Alibaba in Schwierigkeiten: Jack Mas gefährlicher Machtkampf mit dem Politbüro in Peking
Lange Zeit hat Chinas Führung den Aufstieg des Konzerns toleriert. Nun ist Alibaba aus dem chinesischen Alltag nicht mehr wegzudenken. Und Peking reagiert.
Am Ende brauchte es eine Casting-Show im Fernsehen, um die Weltöffentlichkeit auf die Probleme eines der größten Internetkonzerne aufmerksam zu machen. Alibaba, das chinesische Amazon-Pendant, steckt schon seit Monaten in Schwierigkeiten. Doch erst als Gründer und Eigentümer Jack Ma nicht zur Aufzeichnung seiner eigenen Fernsehshow „Africas Business Heroes“ erschien und in der Jury ersetzt wurde, fragte sich die Welt: Wo ist Jack Ma abgeblieben?
Denn vom reichsten Mann Chinas fehlt weiterhin jede Spur. Seit Monaten hat sich Ma, der ansonsten keiner Kamera aus dem Weg geht, nicht mehr der Öffentlichkeit gezeigt. Er twittert nicht mehr, er tritt nicht öffentlich auf. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet, die chinesischen Behörden hätten ihm untersagt, das Land zu verlassen. Andere Quellen berichten, er werde sogar festgehalten.
Klar scheint nur eins zu sein: Der rasante Aufstieg des privatwirtschaftlichen Unternehmens Alibaba im kommunistischen Staat soll reguliert werden. Jack Mas Konzern ist der Parteiführung zu mächtig geworden. Die Folgen dürfte nicht nur Ma zu spüren bekommen.
Ma hat öffentlichen Druck aufgebaut
Der Machtkampf um die Regulierung großer Internetfirmen in China schwelt schon lange. „Auch in der Vergangenheit gab es durch Behörden bereits Ansätze, Alibaba stärker zu regulieren“, sagt Kristin Shi-Kupfer, Sinologie-Professorin der Universität Trier. „Aber die konnte das Unternehmen meistens durch informelle Absprachen und sicherlich auch Kompromissen gegenüber der Parteiführung abwehren.“
Ma, der die operative Geschäfte Ende 2019 abgegeben hat, war dabei aber nicht zimperlich. „Er hat oft – auch öffentlich – Druck aufgebaut, er hat beispielsweise wiederholt die aus seiner Sicht verkrusteten Strukturen etwa des staatlichen Finanzsystems oder der Regulierungsbehörden recht offen kritisiert“, so Shi-Kupfer. Dabei habe er darauf gesetzt, dass die Bedeutung Alibabas als Motor und Gesicht Chinas zu wichtig seien, als dass die Behörden den Streit eskalieren lassen würden.
Dass es damit vorbei ist, wurde Anfang November deutlich. Zu dieser Zeit hatte Ma Ant Financial, den Finanzarm von Alibaba, an die Börse bringen wollen. Mit geplanten Einnahmen von rund 35 Milliarden US-Dollar wäre es der größte Börsengang aller Zeiten geworden. Doch Chinas Regierung ließ ihn auflaufen. Einen Tag vor dem Parkettdebüt teilte die Börse Schanghai mit, das „aufsichtsrechtliche Umfeld“ habe sich geändert. Der Börsengang musste abgesagt werden; Ma wurde von den Behörden einbestellt.
Behörden ermitteln wegen Monopol-Verdachts
Das internationale Vertrauen in die chinesische Finanzwirtschaft schien der Staatsführung hier eindeutig weniger wichtig zu sein, als ein klares Zeichen an die Internetkonzerne zu senden. Und diesen Kurs setzt die Partei fort. Ende Dezember teilten die chinesischen Behörden mit, gegen Alibaba eine Untersuchung wegen möglicher Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht eingeleitet zu haben. Der chinesische Konzern stehe im Verdacht „monopolistischer Praktiken“.
[Alle wichtigen Nachrichten des Tages finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter "Fragen des Tages". Dazu Kommentare, Reportagen und Freizeit-Tipps. Zur Anmeldung geht es hier.]
Tatsächlich hat Alibaba, gerade im Finanzbereich, große Bedeutung im Alltag Chinas. „Das Unternehmen hat sich ein eigenes Ökosystem aufgebaut und ist in vielen zentralen Bereichen der Wirtschaft, insbesondere digitalen Dienstleistungen, präsent“, erklärt Shi-Kupfer. Herzstück ist der Bezahldienst Alipay unter dem Dach von Ant Financial. Nach Angaben von Alibaba nutzen monatlich mehr als 700 Millionen Menschen den Dienst, der es ermöglicht, Einkäufe mit dem Smartphone zu bezahlen.
