Streik von Lokführern und Piloten: Klare Regeln für die Sparten
Lokführer und Piloten haben das Recht, sich zur Wehr zu setzen. Aber es kann nicht sein, dass sie regelmäßig das Land lahmlegen. Deshalb braucht es endlich ein Gesetz zur Tarifeinheit. Ein Kommentar.
Ein Streik ist das letzte Mittel im Konflikt um die Arbeitsbedingungen. Im Arbeitskampf riskieren die Arbeitnehmervertreter eine blutige Nase. Oder Schlimmeres: Manche Gewerkschaft streikte sich schon auf die Intensivstation – und das halbe Land gleich mit. Unvergessen sind die britischen Bergarbeiter in den Jahren 1984 und 1985: Unter Führung von Arthur Scargill kämpften sie ein Jahr lang gegen die Stilllegung und Privatisierung ihrer Zechen. Am Ende war die neoliberal verbohrte Premierministerin Margaret Thatcher stark wie nie, die „Eiserne Lady“ hinterließ ein dereguliertes und privatisiertes Land, in dem „Gewerkschaft“ ein Schimpfwort wurde und in dem bis heute kein Deutscher Bahn fahren oder gar im Krankenhaus liegen mag.
Geschichte wiederholt sich nicht, jedenfalls nie genau so. Gleichwohl sind die aktuellen Konflikte der Lokführer und Piloten, die Deutschland lähmen, der bestmögliche Anlass, die Rolle der Gewerkschaften und die Funktionen ihrer Instrumente klarer zu definieren, sie besser zu regeln – und zwar im Sinne der Arbeitnehmerrechte. So wie es jetzt ist, kann es jedenfalls nicht weitergehen.
Die Lokführer nutzen das Instrument des Streiks – anders als sie behaupten – nicht in erster Linie, um ihre legitimen Forderungen nach geringeren Arbeitszeiten und höheren Bezügen durchzusetzen, sondern um sich bei anderen Bahn- Beschäftigten beliebt zu machen. Der Streik, der Millionen Pendler ausbremst, ist eine Werbebotschaft an 17 000 Zugbegleiter, Bordgastronomen und Disponenten der Deutschen Bahn. „Lasst euch nicht mehr von der zahmen Konkurrenzgewerkschaft EVG vertreten, sondern von uns, der arbeitskampferprobten GDL“, lautet die Botschaft. Das ist ein Missbrauch des Streikrechts, das sich im Übrigen nur indirekt aus dem Grundgesetz ableiten lässt – und das es zu schützen gilt.
Grundsätze fehlen
Die amtierende Bundesregierung wäre nicht die erste, die versucht, zum Kern des Problems vorzudringen, aber an der Komplexität der Materie und den Interessen einzelner Organisationen scheitert. Dabei könnte man sich schnell auf ein paar Grundsätze einigen: Arbeitnehmer sollen auf Augenhöhe mit Arbeitgebern, ohne Einmischung der Regierenden, über ihre Arbeitsbedingungen verhandeln. Streiks müssen als letztes Mittel immer möglich sein – auch Inhaber von Schlüsselpositionen, sprich Lokführer, Piloten, Flugsicherer und Ärzte, müssen streiken dürfen.
Das ergibt sich allein schon aus dem Umstand, dass Regierungen und Parlamente (übrigens ganz im Geiste Margaret Thatchers) über Jahrzehnte entschieden haben, zentrale Dienstleitungen nicht mehr als Teil der staatlichen Daseinsvorsorge zu begreifen. Ein Land, das Piloten und Briefträger nicht mehr als Angestellte oder Beamte von Staatsunternehmen haben will, sondern die Arbeit Angestellte von privaten Aktiengesellschaften machen lässt, muss damit leben, dass diese sich zur Wehr setzen.
Zuständigkeiten müssen geklärt werden
Das aber rechtfertigt nicht, dass Spartengewerkschaften das Land regelmäßig lahmlegen und sich dabei auf Artikel 9 des Grundgesetzes berufen, wo das Recht zur Koalitions- und Vereinsfreiheit verankert ist. Nur weil es jedem Mann und jeder Frau freisteht, seine und ihre Interessen von dieser oder jener Gruppierung vertreten zu lassen, kann eine Gesellschaft nicht dauerhaft hinnehmen, dass Gewerkschaften die Rechtslage nutzen, um sich gegenseitig Mitglieder durch spektakuläre Streiks abzujagen.
Es braucht endlich ein Gesetz zur Tarifeinheit, Regeln, welche Organisation das Recht hat, für eine spezielle Berufsgruppe zu verhandeln. Es wäre im Sinne aller Beteiligten, wenn Arbeitgeber wissen, wer ihr Verhandlungpartner ist und wer es nicht sein muss. Tarifverhandlungen dürfen nicht länger am Streit über Spielregeln und Zuständigkeiten scheitern. Wer Mitarbeiterrechte erhalten und gleichzeitig das Land vor Streiks bewahren will, die nicht dem eigentlichen Zweck dienen, sollte den Spartengewerkschaften klare Grenzen setzen. Das würde die Akzeptanz von Gewerkschaften insgesamt stärken und ihre Instrumente langfristig schützen.