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„Die SPD kommt mit ihren Themen nicht durch“, sagt das SPD-Mitglied Jörg Hofmann.
© Thilo Rückeis

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann: „Man glaubt nicht mehr an die Lösungskompetenz der Politik"

Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall, spricht im Interview über die SPD, den Klimaschutz und die Dieselkrise sowie digitale Transformation.

Herr Hofmann, Sie sind seit vielen Jahren SPD-Mitglied. Wie lange halten Sie noch durch?

Ich bin zäh und geduldig.

Die große Koalition bringt die SPD um.

Ich denke das Problem liegt tiefer. Schauen wir uns die Ergebnisse der vergangenen sechs Monate an: Wir haben die Parität in der Krankenversicherung, wir haben die Stabilität im Rentenniveau und das Rückkehrrecht von Teil- zur Vollzeit; es gibt das Chancengleichheitsgesetz, und an der Erweiterung der Qualifizierungsmöglichkeiten wird gearbeitet. Das ist alles positiv.

Wird aber nicht honoriert.

Das ungelöste Dieselthema, die Querschüsse der CSU, Postengerangel, alles in allem ein Erscheinungsbild, bei dem sich der Bürger schreckensfasziniert abwendend. Man glaubt nicht mehr an die Lösungskompetenz der Politik, die Geschichte des Gelingens ist nicht erkennbar. Da hat seriöse Realpolitik zu Einzelfragen wenig Chance durchzudringen.

Was treibt in diesem Herbst die IG Metall-Mitglieder um?

An erster Stelle steht das Thema soziale Gerechtigkeit, dann kommen sichere Arbeit, bezahlbarer Wohnraum, Rente. Die klassischen sozialdemokratischen Themen stehen also oben und werden ja auch von der Sozialdemokratie angepackt.

Alle Welt redet über die Transformationsprozesse in der Arbeit und der Gesellschaft insgesamt durch die Digitalisierung. Da haben Sie doch ein Thema, das den Industriebeschäftigten auf den Nägeln brennen sollte.

Wir werden an diesem Thema auch arbeiten – auf allen Ebenen: In den Betrieben, in der Tarifpolitik und in der Gesellschaftspolitik. Deshalb veranstalten wir diese Woche in Bonn einen großen Transformationskongress.

Reden ist immer gut.

Bei uns geht es um konkretes Tun. Analyse allein reicht nicht. Wo sind die Treiber der Veränderung? Wie wirkt sich das auf die Branchen, Betriebe und Beschäftigten aus – auf diese Fragen haben wir Antworten erarbeitet. In den vergangenen zwei Jahren haben wir 150 Betriebsräte begleitet bei der Gestaltung von Digitalisierungsprozessen, verbunden mit Ausbildungsprogrammen und flankiert von der Wissenschaft.

Was ist rausgekommen?

Ganz konkrete Handlungsempfehlungen. Nehmen wir beispielsweise den Umgang mit Datenbrillen: Wie regelt man den Einsatz auch mit Blick auf Datenschutz und Persönlichkeitsrechte? Oder Qualifikationspläne für Umstrukturierungen von der klassischen mechanischen Montage hin zur Montage von Elektromotoren. Alles in allem geht es um konkrete Projekte, die uns Erfahrungswissen verschaffen, das sich dann auch verallgemeinern lässt und den Menschen Perspektiven öffnet.

Und kommen die Metaller mit?

Ja – wenn sie mitgenommen werden. Es scheitert in der Regel nicht an den Leuten, sondern daran, dass der Wandel nur als Organisations- oder Technikproblem gesehen wird. Das ist aber nicht das, was wir unter gelungener Digitalisierung verstehen. Wir fordern die frühzeitige Einbeziehung der Beschäftigten. Meistens wissen die Arbeitgeber auch überhaupt nicht, welche Qualifikationen und Kompetenzen die Belegschaft hat.

Wie bitte?

