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Fernpendler, Berufseinsteiger, Projektmitarbeiter finden in der Fasanenstraße jetzt einen Komplex mit 35 neuen Serviced Apartments vor.
© Wolfgang Scholvien

Wohnen auf Zeit: "Ich hab einen Schlüssel in Berlin"

Ferienwohnungen sind in der Hauptstadt seit Anfang Mai 2016 nur noch in Ausnahmefällen erlaubt. Doch Wohnen auf Zeit ist nicht verboten.

Mit einem Koffer nach Berlin kommen und für längere Zeit bleiben? Das ist einfacher als viele denken. Es gibt auf dem Markt zahlreiche Zeitwohnagenturen. Sie tragen so schillernde Namen wie Home Company, Tempoflat, Vision Apartments oder Crocodilian. Es geht alles in allem um rund 11 000 Wohnungen, wie das Immobilien-Beratungsinstitut Jones Lang LaSalle (JLL) kürzlich ermittelt hat. Das sind etwa 0,5 Prozent des Berliner Gesamtbestandes. Aber dieses vergleichsweise kleine Segment ist umstritten. Kritiker argwöhnen, hier werde Wohnraum zweckentfremdet.

Das sieht Christine Kandler anders. Sie ist die Chefin von Crocodilian und seit zwölf Jahren in der Branche aktiv. „Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Job in Berlin, arbeiten noch in New York City, und sollen hier auf die Schnelle eine Wohnung finden. Das geht überhaupt nicht.“ Für diesen Fall der Fälle ist das vierköpfige Team von Crocodilian gern behilflich. „Your Key to Berlin“ heißt das Motto: Ihr Schlüssel für Berlin. Christine Kandler: „Wir helfen Menschen, eine schöne stylische Wohnung auf Zeit zu finden.“

In einem Hinterhof in Berlin-Mitte, nicht weit entfernt vom Nordbahnhof, residiert die Zeitwohnagentur im zweiten Obergeschoss. Crocodilian, das klingt nach Raubtier. Christine Kandler wehrt ab: „Keine Angst, wir sind keine gefräßigen Miethaie.“ Der Name deutet aber schon in eine gewisse Richtung. Die Anglistin hatte nämlich ursprünglich ums Jahr 2000 herum am Kreuzberger Mehringdamm eine Sprachenschule gegründet. Irgendwann ging es nicht mehr nur um den Austausch von Schülern. Es stellte sich die Frage nach geeignetem Wohnraum. 2005 wurde schließlich Crocodilian gegründet.

Banker, Künstler und Musiker zieht es an die Spree

Damals war möbliertes Kurzzeitwohnen noch eine kleine unscheinbare Nische. Das änderte sich ab 2008. Zwei Jahre nach der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland setzte ein Run auf Berlin ein. Seither registrieren die Statistiker eine ungebremste Zuwanderung. Für 2016 wird die Zahl der Neuberliner auf etwa 50 000 geschätzt. Im englischsprachigen Ausland – aber auch in Osteuropa und Lateinamerika – gilt Berlin als hip. Banker, Künstler, Musiker und Forschungsstudenten zieht es in die deutsche Hauptstadt.

Dieses Klientel ist die Kundschaft von Christine Kandler. „Unsere Zielgruppe sind Menschen, die eine Arbeit in Berlin beginnen, eine Sprachenschule besuchen oder eine Ausbildung anfangen“, sagt sie. Der Aufenthalt zu diesem oder einem ähnlichen Zweck sollte mindestens zwei Monate betragen. Aus jahrelanger Erfahrung weiß die Geschäftsführerin von Crocodilian, dass es bei der Möblierung der Wohnungen auf Qualität ankommt: „Zeitgenössisches Wohnen ist das Thema, nach skandinavischem Design zum Beispiel. Die Vermieter müssen eine komplexe Dienstleistung bereithalten.“ Im Heim auf Zeit solle man sich vor allem wohlfühlen.

Das temporäre Wohnen mit Mindestmietdauer ab zwei oder drei Monaten hat seinen Preis. So bietet Crocodilian aktuell eine Zwei-Zimmer-Wohnung für zwei Personen in Charlottenburg, 70 Quadratmeter mit Terrasse, für 1750 Euro all-inclusive an. Im Bergmann-Kiez in Kreuzberg vermittelt die Agentur über das Internet eine Drei-Zimmer-Wohnung mit 66 Quadratmetern, ebenfalls für zwei Personen. Kostenpunkt: 1550 Euro.

