Standortwahl für Forschungsfabrik Batteriezelle: Karliczek muss umstrittenen Zuschlag für Münster erklären
In Münster soll die Forschungsfabrik Batteriezellen ihren Sitz bekommen. Die Forschungsministerin hat ihren Wahlkreis nebenan. Die Opposition hat Fragen.
Das passt: Die CDU-Abgeordnete Sybille Benning leitet an diesem Mittwoch die Sitzung des Forschungsausschusses im Bundestag, bei der die Opposition von Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) wissen will, warum Münster den Zuschlag bekommen hat für die Forschungsfabrik Batteriezellenfertigung. Benning hat ihren Wahlkreis in Münster und Karliczek nebenan, wo in Ibbenbüren künftig Batterierecycling stattfinden soll. „Die Indizien häufen sich, dass Anja Karliczek ein Zukunftsthema am Altar eigener Pfründe geopfert hat“, meint der FDP-Abgeordnete Thomas Sattelberger. „Es ist schädlich für den Forschungsstandort Deutschland, dass Ministerin Karliczek die Zweifel an der Standortvergabe der Batteriezellenforschung bis heute nicht ausgeräumt hat“, sagt Anna Christmann von den Grünen.
500 Millionen Euro zahlt der Bund
Mit 500 Millionen Euro finanziert der Bund den Aufbau der Forschungsfabrik, mit der die Voraussetzungen für eine großindustrielle Zellenfertigung hierzulande verbessert werden. Der Zellenmarkt für das elektromobile Zeitalter ist riesig und wird bislang allein von asiatischen Herstellern bedient.
Für die neue Forschungseinrichtung hatten sich sechs Bundesländer beworben und dabei Eigenbeiträge von bis zu 200 Millionen Euro (NRW) ins Spiel gebracht. Wenig Chancen hatten Sachsen (mit der TU Dresden) und Schleswig-Holstein (Itzehoe mit dem Zellhersteller Customcells). Als Favorit galten Baden-Württemberg (mit den Forschungsstandorten Ulm und Karlsruhe) sowie Niedersachsen (Salzgitter und Braunschweig). Außenseiterchancen wurden NRW mit Münster und Bayern mit Augsburg zugeschrieben.
Fraunhofer betreiben die Anlage
Als Betreiber der neuen Einrichtung hatte das Forschungsministerium (BMBF) bereits vor Monaten die Fraunhofer Gesellschaft beauftragt. Und als beratendes Expertengremium richtete das BMBF eine Gründungskommission ein, der Vertreter der Fraunhofer sowie acht Manager von Industrieunternehmen angehörten. Für die entscheidende Sitzung der Gründungskommission am 25.6. verständigten sich diese Industrievertreter auf ein Schreiben, in dem sie für den Standort Ulm plädierten.
Am 28.6. teilte Karliczek mit, die Entscheidung sei für Münster gefallen. Ausschlaggebend sei beim nordrhein-westfälischen Konzept gewesen, „wie die testweise produzierten Batterien optimal genutzt und nach der Nutzungsphase über ein Recycling- System wiederverwertet werden können“. Schließlich habe Münster „den höchsten Grad an Exzellenz“ in der Batterieforschung.
Das bestreiten selbst die unterlegenen Wettbewerber nicht, der Münsteraner Professor Martin Winter ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Zellchemie. Doch „die Region Münster ist produktionstechnisches Niemandsland. Nicht einmal an der FH Münster gibt es einen produktionsorientierten Studiengang, geschweige denn an der Universität“, lästert ein Wissenschaftler von der TU München über die Standortentscheidung des BMBF, die vom Leiter der Abteilung „Forschung für Digitalisierung und Innovationen“, Wolf-Dieter Lukas, getroffen wurde. Wohl zufällig wurde an dem Tag, als der Sieg Münsters mitgeteilt wurde, Abteilungsleiter Lukas von der Ministerin Karliczek zum Staatssekretär im BMBF befördert.
Bayern und Baden-Württemberg wollen viel Geld
Zurück zu Münster. „Das BMBF hat unter Hinzuziehung der Bewertungen der Fraunhofer Gesellschaft im Anschluss an die Diskussion in der Gründungskommission (...) die Entscheidung getroffen.“ Und dadurch viel Ärger provoziert. Die Ministerpräsidenten von Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen beschwerten sich in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Standortauswahl. Bereits wenige Tage nach der Wahl Münsters begannen BMBF-Vertreter mit Gesprächen über Kompensationen für die einzelnen Länder. Was die sich vorstellen, wurde Dienstag am Bodensee deutlich: Man fordere für jedes Land mindestens 100 Millionen Euro vom Bund, um die Batterieforschung voranzubringen, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach einer gemeinsamen Sitzung mit seinem Kollegen Winfried Kretschmann (Grüne). Bereits im Papier der Gründungskommission war ein „bilaterales Förder- und Standortkonzept zwischen Baden-Württemberg und Bayern“ angeregt worden.
Votum für Ulm - oder doch nicht?
Über die Relevanz dieses Schreibens geht nun der Streit. Und an der Einordnung des Schreibens hängt die Glaubwürdigkeit der Ministerin. Dem BMBF zufolge hat ein Mitglied der Gründungskommission Sonntag dem 23.6. den „Diskussionsbeitrag zur Sitzung am Dienstag“ zum BMBF geschickt. In der entscheidenden Kommissionssitzung an jenem Dienstag dem 25.6. habe das Schreiben aber keine Rolle gespielt. „Die Behauptung, die Gründungskommission habe für Ulm votiert, ist und bleibt falsch“, bekräftigt das Ministerium seit Tagen und bleibt bei der Bewertung des Schreibens: belanglos.
Fraunhofer auch nicht für Münster
Nach Informationen des Tagesspiegels haben sich Mitglieder der Gründungskommission auf das Schreiben verständigt, weil einige von ihnen am 25.6. nicht dabei sein konnten. „Nach objektiver Bewertung und Analyse der Bewerbungen kommen wir zu den folgenden Schlüssen“, heißt es in dem Schreiben, das dem Tagesspiegel in Auszügen vorliegt. „Die Bewerbungen der Standorte Baden-Württemberg und Bayern heben sich besonders positiv ab." Konkret werden die Verfügbarkeit von Gebäuden und kompetentem Personal, die institutionelle sowie industrielle Zellkompetenz sowie die Konzepte zur industriellen Nutzung der Forschungsförderung genannt. Dann folgt der entscheidende Satz: „Aus diesem Grund schlagen wir vor, dass das BMWi den Standort Ulm auswählt.“ Das BMWi ist adressiert, weil ein BMWi-Abteilungsleiter die Sitzung leitete.
Warum dieser Satz kein Votum für Ulm ist, wird Karliczek heute den Bundestagsabgeordneten in der Ausschusssitzung zu erklären versuchen. Klar ist: Das Schreiben wurde von einem Kommissionsmitglied unterschrieben. Aber das Schreiben gibt offenkundig die Mehrheitsmeinung der Industrieleute in der Gründungskommission wieder. Schließlich: Die Vertreter der Fraunhofer Gesellschaft hatten Münster auch nicht auf ihrer Empfehlungsliste oben stehen. Wozu dann der ganze Auswahlprozess und die Einrichtung einer Gründungskommission?
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