Autoindustrie: Die Zukunft im Ländle
Strategischer Dialog über Baden-Württembergs Autoindustrie. Forschungsministerin Karliczek weiter unter Druck wegen Forschungsfabrik.
Der Zorn ist noch nicht wirklich verraucht über die Berliner Ministerin, obgleich Winfried Kretschmann, Prototyp des unaufgeregten Politikers, sich am Donnerstag nicht viel anmerken ließ. Immerhin: Baden-Württembergs Ministerpräsident findet die Entscheidung der aus Westfalen stammenden Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU), in Münster und nicht in Ulm die Forschungsfabrik Batteriezellenfertigung aufzubauen, „schwer nachvollziehbar“. In einem Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten der Grüne Kretschmann und seine Kollegen Markus Söder (Bayern, CSU) und Stephan Weil (Niedersachsen, SPD) gegen die Standortwahl protestiert und um Prüfung, besser noch Korrektur gebeten. Auch Bayern und Niedersachsen hätten gerne die mit 500 Millionen Euro vom Bund finanzierte Einrichtung gehabt.
Von Merkel „erwarten wir eine Antwort“, sagte Kretschmann am Donnerstag in Berlin, wo er sich zum Frühstück mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) traf und wo anschließend mit den wichtigsten Industrievertretern seines Bundeslandes der „Strategiedialog Automobilwirtschaft“ stattfand. „Das Auto der Zukunft muss in Deutschland vom Bank rollen“, brachte der Ministerpräsident die Zielsetzung im Transformationsprozess auf den Punkt. Und zwar idealerweise in Baden-Württemberg und angetrieben von einem emissionsfreien Motor, dessen Teile überwiegend hierzulande hergestellt werden. Zum Beispiel die Batterie und die Batteriezelle.
Telefonat mit Karliczek
Am Mittwoch habe er mit Karliczek telefoniert, erzählte Kretschmann. Neue Erkenntnisse gab es wohl nicht dabei. In dem Ausschreibungsverfahren für die Forschungsfabrik seien wissenschaftliche Kompetenz und Verbindung zur Industrie mit jeweils 30 Prozent und die angebotenen Komplementärmittel sowie der Faktor Schnelligkeit/Verfügbarkeit von Gebäuden mit jeweils 20 Prozent gewichtet worden. In allen Punkten liege Ulm vorn oder mindestens gleichauf mit Münster. Erstaunlich also, dass die Forschungsstätte „nicht an einem Autostandort gelandet ist sondern in Münster“, grummelte der Stuttgarter Regierungschef in Anwesenheit der Chefs von Daimler, Porsche, Bosch und EnBW.
Karliczek hatte die Entscheidung vor allem mit der „Exzellenz“ Münsters begründet, wo mit Martin Winter der profilierteste Batterieforscher der Republik tätig sei. Diese Argumentation wiederum hat Wissenschaftler in anderen Regionen gegen die Ministerin aufgebracht. Um die Wogen zu glätten, fanden auch am Donnerstag wieder Gespräche im BMBF mit Vertretern der unterlegenen Länder über eine Art Ausgleichszahlung statt. Im Gespräch sind Fördermittel von 50 Millionen für Ulm, 40 Millionen für Braunschweig/Salzgitter und 20 Millionen für Dresden. Auch Augsburg und Itzehoe, die keine Chance hatten im Auswahlverfahren, sollen mit ein paar Millionen bedacht werden.
Aussage gegen Aussage
Karliczek hat in den vergangenen Tagen mündlich und schriftlich bekräftigt, dass die Entscheidung für Münster sowohl von den Empfehlungen der sogenannten Gründungskommission der Forschungsfabrik als auch von der Fraunhofer Gesellschaft, die das neue Institut betreiben soll, gedeckt sei. Hier steht indes Aussage gegen Aussage. Nach Informationen des Tagesspiegels haben die acht Industrievertreter in der Gründungskommission bei ihrer abschließenden Sitzung am 25.6. klar für Ulm votiert. Karliczek wird wohl nicht umhin kommen, den Auswahlprozess sowie die Kriterien und schließlich die Bewertung und das Ranking der sechs konkurrierenden Standorte zu veröffentlichen, um den Vorwurf der Begünstigung des eigenen Wahlkreises in Westfalen aus der Welt zu schaffen. Im Autoland Baden-Württemberg hat die Landesregierung mit Vertretern aus Industrie, Gewerkschaft und Zivilgesellschaft vor zwei Jahren einen „Strategiedialog Automobilwirtschaft“ gestartet, um den Transformationsprozess „mit ganz konkreten und sichtbaren Maßnahmen“ (Kretschmann) voranzubringen. Der diesjährige Termin fand in Berlin statt, weil hier die Bundesregierung sitzt und weil es noch immer an bundeseinheitlichen Rahmenbedingungen oder Initiativen etwa zum Aufbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur für Elektroautos fehlt. Altmaier habe Defizite eingeräumt, berichtete Kretschmann vom Frühstück mit dem Wirtschaftsminister. Er habe den Eindruck, „dass es jetzt in Gang kommt“, meinte der Grüne und wunderte sich indes auch über Altmaiers Tatenlosigkeit über die Jahre: „Die regieren doch schon lange.“
Alle 20 Kilometer eine Schnellladesäule
Baden-Württemberg selbst investiert zehn Millionen Euro in Ladepunkte. Bis September soll es alle 20 Kilometer eine Schnellladesäule mit einer Ladeleistung von mindestens 50 Kilowatt geben. Weitere 18,5 Millionen Euro stellt Stuttgart für eine Forschungsfabrik für Brennstoffzellen und Wasserstoff zur Verfügung. Kretschmann unterzeichnete mit zwei Staatssekretären aus den Bundesministerien für Wirtschaft sowie Verkehr in Berlin eine Absichtserklärung, in der vom Bund eine Förderung des Wasserstoffprojekts in Aussicht gestellt wird. Vor allem für Nutzfahrzeuge könnte die Brennstoffzelle schon bald eine Alternative zum Verbrennungsmotor sein.
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