Vorkaufsrecht: Mit freundlichen Grüßen
Wie Bezirke alle Register ziehen, um Abwendungsvereinbarungen zu schließen.
Wer wissen möchte, wie es sich anfühlt, vor der privaten Insolvenz zu stehen, muss einmal mit Jörg Zander sprechen. Er bekam am 26. Juni dieses Jahres einen ersten Mahnbescheid. Das Finanzamt Spandau stellte zu zahlende Grunderwerbsteuer in Höhe von 210600 Euro für ein Rechtsgeschäft in Rechnung, das auf Intervention des Bezirks Tempelhof-Schöneberg gestoppt wurde. Das Amt prüfte die Ausübung des Vorkaufsrechtes im Milieuschutzgebiet – denn Jörg Zander will mit seinem Bruder Ralf das gemeinsame Eigentum in eine Familienstiftung überführen, um es für die nächsten Generationen zu sichern. Solange die Prüfung andauerte, konnte das Grundstück natürlich nicht an die Stiftung übertragen werden – Bereitstellungszinsen wurden fällig.
„Unser Vater hat das Haus Tempelhofer Damm 152 als Nachkriegsruine erworben“, sagt Jörg Zander. Er selbst hat keine Kinder, ob sich die Kinder des Bruders für das Eigentum einmal begeistern, steht dahin. „Und unser Neffe will sich wegen der Erbschaftssteuer nicht verschulden.“ Der Anwalt riet: „Macht doch eine Familienstiftung.“ So könne auch die Mieterstruktur erhalten werden. „Das hat alles Zeit, Mühe und Geld gekostet, denn wir waren ja auch noch beim Notar“, sagt Jörg Zander. Dann der Schlag: An einem Sonntagmorgen hat er um sieben Uhr früh einen Mieter am Telefon. „Sie wollen verkaufen?“, fragte der besorgt.
Ohne Zanders Wissen hatte das Bezirksamt „an die Mieterinnen und Mieter“ geschrieben – zwecks „Prüfung des gemeindlichen Vorkaufsrechts gemäß Paragraf 24 Baugesetzbuch“. Man möge bitte den Fragebogen ausfüllen, weitere Anlagen: Rückumschlag und Informationsschreiben zum Vorkaufsrecht. „Zur Prüfung und gegebenenfalls späteren Ausübung des Vorkaufsrechts benötigen wir möglichst umfangreiche Aussagen über den Ausstattungszustand der Wohnungen und des Gebäudes.“ Die Informationen würden anonym erhoben und vertraulich behandelt. „Sofern das Vorkaufsrecht zugunsten einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft ausgeübt werden soll, werden die erfassten Daten an die Wohnungsbaugesellschaft zur vertraulichen Nutzung weitergegeben.“
Kräftemessen oder Erpressungsversuch?
Indes ging es in dem Schreiben an die Mieter um eine andere Immobilie – eine in der Potsdamer Straße. Jörg Zanders Bruder Ralf fiel das auf. Er erbat neue Anschreiben. Das Amt antwortete: „Hier ist ein Versehen passiert, die Anschreiben wurden angepasst, aber die recycelten Bögen nicht. Ich würde Sie bitten, der Einfachheit halber die Mieter zu bitten, dass die Straße und das Gebiet (Tempelhof) handschriftlich geändert werden.“ So die Worte der Mitarbeiterin des Stadtentwicklungsamtes Tempelhof-Schöneberg, Fachbereich Stadtplanung.
Datenschutz? Warum werden seine Mieter ohne sein Wissen angeschrieben? Jörg Zander versteht das alles nicht. Er sollte eine Abwendungsvereinbarung unterschreiben. „Dann kann ich aber nicht einfach einfaches Fensterglas gegen Doppelverglasung austauschen“, gibt er zu bedenken. Und unterschrieb nicht. So ließ der Bezirk offen, ob er das Vorkaufsrecht wahrnimmt oder nicht. Ein Kräftemessen. „Ein Erpressungsversuch“, findet Zander: „Unterschreiben Sie das, dann können Sie das Verfahren verkürzen“, sei ihm gesagt worden. Er habe überlegt, mit allen Mietern ins Rathaus zu ziehen. „Es kann doch nicht im Interesse des sozialen Friedens in dieser Stadt sein, erst einmal keine Transparenz im Verfahren zu haben, dann Unruhe bei den Mietern zu schüren und uns letztendlich auch noch wirtschaftlichen Schaden beizufügen.“
Einige der Wohnungen Tempelhofer Damm 152 werden für 4,50 pro Quadratmeter kalt vermietet. Zander ist vom Geldhai so weit entfernt wie der Goldfisch. Und ärgert sich.
Das Finanzamt mahnt
Wieder schreibt er an das Bezirksamt: „Laut heutigem Telefonat (am 7. Juli, d. Red.) mit dem Finanzamt, steht uns nun die Vollstreckung des beigefügten Mahnbescheides 212706 Euro direkt bevor. Solch eine Summe können wir selber nicht ansatzweise aufbringen und sind daher dringend auf die Auszahlung der Bank angewiesen. Diese wiederum wartet, wie wir auf die Erstellung des Negativzeugnisses und verlangt derweil Bereitstellungszinsen. Das Finanzamt wartet nicht und wird vollstrecken! Ich bitte Sie also nochmal eindringlich den Vorgang unverzüglich abzuschließen und das Negativzeugnis auszustellen.“
Vorangegangen war dem die Versicherung der Zanders: „Um auch für die nächsten mindestens 60 Jahre für unsere Mieterschaft eine stabile Situation zu sichern, werden wir mit keinem Dritten eine Vereinbarung treffen, die diese gewohnte Sicherheit für unsere Mieter in irgendeiner Weise in Gefahr bringen könnte. Wir haben in den letzten Jahrzehnten deutlich belegt, dass wir ein Anliegen hier in unserem Kiez haben. Wir sind uns mit unseren Mietern einig, dass wir dies nicht aus der Hand geben.“
Auf Bitten, das Verfahren doch in irgendeiner Form zu beschleunigen, wurde nicht reagiert, sagt Jörg Zander. Er wandte sich schließlich an den Tagesspiegel, der am Donnerstag in Vertretung von Baustadtrat Jörn Oltmann (Bündnis 90/Die Grünen) Post von dessen Referenten Uwe Klotz bekam: „Im Falle der Abwendung entfällt das Vorkaufsrecht und das Negativzeugnis wird unverzüglich erteilt. Hierauf wurde der Käufer mehrfach hingewiesen. Er hat jedoch davon keinen Gebrauch gemacht. Inzwischen ist die Prüfung des Vorkaufrechts abgeschlossen und das Negativzeugnis kann erteilt werden. Mit freundlichen Grüßen.“ Offiziell wusste Jörg Zander zu diesem Zeitpunkt noch nichts von dieser guten Botschaft. Hoffentlich wurde der Bescheid mit dem richtigen Inhalt nicht wieder an eine falsche Adresse geschickt.
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