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Im November 2018 hängen Transparente an der Fassade der Karl-Marx-Allee.
© REUTERS/Joachim Herrmann/File Photo
Exklusiv

Karl-Marx-Allee: Rechtsgutachten wirft Deutsche Wohnen Tricksereien vor

Ein neues Gutachten wirft Fragen zu Vorkaufspreisen in der Karl-Marx-Allee auf. Leere Wohnungen seien günstiger als belegte angeboten worden – marktunüblich.

Die Preisgestaltung der Deutschen Wohnen  beim Verkauf ihrer Wohnungen in der Karl-Marx-Allee im Rahmen des Vorkaufsrechts weist starke Ungereimtheiten auf. Leerwohnungen in den Blöcken der Karl-Marx-Allee wurden preislich günstiger bewertet als die aktuell belegten Wohnungen. Das ist marktunüblich: Normalerweise sind Wohnungen, die sofort vom neuen Eigentümer bezogen oder vermietet werden können, rund zwanzig Prozent pro Quadratmeter teurer als die vermieteten. Der Preisunterschied liegt oft um die 1000 Euro.

In einem Rechtsgutachten, das dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es dazu: „Es steht (…) der Verdacht im Raume, dass die gänzlich unsystematisch erscheinenden Preisunterschiede bei den Wohnungen darauf zurück zu führen sind, dass die Vertragsparteien (…) auf der Grundlage von Miethöhe, Alter von Mietvertrag und/oder Mieter die Wahrscheinlichkeit prognostiziert haben, ob ein Mietervorkaufsrecht ausgeübt wird und bei solchen Wohnungen, bei denen eine Ausübung für eher wahrscheinlich gehalten wurde, die Preise erhöht haben.“ Wäre dem so, würden den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften Berlins im Zuge des „gestreckten Erwerbs“ überteuerte Preise zu Lasten von Landeskasse und Steuerzahlern berechnet

Die Deutsche Wohnen wies den Vorwurf auf Anfrage als haltlos zurück. „Das genannte Rechtsgutachten kennen wir nicht – weder Inhalt, noch Verfasser – weswegen zu diesem keine Stellungnahme von uns abgegeben werden kann“, sagte Sprecherin Manuela Damianakis. „Solche Unterstellungen sind uns aus den einstweiligen Verfügungsverfahren bekannt“, sagte sie weiter: „Predac und Deutsche Wohnen sind diesem Vorwurf vor Gericht bereits fundiert entgegengetreten. Die Kammer des Landgerichts hat – wie allgemein bekannt – die einstweiligen Verfügungen Ende Februar 2019 aufgehoben.“

Christoph Lang, Pressesprecher der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM), sagte auf Anfrage: „Die WBM hat für den Block D-Süd (Karl-Marx-Straße 92-100) ein kommunales Vorkaufsrecht ausgeübt. Zu den anderen vier Blöcken sind derzeit noch Gerichtsverfahren anhängig. Wir bitten Sie daher um Verständnis, wenn wir uns aus Rücksicht auf die laufenden Verfahren und Vertraulichkeit der Verträge nicht weiter zu ihren Fragen äußern können.“ Die Gewobag, die Eigentümerin der im „gestreckten Erwerb“ weitergereichten Wohnungen werden soll, wollte sich auf Tagesspiegel-Fragen, die sich aus dem Gutachten ergeben, nicht äußern.

Mehrere tausend Euro Unterschied beim Quadratmeterpreis

Hinsichtlich der Kaufpreise pro Quadratmeter stellten die Gutachter eine nicht nachvollziehbare Spreizung von rund 3200 Euro bis 5800 Euro fest – angeblich ohne, dass dies aufgrund der Wohnungsgröße, des Mietpreises und des Stockwerks nachvollziehbar wäre.

Im Block C-Süd zum Beispiel wurden leer stehende Wohnungen nach Angaben der mit dem Gutachten beschäftigen Anwälte laut Gutachten durchschnittlich zu circa 3430 Euro bepreist. Der Wert lag damit unterhalb des Durchschnittspreises für die Mietwohnungen in Höhe von 3828 Euro.

Im Block C-Nord wurden Leerwohnungen auf durchschnittlich 3400 Euro pro Quadratmeter taxiert – gegenüber 3970 Euro (Durchschnittspreis für die Mietwohnungen). Im Block D-Nord wurden leer stehende Wohnungen zu circa 3400 bepreist. Der Wert korrespondierte mit einem vor Gericht genannten Durchschnittspreis von 3786 Euro für die Mietwohnungen.

Anhand der Preisvergleiche folgern die Verfasser des Gutachtens, denen die Kaufpreislisten vorlagen, dass im wesentlichen die mit Mietervorkaufsrecht „belasteten“ Wohnungseinheiten teuer gemacht wurden. Dagegen stellen sich die Leerwohnungen, die Gewerbe- und Ladeneinheiten besonders preisgünstig dar. Während bei den derzeit gesuchten Büroflächen in der Stadt – je nach Lage – so hohe Mietpreise wie bei Wohnungen aufgerufen werden könnten, ist die Lage beim Gewerbe anders. Einzelhändler leiden, je nach Branche, unter dem Online-Handel. Der Preis richtet sich auch nach Laufrichtung der Passanten und nach der jeweiligen Straßenseite.

