schwächere Landeswährung macht chinesische Exportgüter im Ausland preiswerter. „Die Investoren fürchten sich zunehmend vor einem Abwertungswettlauf an Asiens Währungsmärkten“, sagte Jochen Stanzl, Chef-Analyst vom Handelshaus CMC Markets. Es sei nicht klar, wo die Regierung die Grenze für die Yuan-Abwertung sehe. „Die Angst vor dem Unbekannten hat den Deutschen Aktienindex fest im Griff“, sagte Stanzl. Seit Monaten leidet China unter massiven Kapitalabflüssen, die den Yuan-Kurs zusätzlich unter Druck setzen. „Zur Stabilisierung des Yuan löst die chinesische Notenbank weiterhin in großem Umfang Fremdwährungsbestände, primär US-Dollar-Bestände auf“, sagte Jens Klatt, Chefanalyst von Daily-FX. Diese summierten sich aktuell auf Monatsbasis auf ein Rekordhoch von 110 Milliarden Dollar. „Im Laufe des letzten Jahres verkaufte die chinesische Notenbank sogar mehr als eine halbe Billion ihrer Dollar-Bestände.“
Der britische Finanzminister George Osborne warnte vor globalen wirtschaftlichen und finanzpolitischen Turbulenzen. „Unsere Wirtschaft steht zu Jahresbeginn einem gefährlichen Cocktail von Bedrohungen aus dem Ausland gegenüber“, sagte er dem Sender BBC. Außer dem Unsicherheitsfaktor China nannte er die Lage in Russland und Brasilien sowie Instabilitäten im Nahen Osten. Der bekannte Hedgefonds-Manager George Soros fühlte sich bereits an die Anfänge der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 erinnert. „Ich würde sagen, das wächst sich zu einer Krise aus“, sagte Soros auf einer Veranstaltung in Sri Lanka. „Wenn ich mir die Finanzmärkte anschaue, dann gibt es dort ernste Probleme. Das erinnert mich an die Krise, die wir 2008 hatten.“ Schon im Sommer 2015 hatten die geldpolitischen Manöver, das nachlassende Wachstum der chinesischen Wirtschaft und Kurseinbrüche Anleger weltweit verunsichert.
Außenhandelsverband warnt vor Panik
Zugleich wurde am Donnerstag vor übertriebenen Reaktionen gewarnt. Anton Börner, Präsident des Bundesverbands des deutschen Groß- und Außenhandels, sieht trotz der Kurseinbrüche in China keinen Grund zur Panik. „Institutionelle Anleger und die Unternehmen durften bis zum Jahresende keine Aktien verkaufen“, sagte Börner dem Tagesspiegel, „da hat sich einiges angestaut, und nun bricht die Staumauer.“ Gefahren für die Weltwirtschaft sieht Börner aber nicht. Die Chinesen seien im Ausland nicht verschuldet, eine neue Finanzkrise drohe daher nicht. „Die Ansteckungsgefahr ist übersichtlich“, so Börner. Mögliche Absatzeinbußen in China könnte die deutsche Wirtschaft in den USA oder in Europa ausgleichen. „Man sollte sich nicht in Panikstimmung versetzen lassen“, mahnte der Verbandschef. Auch Ralph Wiechers, Chefvolkswirt des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), mahnte zur Besonnenheit. „Wir spüren bereits seit geraumer Zeit ein geringeres Wachstum“, sagte er. Maschinen machen etwa ein Viertel des gesamten Warenverkehrs von Deutschland nach China aus. In den Jahren 2010 und 2011 waren die Lieferungen der Branche noch um knapp 35 beziehungsweise 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. 2014 lag das Plus nur noch bei 3,8 Prozent, 2015 gingen die Ausfuhren nach China bis Ende September (Jahreszahlen liegen noch nicht vor) um knapp fünf Prozent zurück. „Die Aktienmärkte spiegeln letztlich die Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung in China wider", sagte VDMA-Volkswirt Wiechers. Das „Stimmungsbarometer“ beeinflusse die Investitionsbereitschaft der chinesischen Maschinenbaukunden, aber auch die Bereitschaft der in China aktiven deutschen Unternehmen, „sich dort zu engagieren und Risiken einzugehen“.
Optimistisch zeigte sich DZ-Bank- Volkswirt Stefan Bielmeier. „Das konjunkturelle und geldpolitische Umfeld spricht dafür, dass sich die Aktienmärkte in den Industrieländern wieder erholen werden“, sagte er. Der private Konsum in den Industrienationen sei derzeit die wichtigste Stütze für die Weltwirtschaft. mit rtr