Interview mit Stadtplaner Christoph Mäckler: „Wir müssen dichter bauen“
Mit ihrer „Düsseldorfer Erklärung“ fordern Stadtplaner, Bürgermeister und Architekten Reformen des Baurechts. Was läuft da schief? Nachfragen beim Initiator.
Herr Professor Mäckler, erstmals fordern 50 Baustadträte, Bürgermeister und Planungsdezernenten mit Ihnen an der Spitze von der Bundespolitik eine Änderung der Baugesetzgebung. In Ihrer „Düsseldorfer Erklärung“ postulieren Sie eine klare Trennung öffentlicher und privater Räume zur Voraussetzung für einen gelungenen Städtebau. Bräuchte es nicht viel eher städtische Räume, die Wohnen, Arbeit und Einkaufen an einen Platz bringen?
Prinzipiell ja! Es ist aber so, dass wir mit der Trennung von öffentlich und privat die Trennung von der Straße und dem Hof meinen. Sie können das in Berlin sehr gut nachvollziehen. Es gibt wunderschöne Wohnhöfe in Berlin, in denen eben gewohnt wird und in denen Kinder spielen können – unter einer gewissen sozialen Kontrolle der Bewohner. Und dann gibt es eben die öffentliche Straße und den öffentlichen Platz, die davon getrennt sein müssen.
Sie sehen die öffentlichen Räume als Sozialräume der Europäischen Stadt. Sie träumen in Zeiten virtueller Welten, Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz von der Schönheit von Stadträumen, als würden wir in Städtebildern der Weimarer Republik leben. Wenn es einen Sozialraum gibt, dann verbirgt der sich hinter einem leuchtenden Display, er ist viereckig und passt in jede Jackentasche. Öffentliche Räume sind heute nur noch für Touristen interessant. Eigentlich könnte man auf sie verzichten.
Also, das halte ich für völlig abwegig! Der öffentliche Raum unserer Städte ist der öffentliche Raum unserer Demokratie. Wenn Sie nach Florenz fahren, fahren Sie nicht in die neuen Vororte von Florenz, sondern in die Altstadt…weil sie so lebendig und lebenswert ist und wir uns nach diesen Qualitäten im Alltag sehnen.
…. ja, natürlich, als Tourist!
Im öffentlichen Raum einer Stadt treffen sich Einwohner und Reisende. Wenn Sie jemandem sagen, ich fahre nach Paris, dann fahren Sie nicht in die Banlieues, sondern Sie gehen selbstverständlich ins Zentrum der Stadt. Dort sind Plätze, in den Geschichte spürbar wird und unsere europäische Identität verwurzelt ist. Auf denen aber auch heute gelebt, gearbeitet, gewohnt und gefeiert wird und sich somit die städtischen Funktionen mischen.
…, ja, als Tourist!
Nicht nur als Tourist, sondern wenn wir zum Beispiel unsere Meinung öffentlich äußern wollen und demonstrieren. So fand die Demonstration für Charlie Hebdo in Paris am Platz der Republik statt und eben nicht in den Banlieues. Sie sagen, wir brauchen das alles nicht mehr. Ich sage: Es sind schon so viele Säue durch die Stadt gejagt worden. Ob es die „Verkehrsgerechte Stadt“ ist oder die „Aufgelockerte Stadt“ oder wie auch immer diese städtebaulichen Leitbilder alle heißen. Jeder hat irgendeinen neuen Begriff, der gehypt wird und der in irgendeiner Weise weismachen will, dass der öffentliche Raum kein Wohnraum ist. Das ist er aber! Der Mensch braucht ein Wohnumfeld, in dem er sich gerne bewegt, und zwar nicht nur mit dem Auto, sondern eben auch zu Fuß.
Sie kennen ja sicher die Pläne für die Europacity. Entsteht hier ein Umfeld, in dem man sich gerne bewegt?
Mit Sicherheit nicht. Hier herrschen die Vorstellungen des 20. Jahrhunderts vor. Wir müssen an die Stadt des 21. Jahrhunderts denken.
Es steht wenig von Verkehrsführung und Logistik in Ihrer Düsseldorfer Erklärung: Wie gehen denn Internethandel und das Verschwinden des Einzelhandels aus den Innenstädten mit Ihren Überlegungen zusammen?
Natürlich beeinflusst und verändert das unser städtisches Leben, aber es braucht neben dem Digitalen unbedingt das Analoge. Es gibt immer wieder neue Dinge in der Europäischen Stadt. Wir leben heute in einer völlig anderen Zeit. Wo früher eine Familie in einer Etage gewohnt hat, irgendwo in der Giesebrechtstraße vielleicht, mit irgendwelchen Stiegen für die Bediensteten, da haben Sie heute zwei, drei Wohnungen drin. Zwischenzeitlich gab es vielleicht eine Arzt- und eine Anwaltspraxis drin, weil keiner mehr dort in den großen Wohnungen wohnen wollte. Das heißt: Dieser Baukörper Stadt hat viele Zeiten durchlebt und er wird auch weitere Zeiten durchleben.