Jan Kehrberg, Professor an der TU Berlin und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht in der Kanzlei GSK Stockmann, die das Land Berlin im Verfahren des „gestreckten Erwerbs“ berät, sagte dem Tagesspiegel zum rechtlichen Rahmen der Preisgestaltung, der Verkäufer sei nicht gehindert, frei bestimmte Einzelpreise für die Wohnungen zu vereinbaren und dann die Summe als Gesamtpreis zu bilden.

Natürlich gelte über alles der Grundsatz von Treu und Glauben: „Das heißt, die Zuordnung muss plausibel sein – z. B. wegen Lageunterschieden der Wohneinheit – oben ist teurer als unten, leise ist teurer als laut, frei ist teurer als vermietet, klein ist pro Quadratmeter teurer als groß usw. – und nicht allein zur Erschwerung des Vorkaufs erfolgt sein.“

„Missverhältnis zwischen Preisen für Gewerbefläche und Wohnungen“

Genau dies unterstellt das vorliegende Gutachten. Es untermauert den Vorwurf mit dem Verweis auf das angeblich „erhebliche Missverhältnis zwischen Preisen für Gewerbefläche und Wohnungen“. Wie die Wohnungsmieten, so schrauben sich auch die Büromieten in Berlin in immer neue Höhen. Dem in dieser Woche veröffentlichten „City Report Region Berlin 2019/20“ des Maklerhauses Aengevelt ist zu entnehmen, dass sich die Mieten auf dem Büromarkt binnen Jahresfrist erneut markant erhöht haben.

Aengevelt-Sprecher Thomas Glodek bestätigte, dass es „wirklich ungewöhnlich“ sei, Leerwohnungen billiger einzupreisen als bewohnte Wohnungen: „Nur wenn sich einer in eine Wohnung verliebt, kann das schon einmal vorkommen.“ Laut Rechtsgutachten wurden die Eigentumswohnungen der Blöcke C-Süd, C-Nord und D-Nord 2018 der Deutsche Wohnen (DW) über deren Tochter DWRE Alpha GmbH zu einem Gesamtkaufpreis verkauft: Block C-Süd 88 900 000 Euro, Block C-Nord 80 250 000 Euro, Block D-Nord 46 000 999 Euro. Die verkaufenden Gesellschaften bürgerlichen Rechts überließen dann die „Allokation“ – das heißt: die Verteilung des Kaufpreises auf die einzelnen Wohn- und Gewerbeflächen (Teileigentum) – der DWRE Alpha GmbH.

Mieter bekamen Keller nicht angeboten

Den Mietern wurde dann um den 4. November 2018 herum der Verkauf ihrer Wohnung und das daran bestehende gesetzliche Vorkaufsrecht nach Paragraf 577 BGB angezeigt; die Sondernutzungsrechte an den Kellern waren in den Anzeigen nicht enthalten, sondern einer Gewerbeeinheit zugeschlagen. „Das ist sehr hinterhältig gemacht“, sagt Norbert Bogedein, Vorsitzender des Mieterbeirates Karl-Marx-Allee. So bleiben die Miteigentumsanteile der Keller bei der Deutsche Wohnen, denn für die Gewebeeinheiten und Keller gilt kein Vorkaufsrecht.

Nach Bogedeins Angaben haben 52 der insgesamt 680 Mieter in den drei Blöcken zur Eigennutzung gekauft. Weitere 314 Mieter haben sich auf den Verfahrensweg des „gestreckten Erwerbs“ begeben, reichen ihre Wohnungen also an eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft weiter. Deren Miteigentumsanteile liegen in allen drei Blöcken jeweils unter fünfzig Prozent. Das heißt: Sie bringen in den Eigentümerversammlungen keine eigenen Mehrheiten zustande.

Die Mieter wissen im Einzelfall nicht, welche Preise bei ihren Nachbarn aufgerufen werden und können infolgedessen keine Vergleiche ziehen. Das ist rechtlich erst mal nicht zu beanstanden, sagt Jan Kehrberg (GSK Stockmann): „Maßgeblich für die Bedingungen des Vorkaufsrechts ist nur der konkrete Kaufvertrag über die Mietwohnung. Der vorkaufsberechtigte Mieter erfährt nicht, was der Eigentümer mit anderen Wohnungen und Dritten vereinbart. Er hat darauf auch keinen Anspruch, weil er aus den anderen Verträgen keine Rechte für sein Verhältnis gegenüber dem Vermieter herleiten kann.“

Nach Angaben des Vorsitzenden des Mieterbeirates Karl-Marx-Allee, Norbert Bogedein, finden sich die von Deutsche Wohnen aufgerufenen Preise im Marktpreis wieder. Allerdings, so sagt er weiter: „Es ist nicht eindeutig, nach welchen Kriterien die Verkäufer die Vorkaufsrechtpreise aufgerufen haben. Die Wohnung unter meiner im Block C-Süd ist etwas kleiner, aber 25.000 Euro teurer.“

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