Brandenburgs Wirtschaftsminister: „Integration funktioniert am besten über Arbeit“
Albrecht Gerber spricht im Interview über Fremdenfeindlichkeit, Kohle in der Lausitz und die schwierige Kooperation mit Berlin. Der SPD-Politiker ist Wirtschaftsminister in Brandenburg.
Herr Gerber, vor ein paar Tagen haben Sie einen Bäcker in Götz bei Großkreutz besucht. Was ist da los?
Am Samstag war ich sogar noch ein zweites Mal dort – zum Feiern. Der erste Termin am vergangenen Mittwoch war im Rahmen unserer Ausbildungsoffensive schon lange geplant. Er hat dann aber durch die aktuelle Situation eines jungen Flüchtlings eine ganz andere Bedeutung bekommen.
Inwiefern?
Der Bäcker hat einen jungen Mann aus Kamerun als Auszubildenden eingestellt – mit schriftlicher Erlaubnis der Ausländerbehörde. Aber plötzlich sollte dieser Mann nach Italien ausgewiesen werden. Das wäre natürlich bitter gewesen, auch weil in der Bäckerei gerade ein Vorzeigebeispiel an Integration stattfindet.
Und nun?
Wir, damit meine ich das Wirtschaftsministerium, aber auch die in dieser Angelegenheit sehr engagierte Handwerkskammer Potsdam und natürlich der Bäckermeister Fischer aus Groß Kreutz, haben in den vergangenen Tagen intensiv nach Wegen gesucht, damit der junge Mann seine Ausbildung hier fortsetzen und beenden kann. Alles andere wäre auch für viele Betriebe ein verheerendes Signal gewesen. Wer soll denn noch einen Flüchtling als Lehrling einstellen und Zeit und Kraft in die Ausbildung stecken, wenn die Gefahr besteht, dass der Azubi kurzfristig ausgewiesen wird? Deswegen habe ich mich auch persönlich beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für eine Lösung eingesetzt. Und ich freue mich jetzt sehr, dass das auch geglückt ist. Das Bundesamt hat inzwischen mitgeteilt, dass es das sogenannte Selbsteintrittsrecht ausübt und das Asylverfahren nun in Deutschland – also bei uns in Brandenburg – abgeschlossen wird. Der junge Mann wird nicht ausgewiesen und der Bäcker behält seinen engagierten und zuverlässigen Auszubildenden.
Der Bäcker braucht den Flüchtling?
Ja. Das größte Wachstumshindernis in Handwerk und Industrie ist doch das fehlende Personal: Es gibt zu wenige Auszubildende und Fachkräfte. Und selbst wenn wir die Potenziale des Arbeitsmarktes noch stärker ausschöpfen, also die Erwerbstätigkeit der Frauen noch weiter erhöhen oder Leuten eine zweite oder dritte Chance geben mit ausbildungsbegleitender Nachhilfe, das wird alles nicht ausreichen. Wir brauchen auch Menschen aus anderen Ländern, ob aus Polen, Spanien oder Kamerun.
Aber wollen die wirklich in die ostdeutschen Bundesländer? Iris Gleicke, Ostbeauftragte der Bundesregierung, sieht die Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern als Standortgefahr.
Das Problem gibt es in Westdeutschland auch, die AfD ist ja kein ostdeutsches Phänomen. Das beste Mittel gegen Fremdenfeindlichkeit sind immer persönliche Kontakte, wie in der eben erwähnten Backstube in Götz. Und Integration funktioniert am besten über die Arbeit.
Also hat die Ostbeauftragte übertrieben?
Nein. Aber mit der Analyse allein können wir es ja nicht bewenden lassen. Wir müssen aktiv etwas gegen Fremdenfeindlichkeit unternehmen. Dafür ist unsere Initiative „Tolerantes Brandenburg“ ein gutes Beispiel. Fremdenfeindlichkeit ist ein Problem, keine Frage. Aber es gibt sehr viele andere Standortfaktoren, die Brandenburg für die Wirtschaft attraktiv machen.
Per Saldo ziehen noch immer Arbeitskräfte aus Brandenburg weg.
