Berlin Friedrichshain-Kreuzberg: Jahrelanger Streit um Dragoner-Areal wahrscheinlich
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg lädt zur öffentlichen Debatte. Investor Arne Piepgras hofft derweil auf einen Vergleich mit dem Bund.
Die Stadtplaner sind den Entwicklungen weit voraus. Das liegt in der Natur ihrer Sachen. Und so lädt der Fachbereich Stadtplanung des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg am kommenden Dienstag zum vierten öffentlichen Forum Rathausblock – landläufig Dragoner Areal genannt. Der Termin wurde bereits einmal nach vorne geschoben. Die Tagesordnung dieser Veranstaltung muss sich – notgedrungen – noch mit der Rückschau befassen. Eine Dokumentation zum Symposium zur Geschichte des Dragoner Areals soll vorgestellt werden. Zudem wird der Endbericht der Studie zum baukulturellen Erbe zur Kenntnis gegeben.
Dies alles klingt nicht nach Aufbruch. Das Dragoner Areal gehört immer noch dem Bund, obschon es längst im Rahmen des Hauptstadtfinanzierungsvertrages an das Land Berlin übertragen werden sollte. Es will hier kommunalen Wohnungsbau betreiben. Doch da ist noch etwas in der Schwebe.
Berlin macht einen Rückzieher
Für Rechtsanwalt Salvatore Barba ist die Sache klar. Er vertritt den Investor und Projektentwickler Arne Piepgras, der die Fläche von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) kaufen wollte und schon am Ziel schien. Er hatte den Zuschlag, doch der Vertrag kam nach Interventionen des Landes Berlin und des Bundesrates nicht zustande. „Nun tut sich der Bund mit der Übertragung schwer, ohne Verstoß gegen das Beihilferecht geht das eigentlich gar nicht“, sagt der Anwalt. „Ich habe bisher nicht die Wirksamkeit der Rücktrittsklausel im notariellen Kaufvertrag infrage gestellt. Hingegen bin ich sehr wohl der Auffassung, dass der Weg zur Erklärung des Rücktritts sowie die Umstände, die zum Rücktritt geführt haben, rechtsstaatlich höchst bedenklich sind.“
Barba ist mit seiner Mandantschaft in Brüssel vorstellig geworden und legte am 20. April Beschwerde bei der EU-Kommission ein. Piepgras hatte damals noch gehofft, dass sich Bund und Land Berlin zu einem Vergleich hätten durchringen können. Danach sieht es nicht aus. Keiner will mit ihm sprechen – und das, obwohl er im Sommer eine detaillierte Projektplanung vorgelegt hat. Bund und Land haben offenbar kein Interesse an einer gütlichen Einigung. Stattdessen hat man es in Kauf genommen, ein langwieriges Verfahren auf EU-Ebene, welches die Verwertung des Dragoner Areals, den Bau von Wohnungen und die Durchführung des Hauptstadtfinanzierungsvertrages 2017 blockiert, zu riskieren.
Eine Patt-Situation
Die EU-Kommission hat die nachgebesserte Beschwerde inzwischen angenommen, nur noch nicht entschieden. Mit Schreiben vom 23. Juli 2018 hat die EU-Kommission nach Angaben des Piepgras-Anwaltes auf die Beschwerde mit einer vorläufigen Einschätzung geantwortet (AZ: SA.51628 (2018/FC). Aus diesem Schreiben geht hervor, dass die Kommission den Sachverhalt mit Übertragung noch einmal prüfen wird. „Wir haben hier also ein offenes Verfahren“, sagt Barba. „Eine Patt-Situation“, sagt Piepgras. Wird das Grundstück übertragen, wird dieser Vertrag unter dem vergebenen Aktenzeichen überprüft. Sonst nicht.
Sollte die Beschwerde zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland beschieden werden, so kann die EU bis zu 10 Jahre lang die Rückabwicklung von Geschäften sowie Rückforderungen anordnen. „Man ist anscheinend bereit, diese Rechtsunsicherheit in Kauf zu nehmen, statt zügig mit dem Bau von dringend benötigtem Wohnraum zu beginnen“, sagt Barba.
In der Beschwerde bei der EU-Kommission geht es um die Frage, ob die Übertragung des Dragoner-Areals vom Bund auf das Land Berlin im Rahmen eines Tauschgeschäftes auf Grundlage der Vereinbarung im Hauptstadtfinanzierungsvertrag 2017 eine rechtswidrige staatliche Beihilfe war. Sollte die EU-Kommission dies bejahen und einen Verstoß gegen EU-Beihilferecht von Amts wegen feststellen, so stünden der Dragonerhöfe GmbH nach deutschem Recht – und damit Arne Piepgras – erhebliche Schadensersatzansprüche zu.
