Zukunft des Autos: Ins Netz gegangen
Auf der Internationalen Automobilausstellung wird die digitale Revolution ausgerufen – und alle wollen sich neu erfinden.
Am Ende zählt immer noch der Mensch. Als BMW-Chef Harald Krüger am Dienstagmorgen auf der Bühne der Frankfurter Messehalle 11 zusammenbricht, stoppt der Motor der Internationalen Autoausstellung (IAA), bevor er richtig angesprungen ist. Eine Kreislaufschwäche wirft den 49-Jährigen vor laufenden Kameras um. Eigentlich wollte Krüger, seit Mai im Amt, als erster Aussteller der IAA von neuen Modellen, der Digitalisierung und Vernetzung berichten. Und vom fahrerlosen, autonomen Fahren. Doch es kommt anders. Krügers Kollaps bringt BMW und die Regie der größten Autoausstellung der Welt durcheinander. Die zu Hunderten am frühen Morgen erschienenen Journalisten verlassen die Halle wieder. Führerlos funktioniert diese Auto-Show nicht.
Krüger geht es wieder besser
Ein Tag nach dem Zusammenbruch des BMW-Chefs auf der Automesse IAA hat er sich wieder erholt. „Mir geht es schon wieder gut“, sagte der 49 Jahre alte Manager der „Bild“-Zeitung. „Nach Auskunft der Ärzte hatte ich eine kurzzeitige Kreislaufschwäche.“ Jetzt will sich der dreifache Familienvater ein paar Tage ausruhen. „Er wird voraussichtlich bis Ende der Woche keine Termine wahrnehmen“, sagte ein BMW-Sprecher am Mittwoch auf Anfrage.
Nach der Elektromobilität vor zwei Jahren ist autonomes, vernetztes Fahren das Megathema der diesjährigen, 66. IAA (17. bis 27. September). Am Donnerstag wird sie von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) offiziell eröffnet. Mehr als 1100 Aussteller aus 39 Ländern zeigen 210 Weltneuheiten – so viele wie noch nie. 900 000 Besucher werden erwartet. Erstmals widmet sich eine eigene Halle der „New Mobility World“. Hier stellen Unternehmen aus, die man früher nicht auf einer Automesse erwartet hätte: Telekom, Siemens, Allianz. Es geht um Sensoren, Schwarm-Vernetzung, Mensch-Maschine-Dialoge, Versicherungen. Doch schnell zeigt sich bei einem Rundgang am ersten Pressetag: Das Thema „Vernetzung“ hat alle Messekulissenbauer gleichermaßen inspiriert. Egal ob Autohersteller, Zulieferer oder Dienstleister – Netze spannen sie alle auf ihren Ständen, in mannigfaltigen Designs.
Autohersteller wollen nicht zu Lieferanten werden
Zum Beispiel Mercedes. Am Montagabend zelebriert die Marke mit dem Stern in der Festhalle, was sie in der „digitalen Transformation“ der Branche zu bieten hat. Daimler-Chef Dieter Zetsche lässt das „Intelligent Aerodynamic Automotive“ – kurz IAA – auffahren. Ein „Transformer“-Showcar wie aus einem Science-Fiction-Film, dessen Karosserie sich der Umwelt und der Geschwindigkeit anpassen kann und natürlich komplett vernetzt ist. „Anders als mancher Telefonhersteller sind wir in der Lage, die Potenziale neuer Geschäfte selbst zu erschließen“, sagt Zetsche in Anspielung an untergegangene Marken wie Nokia. Unlängst haben Daimler, Audi und BMW gemeinsam Nokias Kartendienst Here für 2,8 Milliarden Euro gekauft. Ein Signal: Die Autohersteller wollen in der digitalen Zukunft nicht die Lieferanten sein, die die Hardware an Dritte liefern, an Google, Apple und andere Datenkonzerne. „Die beste Zeit für Autos mit dem Stern kommt erst noch“, glaubt der Daimler-Chef. 5,6 Milliarden Euro hat Daimler 2014 für Forschung und Entwicklung ausgegeben, das Budget für die digitale Vernetzung wurde in den vergangenen drei Jahren verdoppelt.