Es fehlen ganz banale Basics. Die Unternehmen wissen in der Regel, wie alt ihre Leute sind und welchen Berufsabschluss sie haben – mehr nicht. Welche Kompetenzen sie zusätzlich in und außerhalb der Arbeit erworben haben, ist eine Blackbox. Personalentwicklung gibt es unterhalb der Führungsebene so gut wie nirgendwo, auch nicht in Dax-Konzernen.

Wo stehen die größten Veränderungen an?

Im ersten Halbjahr 2019 wollen wir in vielen Betrieben einen Transformationsatlas erstellen: Wie wirkt dort Digitalisierung und welche weiteren Schritte sind geplant. Zum Beispiel werksinterne Kommissionierung: Mit dem Internet der Dinge wird da die Automatisierung zuschlagen. Oder standardisierte Angestelltentätigkeiten, das ist der nächste Hotspot für künstliche Intelligenz. Ein anderes Beispiel sind Außendiensttechniker: Mit den Möglichkeiten des Online-Monitorings von Anlagen und Maschinen werden diese Tätigkeiten wegfallen.

Und was tut die IG Metall?

Wir wollen eine Bestandsaufnahme vorlegen, um daraus Perspektiven zu entwickeln: Wie viele Menschen sind von bestimmten Technologien betroffen und wie gehen wir damit um. Und zwar nicht nur mit sozialverträglichen Abbaumaßnahmen, sondern mit Qualifizierungsprogrammen, die in die Zukunft weisen.

Ein Thema für die nächste Tarifrunde?

Wir hatten den letzten Tarifabschluss zum Rationalisierungsschutz 1978. Nach 40 Jahren kann man sich Gedanken machen über eine Weiterentwicklung, die auf der Höhe der Zeit ist und Digitalisierungseffekte berücksichtigt.

Das wäre auch hilfreich in der Autoindustrie, wo wegen der Elektromobilität in der Motorenfertigung um die 100 000 Arbeitsplätze in Gefahr sind. Dazu kommt die Dieselkrise. Gibt es schon Kurzarbeit?

Kurzarbeit kann es bei Zulieferern in den nächsten Monaten geben. Neben dem Diesel belastet auch das neue WLTP-Prüfverfahren die Branche. Die Halden sind jetzt voll mit Autos, die Produktion wird zurückgefahren.

Verstehen Sie den Zorn über den Diesel?

Natürlich. Es gibt auch viele Metallerinnen und Metaller, die ihr Fahrzeug brauchen, damit sie jeden Tag zur Arbeit kommen. Und auch in Regionen, in denen keine Fahrverbote drohen, ist das ein Thema wegen des Wertverlustes. Ich kann vor allem den wachsenden Ärger darüber verstehen, dass wir keine Klarheit und Rechtssicherheit haben über den Umgang mit Einfahrverboten.

Was schlagen Sie vor?

Wir plädieren seit Langem für eine Blaue Plakette.

Das bedeutet Fahrverbote.

Blaue Plakette bedeutet Einfahrrecht. Dazu muss man Grenzwerte festlegen, was bislang nicht passiert ist. Und bei der Festlegung der Grenzwerte muss abgewogen werden, wie viel und welche Fahrzeughalter treffen sie, mit welchem Effekt? Und was bietet man als Industrie und Politik denen an, die diese Grenzwerte mit ihren Fahrzeugen nicht erfüllen. Bevor es aber keine Vorgaben zu Grenzwerten gibt, macht auch die technische Nachrüstung keinen Sinn. Erst mal brauchen wir schlicht Regulation vom Bundesverkehrsminister.

Sie sind auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von VW: Ist es nicht beschämend, wie der weltgrößte Hersteller mit dem Thema umgeht?