Die Europäische Stadt ist ein Nukleus für unser demokratisches Verständnis: Die Straße ist Ort des Handels, Ort der Diskussion, Ort der Begegnung. Wenn die Gesellschaft das so möchte, was spricht dann eigentlich dagegen, solche Räume neu zu schaffen? Nicht mehr und nicht weniger möchte die „Düsseldorfer Erklärung zur Änderung der Baugesetzgebung“. Wir müssen die Möglichkeit haben, eine Dichte zu bauen, die die Voraussetzung für die Europäische Stadt ist. Wir müssen eine funktionale und soziale Mischung haben. Diese Dinge sind mit der heutigen Baunutzungsordnung nur sehr schwer erzielbar. Deshalb fordern wir Änderungen.
Sie sind für Kompaktheit und Dichte der Stadt sowohl mit Blick auf die Baukörper und auf die Bevölkerungszahlen. Aber das ist ja gerade das Problem: das ständige Städtewachstum. Diese Moloche sind doch von Übel, weil sie sich immer weiter ausbreiten und verdichten. Müssen wir nicht einen ganz anderen Städtebau und ein ganz anderes Verständnis von Städten entwickeln? Peking zumindest scheint uns aus unserer europäischen Perspektive keine besonders lebenswerte Stadt zu sein.
Ja, deswegen reden wir auch nicht von Peking, sondern von Europa und wir reden im Grunde genommen von Deutschland, von den Städten, in denen wir leben.
Richtig, aber wir haben ja auch einen enormen Zuzug, der städtebaulich bewältigt werden muss. Reißen wir wie in Peking unsere Häuser ab und bauen dort neue Hochhäuser oder was machen wir?
Ich bin sehr sicher, dass wir mit einer anderen Bauordnung einiges ermöglichen können. Im Moment haben wir eine Deckelung der Dichte, eine Deckelung der Ausnutzung auf dem Grundstück und das ist einfach nicht gut, entspricht einfach nicht dem, was die Gesellschaft an der Europäischen Stadt heute liebt. Wir können dichter bauen, eine Nachverdichtung ist problemlos möglich. Heute leben deutlich weniger Menschen in einem städtischen Quartier, als das zum Beispiel in der Gründerzeit der Fall war.
Wir müssen gleichzeitig dafür sorgen, dass wir auch Parks und Alleen haben. Wir planen ja so etwas gar nicht mehr. Wenn Sie diese Wohnorte auch um Berlin herum sehen, dann stehen die Häuschen frei verteilt in der Gegend rum. Das ist nicht das, was eine soziale Gemeinschaft braucht.
Wir brauchen öffentliche Räume, in denen sich gemeinsam leben lässt. Und natürlich müssen wir, um der Klimasituation Herr zu werden, Grünflächen planen. Übrigens wird der CO2-Ausstoß durch die dichte Quartiersplanung der Europäischen Stadt positiv beeinflusst.
Die Strukturen der Großstädte in Deutschland sind mehr oder weniger „fix“. Wie lässt sich denn daran eigentlich noch mit städtebaulichen Änderungen rütteln?
Es lässt sich noch viel gestalten und ändern. Wir sind im Moment nur dabei, den Zuzug in die Städte aufzufangen, wir müssen dafür sorgen, dass wir genügend Wohnungen zur Verfügung stellen, und es geht jetzt einfach darum: Wie bauen wir diese Wohnungen? Gehen wir so heran wie in der aufgelockerten Stadt? Drumherum noch ein paar Hochhäuser und wenn wir Glück haben, noch ein U-Bahn-Anschluss? Eine soziale Mischung der Gesellschaft ist hier nicht möglich. Genau das, was früher in der Gründerzeit der Fall war. Da haben Sie in der Beletage den gehabt, der ein bisschen mehr Geld hatte. Und hinten im Hof hatten Sie Leute mit kleinerem Geldbeutel, die in kleineren Wohnungen lebten.
Das heißt: man hat auf einer Parzelle eine soziale Mischung gehabt. Wir bauen heute eine vielleicht 100 Meter lange Wohnzeile, einen „Karnickelstall" neben dem anderen. Alle gleich geschnitten. Da will doch eigentlich keiner wohnen. Die Menschen wollen in einem urbanen Umfeld leben.
Wie wollen Sie denn heute eine soziale und funktionale, eine bauliche Mischung realisieren?
Es geht um einen Gebäudetypus, der ein Vorderhaus hat, der einen Hof hat, einen Wohnhof und den wird man nicht mehr so bauen, wie das im schlechtesten Fall in der Berliner Ackerstraße seinerzeit passiert ist. Sondern man wird großzügige Wohnhöfe bauen, die unversiegelt sind, wo Bäume wachsen können. Wo Kinder spielen können, wo es eine soziale Gemeinschaft gibt auf kleinem Raum. Wir leben am liebsten in Altbauvierteln, in der Stadt der kurzen Wege. Dichte, funktionale und soziale Mischung sind das, was wir wieder erzielen müssen.
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