In den vergangenen Jahren ist die Wirtschaft in Brandenburg überdurchschnittlich gewachsen und die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auch. Im ostdeutschen Vergleich hat Brandenburg das höchste Pro-Kopf-Einkommen. Gute Arbeit muss aber auch gut bezahlt werden – und in westlichen Bundesländern gibt es häufig höhere Gehälter. Viele gehen dann leider nach dem Studium weg. Aber es gibt mittlerweile auch eine wachsende Zahl von Rückkehrern.
Verdankt sich das Wachstum der jüngsten Zeit – Brandenburg ist mit einer Rate von 2,9 Prozent in der Spitzengruppe der Bundesländer – vor allem der Industrie?
Im Wesentlichen ja. Wir haben eine ganze Reihe von Erweiterungen von Industriebetrieben in vielen Branchen gehabt. In Brandenburg bekennen wir uns ganz ausdrücklich zur Industrie. Wir werben um industrielle Ansiedlungen und machen eine industriefreundliche Politik. In der Arbeitsteilung mit Berlin ist das der richtige Weg. Hier in Brandenburg haben wir Platz und hervorragende Verkehrsanbindungen für die Betriebe.
Die meiste Industrie gibt es im Speckgürtel, vor allem im Süden Berlins, und in der Lausitz. Was wird aus der Lausitz ohne die Braunkohle?
Es gibt in der Lausitz Kohle, aber auch Chemie, Metallverarbeitung, Papierherstellung und Ernährungsindustrie. Sie hat eine starke industrielle Tradition, ist die am stärksten industrialisierte Region Brandenburgs – und sie hat ohne Zweifel auch eine industrielle Zukunft über die Zeit der Braunkohlewirtschaft hinaus.
Welche denn?
Wir haben uns als Geburtshelfer betätigt bei der Gründung der Innovationsregion Lausitz GmbH. Das ist ein Instrument der Wirtschaft, das die Unternehmen zum Beispiel bei der Identifizierung neuer Geschäftsfelder unterstützt. Wenn die Unternehmen eine Idee für ein innovatives Produkt haben, dann können sie beim Land Fördermittel beantragen. Außerdem schaffen wir gemeinsam mit Sachsen eine länderübergreifende Wirtschaftsförderung für die Lausitz – so etwas hat es in der Bundesrepublik noch nie gegeben. Vor Ort wollen wir unternehmerische Ideen fördern und Netzwerke unterstützen. Vom grünen Tisch in Potsdam aus funktioniert das nicht.
Wie viele Jahre hat die Braunkohle noch?
Ende 2018 wird der erste Block des Kraftwerks Jänschwalde in die Sicherheitsbereitschaft überführt. Das ist zumindest ein Einschnitt. Aber jetzt bin ich erst einmal froh, dass mit der tschechischen EPH ein handlungsfähiger und handlungswilliger Konzern in die Braunkohle eingestiegen ist. Die glauben an das Geschäft und gehen davon aus, dass die Umstellung der Energieversorgung ausschließlich auf erneuerbare Energien länger dauern wird, als viele meinen.
Vielleicht geht es auch mal ganz schnell. Wir diskutieren ja gerade das Ende des Verbrennungsmotors schon in 15 Jahren.
Die erneuerbaren Energien kommen aktuell auf einen Anteil von zwölf Prozent, wenn wir Strom, Wärme und Verkehr nehmen. Bis wir 100 Prozent erreichen, werden noch Jahrzehnte vergehen. Die Energiewende dauert länger, als sich das mancher in Berlin-Mitte vorstellt.
In Berlin gibt es vermutlich bald eine grüne Wirtschaftssenatorin. Haben Sie Angst vor Ramona Pop?
Ich habe vor niemandem Angst und vor Berlinern schon gar nicht. Wer auch immer das Amt übernimmt, ich setze auf eine konstruktive Zusammenarbeit. In Berlin hatten wir genauso wie in Brandenburg schon die unterschiedlichsten Konstellationen in den Regierungen. Entscheidend sind immer die gemeinsamen Interessen gewesen.
