Preisexplosion: In sechs Jahren könnte der Benzinpreis um 80 Cent ansteigen
Ab 2027 droht ein Preisschock mit 300 statt 25 Euro pro Tonne CO2. Wie die Politik jetzt gegensteuern muss.
Durch den nationalen deutschen Emissionshandel (nEHS) droht ab dem Jahr 2027 ein Preisschock, wenn die Politik nicht gegensteuert und den Preisanstieg früher einleitet. Auf deutlich über 300 Euro pro Tonne CO2 könnten die Kosten für Verursacher von Brennstoffemissionen zum Beispiel in den Bereichen Verkehr, Gebäude und kleinere Industrie schlagartig ansteigen. Dies geht aus einer Studie des Beratungsunternehmens r2b hervor, die vom Verband kommunaler Unternehmen (VKU) in Auftrag gegeben wurde.
VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing forderte die Bundespolitik eindringlich zum Handeln auf. „Wenn jetzt nicht sehr schnell politische Entscheidungen getroffen werden, droht uns nach Ende der festgelegten Preise im nationalen Emissionshandel, also 2027, ein regelrechter Preisschock“, sagte er. Die Studie habe gezeigt: „Dann sind Marktpreise von rund 300 Euro pro Tonne möglich.“ Bei einer Übertragung auf den Benzinpreis sei dann mit einer Preissteigerung in der Dimension von 80 Cent pro Liter zu rechnen. „Das ist sicher nicht im Sinne der politischen Akteure.“
Hintergrund ist, dass der nationale Emissionshandel im Grunde noch gar keiner ist. Für Brennstoffe wie Heizöl, Gas zum Heizen und Benzin und Diesel sind die Preise bis 2026 staatlich festgelegt. Dieses Jahr beträgt der CO2-Preis 25 Euro pro Tonne, das bedeutet zum Beispiel rund sieben Cent für einen Liter Benzin. Doch ab 2027 soll es nach der derzeitigen Planung einen Markt geben. Die Emissionen sind dann begrenzt und werden gehandelt, so bildet sich der Preis.
"Schlagartig äußerst begrenztes Angebot"
In der Studie heißt es: „Aus heutiger Sicht besteht die Gefahr, dass die (im entsprechenden Gesetz BEHG vorgesehen) Preise bis zum Ende der Festpreisphase weder im aktuellen Zielrahmen, noch beziehungsweise erst recht in einer geplanten Green-Deal-Welt in der Lage sein werden, zielkonforme Treibhausgas-Minderungen anzureizen.“ Deswegen könnten sich mit Beginn der freien Preisbildung ab dem Jahr 2027 sehr starke Preisanstiege realisieren. Diese seien dann notwendig, um die Nachfrage mit einem „schlagartig äußerst begrenzten Angebot ins Gleichgewicht zu bringen“.
Die Autoren argumentieren, dass es klüger wäre, den Anstieg zu verstetigen. Die Marktteilnehmer könnten sich dann an den Emissionspfad in Richtung Klimaneutralität gewöhnen und „ihre Investitionen darauf ausrichten“.
Angezeigt wäre es laut VKU-Chef Liebing deshalb, jetzt einen „deutlich ambitionierteren und damit auch höheren Preispfad“ festzulegen, der nach und nach ansteige und damit den Preisschock verhindere. Der Verband nennt keine genauen Zahlen für die geforderten Preiserhöhungen. In der Studie wird aber ein Preis von nominal 130 Euro im Jahr 2025 pro Tonne CO2 formuliert – weit über den derzeit festgelegten 55 Euro – auch wenn Genaueres unter anderem von der Ausgestaltung der europäischen Rahmenbedingungen abhinge. „Meine Hoffnung und Erwartung ist, dass diese Festlegung auf einen höheren Preispfad im Rahmen der Klimaschutzgesetzgebung im Parlament möglich ist. Also noch in dieser Legislaturperiode und damit vor der Wahl“, sagte Liebing.