Es ist in der Industrie eine ähnliche Konzeptlosigkeit zu sehen wie in der Politik. Die Strategie, das Thema regional zu begrenzen und ansonsten mit dem Prinzip Hoffnung die Frage vom Tisch zu kriegen, ist gescheitert. Das war vorhersehbar. Wir werden die ganze Palette an Maßnahmen brauchen, Umtauschprämie, Verschrottung, Software-Updates und Nachrüstungen, dort wo sie machbar und sinnvoll sind. Dazu braucht man einen verlässlichen Rechtsrahmen. Stattdessen lässt sich die Politik von Abmahnvereinen treiben.

Und Volkswagen? Es gibt kein Unternehmen, in dem die IG Metall so viel Einfluss hat wie bei VW.

Sie können sicher sein, dass wir bei allen Automobilherstellern auf Lösungen drängen. Doch die Antworten überzeugen noch nicht. Wir erwarten von der Industrie mehr Vorschläge jenseits von Verkaufsprogrammen.

Wie bitter wird es für die Industrie, wenn in der EU die CO2-Reduzierung um 35 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 2020 kommt?

Dieses Ziel ist nicht ausgereift. Ich kann mir bei den Zeiträumen für Planungsverfahren in Deutschland, etwa für notwendige Investitionen in Verteilnetze, nicht vorstellen, wie das erreicht werden soll. Natürlich sind 35 Prozent weniger für das Klima besser als 30 Prozent. Aber Ziele, die von vorneherein Fakes sind, weil die Voraussetzungen zu ihrer Erreichung nicht geklärt sind, schaden einer anspruchsvollen Klimapolitik. Im Moment knallen die Batteriepreise nach oben. Eine verlässliche Rohstoffversorgung für Batteriezellen ist eine ungelöste Frage. Und was ist mit dem Strommix und den Strompreisen? Wir werden in den 2020er Jahren noch viel Kohlestrom brauchen. Im Moment ist Elektromobilität deutlich CO2-intensiver als der Verbrennungsmotor. Und das wird sich zumindest bis 2025 auch nicht wesentlich ändern. Statt Wünsch-dir-Was ist die Politik gefordert, hier seriös zu spielen. Schließlich sind hunderttausende Arbeitsplätze vom Strukturbruch betroffen.

Bekommen wir eine deutsche Batteriezellenfertigung?

Wir werben seit vielen Jahren dafür, und jetzt kommt Schwung in das Thema. Auch deshalb, weil Zellen- und Batteriepreise steigen. Wirtschaftsminister Altmaier bemüht sich ja gerade um ein Industriekonsortium, aber ich gehe davon aus, dass auch die großen Hersteller und Zulieferer hier investieren werden, um die Abhängigkeit von asiatischen Lieferanten nicht zu groß werden zu lassen. Wir brauchen aber auch neue Geschäftsmodelle und den regulativen Rahmen, etwa für die Zweitverwertung von Batterien als Energiespeicher in Haushalten, oder geschlossene Werkstoffkreisläufe zum Recycling. Die Batteriefertigung in Deutschland steht symbolhaft für die Frage: Kann Deutschland und Europa seine industrielle Innovationskraft sichern, oder geraten wir in Abhängigkeit von anderen globalen Playern.

Jörg Hofmann (62) wuchs in der Nähe von Stuttgart auf. Er absolvierte eine Ausbildung in der Landwirtschaft und studierte Ökonomie und Soziologie. In der IG Metall begann die Karriere als Tarifsekretär im mächtigen Bezirk Baden-Württemberg, den er über zehn Jahre leitete. Seit Herbst 2015 ist Hofmann erster Vorsitzender der IG Metall. Ob er sich in einem Jahr zur Wiederwahl stellt, ist noch offen. Die IG Metall ist mit 2,3 Millionen Mitgliedern die größte Gewerkschaft Europas und hat traditionell in Deutschland die Tarifführerschaft. Im Frühjahr setzte sie eine Tariferhöhung um 4,3 Prozent durch sowie mehr Freizeit für besonders belastete Beschäftigte.

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