In China ist diese Zahlungsweise sehr verbreitet, sogar Bettler besitzen Zettel mit QR-Codes, um Spenden digital annehmen zu können. Mehr als 14,4 Billionen Euro werden jährlich über den Dienst transferiert. Zudem vergibt Ant Financial Kredite an Haushalte und kleinere Unternehmen, bietet Vermögensverwaltung und Versicherungen – und erstreckt sich damit weit in den staatlich kontrollierten Finanzsektor. Die Behörden dürften auch gereizt sein, weil auch die Tech-Konzerne Tencent und Baidu in diesem Sektor beträchtliche Größe erreicht haben.
Ma als Vorbild für ganze Bevölkerungsschichten
Alibabas Aufstieg galt lange Zeit in der Volksrepublik als leuchtendes Beispiel. „Wie Alibaba ist auch Jack Ma für viele Chinesen immer ein Vorbild unternehmerischen Erfolgs gewesen“, meint Shi-Kupfer. „Vom ehemaligen Englischlehrer zum Multimilliardär – Mas Geschichte ist Teil eines ’chinesischen Traums’ und hat in den Folgejahren durch den kometenhaften Aufstieg nicht weniger Unternehmen in der Digitalwirtschaft viele Nachahmer gefunden.“ Das habe die Staatsführung auch lange toleriert. „Peking hat quasi in Kauf genommen, dass sich Alibaba teilweise quasi eigene Verwaltungsstrukturen aufgebaut hat, zum Beispiel dem Hörensagen nach mit einer eigenen Zollabwicklung im Hauptquartier in Hangzhou.“
Doch irgendwann ist Mas Macht zu groß geworden. Das in den vergangenen Jahren sehr aggressive Investitions- und Expansionsverhalten von Alibaba hat nach Einschätzung von Experten bei einigen Unternehmern und Wirtschaftsbeobachtern Stirnrunzeln verursacht – aber eben vor allem auch innerhalb der politischen Elite. Auch im Dialog mit den USA ging Ma seine eigenen Wege. „Es soll ja persönliche Absprachen in einem Vier-Augen-Gespräch zwischen ihm und Donald Trump gegeben haben“, berichtet Shi-Kupfer. „Die chinesische Regierung wird sicherlich sehr genau beobachten, wie Trump agiert, überlegen, was er gegebenenfalls ausplaudern könnte.“
Mindestens so innovativ wie Amazon
Unternehmerisch muss Alibaba den internationalen Vergleich nicht scheuen. Zwar lag der Jahresumsatz vor der Coronakrise mit rund 72 Milliarden US-Dollar deutlich unter dem des US-Konkurrenten Amazon (280 Milliarden Dollar). Doch beim Onlineshopping zeigt sich Alibaba erfinderischer.
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Hier gleicht das Einkaufen eher einem Freizeitelement, das mit Netflix konkurrieren kann. „Statt seine Lieblingsserie online zu schauen, geht man auch gern mal eine Weile shoppen“, schrieb China-Experte Björn Ognibeni Ende vergangenen Jahres im „Handelsblatt“. Das schafft Alibaba dadurch, dass sich die Nutzer nicht wie auf westlichen Onlineshops durch schnöde Produktlisten scrollen, sondern Artikel mit Videos, Hintergrundinfos oder kleinen Spielen präsentiert werden. Zudem bietet es kleinen Händlern die Möglichkeit, ihre Produkte via Live-Streaming zu verkaufen.
Zum Einkaufserlebnis gehört auch, dass viele Bestellungen in großen Städten, nicht nur am selben Tag, sondern innerhalb weniger Minuten zugestellt werden – gerne auch per Drohne. Und auch im Lebensmittelhandel ist Alibaba aktiv. Im Oktober 2020 übernahm man für gut drei Milliarden Euro die Mehrheit an der führenden Supermarktkette Chinas.
Die Außenwirkung der aktuellen Ereignisse ist verheerend. Insiderinformationen zufolge erwägt die scheidende US-Regierung sogar, Alibaba auf eine Schwarze Liste zu setzen, auf der Unternehmen stehen, die mutmaßlich vom chinesischen Militär kontrolliert werden. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge will Alibaba nun eine in US-Dollar begebene Anleihe ausgeben, um zu testen, wie Investoren aktuell die Lage von Alibaba einschätzen. Mit Blick auf die Aktie ist das bitter nötig: Die hat seit Ende Oktober fast 30 Prozent an Wert eingebüßt.