„Worauf wartet die EZB noch?“: Inflation im Euro-Raum auf Rekordhoch
Um 5 Prozent stiegen die durchschnittlichen Preise. Wirtschaftsexperten machen die Geldpolitik der EZB dafür verantwortlich.
Die Inflation im Euro-Raum ist im Dezember überraschend auf ein erneutes Rekordhoch gestiegen. Waren und Dienstleistungen kosteten durchschnittlich 5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie das Statistikamt Eurostat am Freitag zu seiner ersten Schätzung mitteilte. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Statistik 1997. Im November hatte die Teuerungsrate bei 4,9 Prozent gelegen.
Die Inflationsrate liegt damit mehr als doppelt so hoch wie das Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB), die mittelfristig eine Rate von 2,0 Prozent als optimalen Wert für die Wirtschaft anpeilt. Damit wird es für die Währungshüter um EZB-Präsidentin Christine Lagarde schwieriger, ihre lockere Geldpolitik zu rechtfertigen, so Experten. „Der Inflationsdruck ist hoch“, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. „Worauf wartet die EZB noch?“
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Während etwa die US-Notenbank Fed im Kampf gegen die hohe Teuerung für dieses Jahr mehrere Zinserhöhungen signalisiert, schließt die EZB dies bislang aus. In den USA glaube man nicht mehr, dass der Anstieg der Inflationsraten nur vorübergehend sei, sagte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. „Die EZB hält aber genau an dieser Sichtweise fest.“
Höhere Zinsen machen Kredite teurer. Das kann die Nachfrage dämpfen – und damit den Anstieg der Preise. Außerdem könnte der Euro als Währung von höheren Zinsen profitieren, was wiederum Importe verbilligen würde.
Am stärksten stiegen im Vergleich zum Dezember 2020 erneut die Energiepreise, nämlich um 26 Prozent. Ohne Energie und unverarbeitete Lebensmittel hätte die Teuerungsrate nur 2,7 Prozent betragen. Lebensmittel, Alkohol und Tabak kosteten 3,2 Prozent mehr als im Dezember 2020.
[Die Morgen- und Abendlage, der tägliche Nachrichten-Überblick aus der Hauptstadt – kompakt, schnell und interaktiv. Hier geht es zur Anmeldung.]
Die hohe Inflation hält wohl auch im nächsten Jahr an. Die EZB hat kürzlich ihre Inflationsprognose für 2022 auf 3,2 Prozent angehoben und damit fast verdoppelt. Auch in den Reihen der Euro-Hüter sind zuletzt allerdings Warnungen vor dieser Entwicklung laut geworden.
Die EZB-Prognose, wonach die Teuerungsrate 2023 wieder unter zwei Prozent fallen werde, könne etwas zu rosig sein, sagte etwa der niederländische Notenbankchef Klaas Knot. In der deutschen Wirtschaft herrscht bereits Unmut über die Geldpolitik der Zentralbank. „Die EZB tut nicht zu wenig, sie tut das Falsche“, sagte Dirk Jandura, der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), kürzlich der Agentur Reuters. Dass die EZB „in Krisenzeiten zur Stabilisierung der Staatsfinanzen beiträgt, kann politisch durchaus gerechtfertigt werden – aber nicht auf Dauer.“ Langfristig gefährde dies das Vertrauen in die Währung.
EZB beendet Anleihenprogramm und setzt gleich danach ein neues auf
Der EZB-Rat hatte im Dezember beschlossen, Anleihen-Zukäufe über das 1,85 Billionen Euro schwere Pandemie-Notprogramm PEPP im kommenden Frühjahr zu beenden. Fällige Tilgungsbeträge sollen jedoch noch bis mindestens Ende 2024 reinvestiert werden. Außerdem schafft die EZB ein kleineres Anleihenprogramm namens APP. Dessen Ende ließen die Währungshüter bewusst offen. EZB-Chefin Christine Lagarde ließ durchblicken, dass die Nullzinspolitik auch im Jahr 2022 fortgesetzt werden soll.
Experten gehen zwar davon aus, dass der Höhepunkt der Inflation überschritten ist. Gleichwohl dürfte sie noch eine ganze Weile über der von der EZB angestrebten Zwei-Prozent-Marke liegen. Für ein Risiko hält Ökonom Gitzel die „fortwährende Verspannung internationaler Lieferketten“, warnte Ökonom Gitzel. „Würden dadurch vielfältige Güter weiter knapp bleiben, bestünde weiterer Teuerungsdruck.“ (REUTERS)