Reform für Lebensversicherungen: Kunden können tausende Euro verlieren
Die niedrigen Zinsen machen auch den Lebensversicherungen zu schaffen. Wie schlimm ist die Lage, und was plant die Regierung, damit die Versicherer die Garantien ihrer Kunden einhalten können?
Jahrelang hat die Politik gepredigt, dass sich die Bürger nicht allein auf die gesetzliche Rente verlassen sollen. Der Appell ist auf fruchtbaren Boden gefallen: In Deutschland gibt es mehr Lebensversicherungen als Bürger. Über 93 Millionen Verträge haben die Menschen abgeschlossen, doch viele Versicherte bekommen jetzt kalte Füße.
Denn die niedrigen Zinsen machen den Lebensversicherungen schwer zu schaffen. Die Versicherer sind gesetzlich gehalten, das Geld ihrer Kunden in sichere Anlagen zu investieren. Statt mit Aktien zu spekulieren, stecken die Unternehmen daher den größten Teil der Versicherungsprämien, die sie von den Kunden bekommen, in festverzinsliche Wertpapiere – und bekommen dafür nur mickrige Zinsen. Im Jahresverlauf 2013 ist die Rendite öffentlicher Anleihen des Bundes auf durchschnittlich 1,6 Prozent gesunken. Das ist nicht viel.
Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Versicherer ihren Kunden deutlich höhere Zinsen versprochen und garantiert haben. Nimmt man alle laufenden Verträge zusammen, so liegt der Garantiezins im Bestand der Lebensversicherer derzeit im Schnitt bei 3,2 Prozent. Probleme bereiten den Unternehmen vor allem die Verträge aus der Hochzinsphase der 90er Jahre mit einem garantierten Zins von vier Prozent – für die gesamte Laufzeit von 20 oder 30 Jahren. Mögliche Überschussbeteiligungen kommen dann noch oben drauf.
Kunden können mehrere tausend Euro verlieren
Dass die Versicherer den Spagat zwischen niedrigen Kapitalmarktzinsen und höheren Garantiezinsen dennoch schaffen, liegt an dem Polster aus alten Zeiten. Viele Unternehmen haben in ihren Depots noch lang laufende Wertpapiere mit hohem Zinskupon. Je niedriger die Zinsen sind, desto höher steigen die alten Hochprozenter im Kurs. Das klingt beruhigend, ist es aber nicht. Denn seit 2008 müssen die Versicherungsgesellschaften per Gesetz Kunden, deren Versicherungen auslaufen oder gekündigt werden, zur Hälfte an diesen Kursgewinnen – den Bewertungsreserven – beteiligen. Das Problem: Die Ausschüttungen, die ausscheidende Kunden jetzt bekommen, fehlen den Versicherten, deren Verträge weiter laufen. Der Bundesregierung macht das Sorge. Deshalb hat das Kabinett am Mittwoch ein Maßnahmenpaket verabschiedet, das schon Ende Juli, Anfang August in Kraft treten soll. Wichtigster Punkt: Kann ein Unternehmen seine Garantien nicht mehr voll bedienen, soll die Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven entsprechend gekürzt werden. Beispiel: Kann ein Versicherer die Garantien nur noch zur Hälfte erfüllen, wird auch die Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven halbiert. Betroffen sind jedoch nur festverzinsliche Wertpapiere. Bei Aktien und Immobilien bleibt alles beim Alten.
Nach Berechnungen des Finanzministeriums würde die Neuregelung die Kunden, deren Vertrag ausläuft, im Schnitt 440 Euro kosten. Im Einzelfall könnte es aber deutlich mehr sein. Bei einer Auszahlung über 50 000 Euro beziffert Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg die möglichen Einbußen auf 2000 bis 4000 Euro. Kunden sollten sich daher von den Versicherern ausrechnen lassen, ob sich eine vorzeitige Kündigung lohnt, mit der man sich jetzt noch die volle Beteiligung an den Bewertungsreserven sichern würde.
Um nicht nur die Versicherungskunden zu belasten, sieht das Reformpaket jedoch auch Einschränkungen bei den Aktionären und den Versicherungsvertretern vor. So sollen Provisionen für die Vertreter nur noch in geringerem Maße auf die Kunden umgelegt werden. Kann ein Unternehmen seine Garantien nicht mehr voll zahlen und wird daher die Ausschüttung der Bewertungsreserven gekürzt oder ganz gestrichen, sollen die Dividenden für die Aktionäre im gleichen Verhältnis eingeschränkt werden. Zudem sollen die Versicherer Risikogewinne, die sie durch eine vorsichtige Kalkulation erzielen, verstärkt den Versicherten zugute kommen lassen.
„Mit der Reform sorgen wir dafür, dass die garantierten Zusagen auch in Zukunft erfüllt werden können“, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Die Versicherer fürchten jedoch, dass ihnen Kunden von der Fahne gehen – oder keine neuen kommen. Wahrscheinlich zu Recht. Denn für neue Verträge, die ab dem 1. Januar 2015 geschlossen werden, will die Regierung den Garantiezins von derzeit 1,75 auf 1,25 Prozent senken. Ob die Lebensversicherung dann noch die beliebteste Vorsorge bleibt?
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