Geldpolitik in Europa: Die EZB peilt den Nullkommanichts-Zins an
Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) wird heute voraussichtlich den Zinssatz erneut senken - auf ein historisches Tief. Was soll das bringen - und welche Risiken birgt es? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Die Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB) dürfte heute zu einer der wichtigsten der letzten Jahre werden. Die Dame – das deutsche EZB-Direktoriumsmitglied Sabine Lautenschläger – und die 17 Herren werden die Geldpolitik weiter lockern, mit zum Teil bislang nie praktizierten Schritten.
Warum halten die Notenbanker eine weitere Lockerung der Geldpolitik für notwendig?
Zwar läuft die Konjunktur in Deutschland nicht schlecht. Dagegen stockt es weiter in den südeuropäischen Krisenländern und mittlerweile auch in Frankreich. Dort weigern sich die Banken nach wie vor Kredite an Unternehmen und Verbraucher zu vergeben. Im April schrumpfte die Kreditvergabe in der Eurozone nach Angaben der EZB erneut um 1,8 Prozent, nach einem Minus von 2,2 Prozent im März.
Warum ist die niedrige Inflation ein Problem?
Im Mai dürfte sie in der Eurozone bei nur 0,6 Prozent gelegen haben. Die EZB wünscht sich eine Rate von knapp zwei Prozent. Damit sei Preisstabilität gewährleistet. Liegt sie deutlich darunter wachsen Deflationssorgen: In Erwartung anhaltend niedriger oder weiter sinkender Preise halten sich Unternehmen mit Investitionen zurück, Verbraucher mit Käufen, etwa von Haushaltsgeräten oder einem Auto. Das bremst die Konjunktur zusätzlich und treibt die Arbeitslosigkeit.
Was will die EZB gegen Kreditverdrossenheit und die zu schwache Inflation tun?
Erster Schritt ist, sagt Michael Schubert von der Commerzbank, die weitere Senkung des Leitzinses von aktuell 0,25 auf nur 0,10 Prozent. Damit können sich die Banken noch günstiger als bisher unbegrenzt bei der EZB- und den Euro-Notenbank Geld beschaffen.
Welche außergewöhnlichen Maßnahmen hat die EZB in petto?
Zum einen will sie als erste große Zentralbank den Banken nicht nur keine Zinsen zahlen (wie bisher) wenn sie Millionenbeträge bei ihr parken. Die Institute sollen dafür zahlen - einen Zins von möglicherweise 0,15 Prozent. Dieser negative Zins oder auch Strafzins soll die Banken veranlassen, das Geld als Kredit an Unternehmen und Verbraucher zu vergeben.
Wirkt dieser Schritt?
Das weiß niemand. In Dänemark hat man es vor Jahren versucht, mit gemischten Erfahrungen. Die Banken erhöhten einfach die Kreditzinsen und verteuerten so Darlehen an Unternehmen. Die Notenbank gab die negativen Einlagezinsen wieder auf.
Was die EZB außerdem plant
Was plant die EZB noch?
Offenbar will sie zum ersten Mal langfristige Kredite an Banken mit klaren Auflagen vergeben, so genannte konditionierte Tender. In erster Linie an Banken in den Krisenländern. Das Geld fließt nur dann wenn es auch in Form von Krediten vor allem an kleine und mittelständische Firmen weitergereicht wird. Angeblich könnte das Programm ein Volumen von bis zu 40 Milliarden Euro haben. Bisher reicht die EZB Kredite an Banken ohne Auflagen aus. Statt Kredite zu vergeben, kauften die dafür häufig Staatsanleihen. Auch der Krisenländer. Das half dort den Regierungen, nicht aber der Konjunktur.
Die EZB will offenbar auch den Markt für Verbriefungen wiederbeleben. Hier könnte die Notenbank den Banken so genannte ABS-Papiere abkaufen - Asset Backed Securities. In diesen Papieren werden Kredite gebündelt und im Paket an den Finanzmarkt gebracht. Kauft die EZB hätten die Banken neues Geld für neue Kredite zur Verfügung. Ob sie dann tatsächlich neue Kredite vergeben, und damit die Wirtschaft ankurbeln - was wiederum die Inflation treibt - weiß niemand. Im Übrigen haben Verbriefungen einen Makel. Sie waren 2008 ein wichtiger Auslöser für die Finanzkrise. Weil sich dahinter wertlose Kredite verbargen, wurden auch zuvor hoch gehandelte ABS-Papiere wertlos.
Kann es sich die EZB leisten, jetzt nichts zu tun?
Nein. Zum einen haben Draghi und Co. die Maßnahmen zuletzt in einer beispiellosen Offenheit angekündigt. Zum anderen steht die EZB trotz ihrer Unabhängigkeit unter enormen politischen Druck: Nicht nur die Regierungen in Südeuropa fordern weitere Schritte, auch die Regierung in Paris. Reformen werden in Frankreich nur zögerlich umgesetzt, die Wirtschaft ist schwach. Nicht zuletzt der Erfolg der Rechten bei der Europa-Wahl sorgt Präsident Hollande.
Welche Gefahren drohen bei diesen Schritten der EZB?
Viele bezweifeln die Wirksamkeit weiterer Schritte. Zum einen könne die Finanzstabilität gefährdet werden, an den Märkten drohten Blasen. Bei Negativzinsen würde es für Banken noch schwerer Gewinne einzufahren. Dabei wäre das notwendig, um mehr Eigenkapital zu erwirtschaften und die Geldhäuser zu stabilisieren.
Was bedeutet eine weitere geldpolitische Lockerung für Sparer und Verbraucher?
Einerseits werden die ohnehin schon mickrigen Zinsen auf Sparanlagen und Bundesanleihen weiter sinken. Auch die Probleme für Lebensversicherungen und Pensionskassen werden noch größer. Die Aussichten für Aktien dagegen bleiben rosig. Allerdings kaufen die Deutschen kaum Aktien, selbst solide Standardpapiere werden nicht genommen. Andererseits profitieren Verbraucher: Kredite bleiben günstig, auch Darlehen für die eigenen vier Wände. Der Zins für Zehn-Jahres-Hypotheken liegt aktuell im Schnitt bei etwa 2,25 Prozent, mitunter werden sogar weniger als zwei Prozent verlangt.