Nicht nur Zetsche spricht davon, dass das Auto gerade neu erfunden wird. Auch Volkswagen-Chef Martin Winterkorn sieht den zweitgrößten Hersteller der Welt nach Toyota „mitten in der digitalen Revolution“. „Bis 2020 machen wir jedes unserer neuen Autos zum rollenden Smartphone“, kündigt Winterkorn an. Der neue VW-Markenchef Herbert Diess, der von BMW zu Volkswagen wechselte, hat seinen ersten IAA-Auftritt: Digitalisierung und Vernetzung würden die Autoindustrie „komplett umkrempeln“, meint Diess. „Und zwar in kürzester Zeit.“ In der gigantischen Halle 3, die der VW-Konzern allein bespielt, sieht es trotzdem aus wie immer auf einer Automesse. Daten sind unsichtbar, vernetzte Fahrzeuge brauchen Entertainment, um als etwas Besonderes wahrgenommen zu werden. So preist VW Autos an, die sich „per Smartphone enteisen lassen“ oder die sich „merken, wo Sie es geparkt haben“. Die praktischen Vorteile der Vernetzung, so scheint es, sind greifbarer als beim Thema Elektromobilität, das auf dieser IAA verglichen mit 2013 deutlich in den Hintergrund getreten ist.
China macht den Konzernen zu schaffen
Unsichtbar sind hier auch die Sorgen, die sich die Branche mit Blick auf ihren wichtigsten Absatzmarkt macht: China. Die schwächere Nachfrage dort macht vor allem Volkswagen zu schaffen. Der Konzern verkauft in der Volksrepublik jedes dritte Auto. Die Tochter Audi kündigte in Frankfurt an, die Produktion in den chinesischen Werken zu drosseln. Auch BMW tritt kürzer. Finanzvorstand Friedrich Eichiner fürchtet, dass die Zeiten stürmischen Wachstums in China „unter Umständen für immer vorbei“ sind. Daimler-Chef Zetsche bleibt hingegen optimistisch, im August ist der Mercedes-Absatz in China um mehr als 50 Prozent gestiegen. Später als die Konkurrenten Audi und BMW sind die Stuttgarter auf dem größten Automarkt der Welt gestartet. „Ich bin auch für das nächste Jahr optimistisch, was unser Wachstum in China angeht“, sagt Zetsche.
Mit größten Erwartungen geht ein wiederbelebter Traditionshersteller nach China. Borgward, die zeitweise verschwundene Wirtschaftswunder-Marke, enthüllt auf der IAA ihr mit Spannung erwartetes, erstes Modell: ein SUV, das zunächst nur in China verkauft werden soll. „Die erste Fabrik in Peking steht und ist produktionsbereit“, sagt Borgward-Chef Ulrich Walker. 500 000 Einheiten des eher blassen Geländewagens will der frühere Daimler-Manager absetzen, zwei neue Modelle sollen künftig pro Jahr auf den Markt kommen. Ein Verkauf in Deutschland ist geplant, einen Termin gibt es aber noch nicht.
Der IAA ferngeblieben sind jene Unternehmen, über die alle gerade sprechen. Weder Google noch Apple haben einen eigenen Messestand, sind aber mit Vertretern auf verschiedenen Veranstaltungen präsent. So bekommt auch kein IAA-Besucher das selbst fahrende Google-Car zu Gesicht, das der US-Internetkonzern seit Juni in den USA auf öffentlichen Straßen testet. Vor sechs Jahren hat Google mit der Entwicklung begonnen. Sieben Jahre braucht die Autobranche normalerweise, um ein neues, marktreifes Modell auf die Straße zu bringen. Auf der IAA 2017 könnte Google mit einem eigenen Messestand in Frankfurt dabei sein.