Investor will Vergleich schließen
„Die Höhe des Schadens begrenzt sich nicht auf die bisher geltend gemachten 2,6 Millionen Euro“, sagt Piepgras: „Der Schaden wäre vielmehr zu berechnen aus der Differenz des seinerzeit gezahlten Kaufpreises und dem heutigen Wert des Grundstücks.“ Piepgras möchte sich gerne vergleichen. Und zwar auf dieser Grundlage: „Übertragung des Eigentums an den Denkmälern auf dem Grundstück auf uns, Zug um Zug gegen Zahlung eines Kaufpreises von drei Millionen Euro, einer Investitionsverpflichtung im Kulturbereich von sechs Millionen Euro und einer Abfindungszahlung an unseren Co-Investor durch uns in Höhe von einer Million Euro.“
In einem Schreiben an die BImA wirbt Piepgras unter dem Datum des 14. Novembers noch einmal für die Lösung eines Vergleiches. Es solle aber nicht verschwiegen werden, so Piepgras’ Drohung, „dass man seitens der Politik an uns herangetreten ist mit der Frage, ob wir in Sache „Dragonergate“ einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss wünschen, der dann alle Hintergründe und Machenschaften aufdecken würde“. Dem Schreiben fügte Piepgras eine Planungsskizze des Architekten Michael Klotz bei und notierte mit freundlichen Grüßen: „Ihrer Stellungnahme sehen wir bis zum 4. Dezember entgegen.“
Nicht nur unter Juristen geht es in diesem Fall um die Basics staatlicher Gewaltenteilung. En detail geht es um:
- die Abstimmung im Finanzausschuss des Bundesrates sowie die Regelungen zu § 64 Abs. 2 Satz 1 BHO wegen Verstoßes gegen die Gewaltenteilung,
- den Verstoß, nach Abschluss des Kaufvertrages zwischen Bund und Piepgras GmbH über diesen in Bundesrat und Bundestag noch abzustimmen (§ 64 Abs. 2 Satz 2 BHO) Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip durch die willkürliche nachträgliche Abstimmung,
- Verstoß gegen die dem Bundesrat gemäß BHO obliegende Vermögensverwaltungsbefugnis durch die Entscheidung im Finanzausschuss des Bundesrates zugunsten des Rücktritts gegen das im Zeitpunkt des Votums des Finanzausschusses des Bundesrates geltende Höchstbieterprinzip,
- Verstoß gegen die Verpflichtung, nach Paragraf 1 Abs. 1 Satz 5 des BImA-Gesetzes nach kaufmännischen Grundsätzen zu handeln durch die Ausübung des Rücktritts gegenüber Piepgras sowie durch eine Übertragung des Grundstücks auf das Land Berlin.
Bund plant Tauschgeschäft
Die Angelegenheit ist – auch und gerade mit Blick auf den Hauptstadtfinanzierungsvertrag – knifflig. Selbst wenn die EU-Kommission die Übertragung des Grundstücks auf das Land Berlin als zulässig erachten würde, so will der Hauptstadtfinanzierungsvertrag aus dem Jahr 2017, dass das Eigentum am Dragoner-Areal „nach Abgabe einer öffentlichen Zweckerklärung des Landes übertragen werden soll“. Diese Klausel ist unklar, findet der Anwalt Barba. „Man könnte vielleicht diese Klausel dahingehend interpretieren, dass eine Übertragung nur unter der Voraussetzung erfolgen kann, dass das Land Berlin das Dragoner-Areal verwertet, um mit dem Erlös den Zweck des Hauptstadtfinanzierungsvertrags von 2017 zu erreichen, nämlich die Deckung der Mehrkosten durch die Funktion als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland.“ Dies bedeute allerdings, dass die Nutzung des Grundstücks für den sozialen Wohnungsbau dem Hauptstadtfinanzierungsvertrag 2017 zuwiderlaufe.
Das bedeutet, dass man selbst in der anstehenden Übertragung einen neuen Sachverhalt sehen könnte, der juristisch angegriffen werden könnte. Weiteren Klagen sind damit Tür und Tor geöffnet. Neben der EU-Beschwerde läuft derzeit noch ein von Piepgras beim OVG Berlin-Brandenburg gestellter Antrag auf Einsicht in die Verfahrensakte zur Normenkontrollklage der BImA gegen das Land Berlin zur Sanierungssatzung Rathausblock, zu dem auch das Dragoner-Areal zählt. Man wird sehen – oder auch nicht.
„Der Vertrag zum Tausch des Dragoner-Areals gegen Immobilien des Landes Berlin befindet sich auf der Zielgeraden. Der Notartermin steht kurz bevor“, teilte die BImA auf Tagesspiegel-Anfrage am Donnerstag mit.