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Zu wenig Ruhezeit? Der Marburger Bund möchte verlässlichere Regelungen für Klinikärzte.
© Santiago Nunez / Photocase

Forderungen des Marburger Bundes: Klinikärzte wollen verlässlichere Ruhezeiten

Im Oktober beginnen Tarifverhandlungen für Ärzte an kommunalen Kliniken. Die Forderungen: 5,5 Prozent mehr Geld - und klarer geregelte Erholungszeiten.

Natürlich: Es wird ums Geld gehen, wenn sich der Marburger Bund (MB) am 14. Oktober mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) zur ersten Runde der Tarifverhandlungen für die rund 55.000 Ärzte an den etwa 500 kommunalen Kliniken in Deutschland trifft. Eine Gehaltssteigerung um 5,5 Prozent will die Klinikärzte-Gewerkschaft für ihre Mitglieder erreichen, bei einer Laufzeit von einem Jahr. Doch etwas anderes ist ihr diesmal mindestens genauso wichtig: das Festzurren besserer Arbeitsbedingungen durch nachgeschärfte Regelungen zu Ruhezeiten, Ruf- und Bereitschaftsdiensten in den Krankenhäusern.

Bisherige Ausnahmeregelungen dazu, so der Vorwurf von MB-Chefin Susanne Johna, seien von den Arbeitgebern „absichtlich falsch interpretiert“ worden, um keine zusätzlichen Ärzte einstellen zu müssen. Deshalb müsse man nun – mit Blick auf den Gesundheitsschutz der Betroffenen, aber auch im Interesse der Patienten, die nicht von übermüdeten Ärzten operiert werden wollten – „die Grenzen des Zulässigen noch klarer definieren“.

Ausnahmen wurden zur Regel

Seit dem 1. Januar 2020 haben Ärztinnen und Ärzte in kommunalen Kliniken allerdings Anspruch auf mindestens zwei arbeitsfreie Wochenenden pro Monat. Und sie haben im Monat grundsätzlich auch nur bis zu vier Bereitschaftsdienste zu leisten. Beide Limits dürfen nur überschritten werden, wenn andernfalls eine „Gefährdung der Patientensicherheit“ drohen würde.

Dem Marburger Bund zufolge ist die zugestandene Ausnahme aber für die Ärzte in vielen Häusern zur Regel geworden. „Wir haben lernen müssen, dass unter Gefährdung der Patientensicherheit sehr unterschiedliche Sachverhalte verstanden werden“, fasst Johna die Beobachtungen der Gewerkschaft zusammen. Fast könne man „den Eindruck haben, dass die Arbeitgeber schon die bloße Einhaltung arbeitszeitgesetzlicher Vorschriften als Gefährdung der Patientensicherheit betrachten“. Das könne nicht so weitergehen.

Um den Handlungsbedarf zu verdeutlichen, verweist die Verbandschefin auf die Ergebnisse einer Umfrage vom vergangenen Frühjahr. Demnach kamen im zweiten Kalenderhalbjahr 2020 rund 40 Prozent der befragten Klinikärzte im Schnitt auf mehr als vier Bereitschaftsdienste pro Monat. Solche „permanenten Überschreitungen“ seien nicht allein damit zu erklären, dass in all diesen Fällen die Sicherheit der Patient:innen gefährdet gewesen sei, so Johna. Viele Kliniken wollten schlicht und ergreifend Kosten sparen und verlegten immer mehr regelhafte Arbeit in die Zeit des Bereitschaftsdienstes. „Mit anderen Worten: Der Bereitschaftsdienst wird als Ersatz für Vollarbeit missbraucht, weil es teurer ist, zusätzliches Personal einzustellen und es die Klinik billiger kommt, den vorhandenen Ärztinnen und Ärzte eine Bereitschaftsdienstvergütung zu zahlen.“

Zusätzliche Dienste nur noch „im Notfall“

Deshalb werde der Marburger Bund die bestehenden Ausnahmeregelungen nun zu schärfen versuchen. Zum einen soll die Anordnung zusätzlicher Dienste künftig nur noch „im Notfall“ und nicht mehr nur bei angeblicher „Gefährdung der Patientensicherheit“ zulässig sein, die ja beispielsweise auch und womöglich sogar regelhaft durch schlechte Personalplanung oder Sparmanöver des Klinikbetreibers verursacht sein kann. Die Definition bezöge sich dann verlässlich auf den Paragrafen 14 im Arbeitszeitgesetz, wonach von den Regelungen nur „bei vorübergehenden Arbeiten in Notfällen und in außergewöhnlichen Fällen, die unabhängig vom Willen der Betroffenen eintreten und deren Folgen nicht auf andere Weise zu beseitigen sind“, abgewichen werden darf. 