Betrifft das Brandenburg denn nicht, wenn der Berliner Senat demnächst die Energiewende forciert, die Versorgungsunternehmen rekommunalisiert und ein Stadtwerk aufbaut?
Berlin braucht Strom aus Brandenburg. Und wir sind mit Abstand das Bundesland mit dem höchsten Anteil an erneuerbaren Energien. Wir sind auch das Land, das mit Kohle dafür sorgt, dass sicherer Strom da ist, wenn die Erneuerbaren nicht funktionieren. An dieser Realität kommt auch der Senat nicht vorbei. Die Berliner bestimmen nicht über unsere Energiepolitik, und wir bestimmen nicht, ob in Berlin die A 100 gebaut wird.
Sie reden die Notwendigkeit der Kooperation der Länder klein.
Keineswegs. Es gibt viele Beispiele für eine erfolgreiche Zusammenarbeit, etwa bei den fünf länderübergreifenden Branchen-Clustern als Grundlage der Wirtschaftsförderung. Bei der Gesundheitswirtschaft zum Beispiel ergänzen wir uns perfekt. Wir sind gut beraten, möglichst viele Win-Win-Situationen zu schaffen. Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, der VBB, ist ein Erfolgsmodell, so etwas gibt es sonst nirgendwo. Doch jedes Bundesland hat auch spezifische Interessen. Wir haben das höhere Wachstum und die niedrigere Arbeitslosigkeit und müssen uns nicht klein machen.
Wie macht sich das Wachstum der Stadt im Umland bemerkbar?
Die Städte in der zweiten Reihe, die etwas Berlin-ferner sind wie Eberswalde oder Brandenburg, bekommen mehr Zuzügler aus Berlin. Wir haben ja, unseren Vorvätern und Vormüttern sei Dank, eine hervorragende, von Berlin ausgehend sternförmige Straßen- und Schieneninfrastruktur. Daran wird sich der Ausbau der Wohngebiete, aber auch des Gewerbes orientieren. Derzeit sind wir dabei, die gemeinsame Landesplanung zu überarbeiten. Im Ergebnis wollen wir keinen Siedlungsbrei, sondern das schöne und natürliche Umland für uns, die Berliner und andere Besucher erhalten.
Nicht nur Berliner kommen ins schöne Land Brandenburg, sondern Reisende aus allen Teilen der Republik. Bleibt der Tourismus auf Rekordkurs?
Wenn nicht der Himmel einstürzt, wird das so sein, und wir werden in diesem Jahr sogar mehr Gäste haben als im Buga-Jahr 2015.
Was zieht die Leute in die Mark?
Die Qualität der Angebote hat sich sehr verbessert, und der Bewegungs- und Wassertourismus ist ein wachsender Markt, von dem wir profitieren. Brandenburg bietet für Besucher viel, viel mehr als nur Spreewald und Sanssouci. Wir sind das Bundesland mit den meisten Gewässern. Und eine älter werdende Bevölkerung bleibt eher im Lande, möchte sich aber bewegen – auf dem Wasser und auf dem Fahrrad. In den nächsten Jahren investieren wir 40 Millionen Euro in die Modernisierung der überregionalen Radwege. Es geht voran, doch auch im Tourismus bremst der Arbeitskräftemangel: Ohne Zuwanderung wird das nicht funktionieren.
Das Interview führte Alfons Frese
ZUR PERSON
Albrecht Gerber, 1967 in Schleswig-Holstein geboren, studierte Politikwissenschaften in Bonn, als die Mauer fiel. Aus Protest gegen den Einzug der Republikaner ins Berliner Abgeordnetenhaus war er 1989 der SPD beigetreten. Nach der Wende leisteten die Bonner Sozialdemokraten Aufbauhilfe in Potsdam. Gerber fuhr einen Kleintransporter mit Büromaterial aus dem Rheinland in die Mark – und blieb in Potsdam hängen. Erst als Pressesprecher der Landes-SPD, später als Referent und Büroleiter für Minister und Ministerpräsidenten. 2009 wurde er Chef der Staatskanzlei, 2014 Minister für Wirtschaft und Energie. Gerber wohnt in Potsdam.