Sogar die Grünen fordern niedrigeren Preis
Die Berechnungen zeigen, wie weit klimapolitische Notwendigkeiten, die sich aus dem neuen Klimaschutzziel der Bundesregierung und den europäischen Anstrengungen ergeben, und die bundespolitische Gegenwart im Wahlkampf auseinanderklaffen. Sogar die Grünen fordern lediglich 60 Euro pro Tonne CO2 im nEHS 2023, gleichwohl dann weitere Steigerungen erfolgen sollen. Damit liegen auch sie deutlich unter den Szenarien des Beratungsunternehmens r2b eines Preispfades ohne plötzliche Schocks.
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Die Einschätzung von VKU und r2b erhält aber aus der Fachwelt Rückendeckung. Bereits im April hatte das Analysehaus ICIS sehr hohe Marktpreise prognostiziert. Felix Matthes vom Öko-Institut sagte, bei freier Preisbildung sei 2027 ein Niveau von rund 300 Euro „durchaus realistisch“. Denn die Vermeidungstechnologien wie zum Beispiel Wasserstoff-Einsatz lägen auf diesem Niveau. Auch Rainer Baake, Direktor der Stiftung Klimaneutralität, sagte, wenn man allein auf den Preis setze, gehe dieser „durch die Decke“.
2025 wird über freie Preisbildung entschieden
Ist das Preisschock-Szenario unvermeidlich, wenn der Preispfad nicht früher deutlich angehoben wird? Gewisse Unsicherheiten bleiben. Erstens soll laut Gesetz im Jahr 2025 entschieden werden, ob ab 2027 überhaupt eine freie Preisbildung auf dem Markt erfolgt. Der Gesetzgeber könnte auch entscheiden, weiter bei einem vergleichsweise niedrigen Fixpreis zu bleiben. Dann rückt aber die Zielerfüllung wohl völlig außer Reichweite.
Eine zweite Möglichkeit: Der nEHS könnte bis dahin von einem europäischen Emissionshandelssystem abgelöst worden sein. Allerdings sieht es danach im Moment eher nicht aus, wie aus Brüsseler Quellen zu hören ist.
Dennoch ist die vom VKU gewünschte nationale Anhebung des Preispfads noch in dieser Legislaturperiode wohl äußerst unwahrscheinlich. Aus den Koalitionsfraktionen hieß es, die Einigung auf das Klimaschutzgesetz und ein erstes Maßnahmenpaket („Klimapakt“) seien bereits schwierig zu erzielen. Weitergehende Reformen, insbesondere auf Maßnahmen, die die Brennstoffpreise klar ersichtlich erhöhen, seien „kaum vorstellbar“, hieß es aus Abgeordnetenkreisen von Union und SPD weitgehend übereinstimmend.
Wie kann man den Preis in Wahlkampf-Zeiten erhöhen?
Gerade im Vorlauf zur heißen Phase des Wahlkampfs schrecken alle Parteien, die schon im Bundestag sitzen, davor zurück, sich ehrlich zu machen und klar zu benennen, welche Auswirkungen die CO2-Bepreisung zum Beispiel auf Sprit und Heizöl haben würde. Allerdings ergeben sich analog auch hohe Staatseinnahmen, die direkt oder indirekt zurück an die Bürger fließen können. Direkt könnte zum Beispiel eine Pro-Kopf-Prämie an die Bürger fließen. Indirekt wäre eine Entlastung bei anderen Steuern und Abgaben.
Der VKU plädiert für Letzteres. „Strom zu entlasten und andere Verbraucher verursachergerecht zu belasten ist der richtige Weg“, sagte Liebing. Die Entlastung der Elektrizität von Steuern, Umlagen und Abgaben ist für ihn „doppelt sinnvoll“. Erstens werde so die kommunale Sektorkopplung möglich und die dringend benötigten Technologien wie E-Mobilität und Wärmepumpen vor Ort bekämen eine bessere Chance am Markt. „Zweitens ist damit auch schon ein gutes Stück sozialer Ausgleich möglich, denn Strom wird im Vergleich zum Einkommen überproportional von einkommensschwächeren Haushalten verbraucht“, sagte er.