Zum andern soll der Bezugsrahmen für die Begrenzungen und den Anspruch auf freie Wochenenden geändert werden. Bisher ist es so, dass pro Monat auch mal mehr Dienste abverlangt werden können, wenn nur der Durchschnitt bezogen aufs halbe Jahr gewahrt bleibt. Hier wolle man nun „zu einer reinen Monatsbetrachtung“, sagt Johna. Vorteil: Die Regelungen würden dadurch „klarer, transparenter und leichter handhabbar“. Niemand müsse dann mehr mit Zusatzdiensten überm Limit in Vorleistung gehen und sich in der Hoffnung auf späteren Ausgleich womöglich körperlich überfordern. Außerdem sollen die Ärzte ihre freien Wochenenden künftig nicht mehr beantragen müssen, sie sollen ihnen automatisch zustehen. Und ein freies Wochenende pro Kalendermonat soll in jedem Fall garantiert sein.

Rufbereitschaft als „Lückenbüßer“

Ein gesondertes Problem ist aus Gewerkschaftssicht die Rufbereitschaft von Klinikärzten. Hier benötige man nicht nur Klarstellungen, sondern eine grundlegende Reform, betont MB-Vize Andreas Botzlar. Anders als der Bereitschaftsdienst gehöre die Rufbereitschaft arbeitszeitrechtlich zur Ruhezeit. Inanspruchnahmen, also Arbeitsleistung in der Rufbereitschaft, dürften daher nur die Ausnahme sein. „Tatsächlich erleben wir hier aber eine Zunahme der Inanspruchnahme, beispielsweise via Telefon oder Telemedizin“, so Botzlar. Arbeit, die wegen Ärztemangels kaum noch in der regulären Zeit zu erledigen sei, werde „regelhaft in die Rufbereitschaft verlegt“. Die Folge: Erholung sei „vielfach gar nicht mehr möglich“.

Auch für diese Behauptung gibt es einen Umfragebeleg. Im Frühjahr erklärten rund 80 Prozent, also vier von fünf der Befragten, dass sie „in nahezu jeder Rufbereitschaft“ auch arbeiten müssten. Und etwa 70 Prozent gaben an, in ihrer Rufbereitschaft zu festen Zeiten – beispielsweise für Visiten – zur Arbeit gerufen zu werden. Daraus werde „klar ersichtlich, dass Kliniken die Rufbereitschaft zur Kompensation von fehlendem Personal missbrauchen“, so Botzlar. 47 Prozent der Befragten blieben denn auch trotz Rufbereitschaft gleich im Krankenhaus und arbeiteten direkt weiter. Die Rufbereitschaft werde „zum Lückenbüßer, um hausgemachte Defizite zu verschleiern“. Und die Arbeitgeber nutzten die Bereitschaft derer aus, die um das Wohl ihrer Patienten besorgt seien, um „den Laden am Laufen zuhalten“.

Für Kernruhezeit mit Kompensation

Künftig soll deshalb nach dem Willen der Gewerkschaft auch für Ärztinnen und Ärzte in Rufbereitschaft zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens eine „Kernruhezeit“ festgeschrieben werden. Bei Unterbrechungen in dieser Phase der Nacht, soll die Ruhezeit verlängert werden. Ärzte, die deshalb dann einen Dienst nicht antreten könnten, dürften „keine Nachteile erleiden“. Und auch Unterscheidungen nach der Form ärztlicher Inanspruchnahme müssten fallen, fordert Botzlar. Es müsse „endlich anerkannt werden, dass auch die Unterbrechung der Erholung durch ständige Anrufe in der Nacht in hohem Maße belastend ist“. Gleichzeitig soll die maximale Zahl der Rufbereitschaften auf monatlich 12 begrenzt werden. Bisher gibt es hier überhaupt keine Deckelung.

Was die Bezahlung von Diensten in Ruhezeiten betrifft, strebt der Marburger Bund lediglich eine höhere Bereithaltepauschale an. Statt des Zweifachen des normalen Stundenentgelts während der Woche und des Vierfachen an Wochenende und Feiertagen, fordere man nun das Drei- beziehungsweise Sechsfache. Bei der Vergütung von Inanspruchnahmen während Ruhezeiten soll es beim bisherigen vierfachen Entgelt bleiben.

Arbeitgeber bezeichnen Forderungen als nicht erfüllbar

Die VKA lehnte die Forderungen des Marburger Bundes gestern in einer ersten Reaktion ab. Zur Begründung wurden Mehrkosten von allein rund 420 Millionen Euro für kommunale Krankenhäuser genannt. Zudem benötige man „zwingend flexible Regelungen“ bei Ruf- und Bereitschaftsdiensten. Dass die Pandemie zu Mehrbelastungen bei vielen Ärztinnen und Ärzten geführt habe, sei der Arbeitgebervereinigung bewusst, sagte Verhandlungsführer Wolfgang Heyl. Die Forderungen müssten jedoch „Maß und Mitte haben“. Über dieses Ziel sei der Marburger Bund „deutlich hinausgeschossen“.

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