Wohnen auf Zeit gab's schon in den 60er Jahren

Neue Apartments rechnen sich. Die Zahl der Gästeübernachtungen in Berlin hat sich in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt.
Neue Apartments rechnen sich. Die Zahl der Gästeübernachtungen in Berlin hat sich in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt.
© Felix Loechner

Das Angebot zum Wohnen auf Zeit zielt hauptsächlich auf Menschen, die aus dem Ausland nach Berlin kommen. Bei Christine Kandler machen sie 80 Prozent der Kundschaft aus. Das gesteigerte Interesse an Berlin hat auch mit den großen Preisunterschieden zu tun. Für die Miete einer Wohnung in Kreuzberg, so formulierte es ein zugezogener Bankfachmann kürzlich etwas drastisch, hätte er in London gerade mal eine Besenkammer bekommen.

Wohnen auf Zeit ist übrigens keine Erfindung der Nachwendejahre. Schon in den 60er und 70er Jahren, als es darum ging, dringend benötigte Arbeitskräfte nach West-Berlin zu holen, gab es spartanisch eingerichtete Arbeiterwohnheime für die ersten Wochen am neuen Wohnort. Die landeseigene Arwobau war damals für viele Neuberliner die erste Anlaufstelle. Eins der barackenähnlichen Heime befand sich an der Lindenstraße, dort, wo später das Jüdische Museum von Daniel Libeskind seinen Platz finden sollte.

Vor drei Jahren wurde aus der Arwobau Berlinovo. Die Aufgabe aber blieb dieselbe. Menschen, die auf dem Bau oder bei einer Behörde in Berlin eine Arbeit aufnehmen, können in einfach ausgestatteten Apartments eine Zeit lang unterkommen. Sie können so mehr oder weniger entspannt nach einer geeigneten Wohnung suchen.

Firmen, die nach Berlin umziehen, nutzen gern die Dienste von Berlinovo

Rund 6500 solcher Bleiben hält das landeseigene Unternehmen als größter Anbieter von temporärem Wohnen bereit. Die Neuberliner bekommen einen unbefristeten Mietvertrag und können beruflich an der Spree Fuß fassen. Seit drei Jahren liegt die Belegung bei rund 92 Prozent. Das entspricht einer Vollvermietung, da es ja doch häufiger zum Mieterwechsel kommt. Die Nachfrage ist anhaltend groß. Firmen, die nach Berlin umziehen, nutzen gern die Dienste von Berlinovo, sagt Unternehmenssprecher Ulrich Kaliner. „Wenn es Berlinovo nicht geben würde, müssten wir erfunden werden“, sagt er. Preislich liegen die Angebote im einfachen Segment bei 350 Euro pro Monat, eine Suite mit 68 Quadratmetern kostet – alle Nebenkosten mit eingerechnet – 1450 Euro.

Schrank, Bett, Tisch. Es braucht erst einmal nicht viel, um in einer Stadt anzukommen.
Schrank, Bett, Tisch. Es braucht erst einmal nicht viel, um in einer Stadt anzukommen.
© Felix L. Steck/www.f-s-p.com

Seit gut fünf Jahren bietet auch die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) an der Friedrichsgracht 25 möblierte Kleinapartments an – Mindestmietdauer sechs Monate. Die modern ausgestatteten Wohnungen sind alle belegt. „Das ist ein hoch gefragtes Segment“, bestätigt WBM-Sprecherin Steffi Pianka. Dennoch arbeitet das Unternehmen nicht an zusätzlichen Angeboten für möbliertes Wohnen. „Wir konzentrieren uns jetzt auf unser Kerngeschäft: Bauen, Bauen, Bauen für die hier in Berlin lebende Bevölkerung", sagt die Sprecherin.

Mieterverein: "Das möblierte Wohnen geht am Bedarf vorbei"

Damit liegt die WBM auf der Linie des Berliner Mietervereins. Wibke Werner, stellvertretende Geschäftsführerin: „Das möblierte Wohnen geht aus unserer Sicht am Bedarf vorbei, weil diese Wohnungen dem regulären Mietwohnungsmarkt entzogen werden.“ Sie sieht zwar auch eine rapide steigende Nachfrage nach Wohnen auf Zeit, schlägt aber diese Lösung des Problems vor: „Hotels und Pensionen sollten diese Zielgruppe bedienen.“

Rechtlich ist das Phänomen schwer zu fassen. Die Senatsverwaltung Stadtentwicklung und Wohnen erläutert auf Anfrage: „Die Überlassung von Wohnraum in Form von möblierten Apartments kann in einem Graubereich zwischen einer zweckfremden Nutzung und einer befristeten Wohnnutzung liegen. Ob es sich bei der jeweiligen möblierten Vermietung von Wohnraum um eine Zweckentfremdung oder um eine Form des Wohnens handelt, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab.“

Geprüft werden müsse von den zuständigen Bezirksämtern, „ob die in dem jeweiligen Apartment untergebrachte Person tatsächlich ihren vorübergehenden Lebensmittelpunkt in Berlin hat“. Falls der Wohnraum, wenn auch nur befristet, tatsächlich zum Wohnen genutzt werde, sei das Zweckentfremdungsverbot nicht anwendbar.

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