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Blick in die Karl-Marx-Allee vom Strausberger Platz.
©  Kitty Kleist-Heinrich

Weitere Weltkulturerbestätten für Berlin?: Gebaute Ideale staatlicher Modernität

Gehören Hansaviertel und Karl-Marx-Allee zum Weltkulturerbe? Eine Tagung in Berlin widmete sich der Erforschung der beiden Musterviertel aus der Nachkriegszeit.

Die Moderne ist alt geworden. Es gibt sie 100 Jahre, vielleicht 120, andere sagen seit 200 Jahren. Diese Moderne hat sich immer weiter ausdifferenziert, bis hin zu einer „konservativen Moderne“, was ein hübscher Widerspruch in sich selbst ist, aber zumindest in der Architekturgeschichtsschreibung ein mittlerweile anerkannter Begriff.

Offenbar kann man sehr vieles, sogar Gegensätzliches unter dem luftigen Dach der Moderne vereinen. Exemplarisch dafür ist Berlin: Hier steht das Hansaviertel im ehemaligen Westteil als Inbegriff der westlichen Moderne der fünfziger Jahre, und im Osten steht die Karl-Marx-Alle, die einstige Stalinallee, ebenfalls aus den fünfziger Jahren und der Inbegriff – ja, von was? Gewiss des „Sozialistischen Städtebaus“, aber der Moderne?

„Moderne“, so viel wird deutlich, taugt mittlerweile nur mehr als Zeitangabe, als Epochenbegriff, ohne noch einen spezifischen Gehalt zu meinen. So will denn das Land Berlin die beiden Muster-Ensembles von Stalinallee und Hansaviertel gemeinsam auf die Welterbeliste der Unesco bringen. Es wäre, nach den preußischen Schlössern und Gärten, der Museumsinsel und den Mustersiedlungen der zwanziger Jahre, das vierte Welterbeobjekt, das ganz oder teilweise auf Berliner Boden gelegen ist. Eine solche Häufung gibt es weltweit nirgendwo sonst. Die Bereitschaft des Unesco-Welterbekomitees zur Aufnahme ist denn auch entsprechend reserviert.

Vorbildfunktion im Osten?

Nun hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen gemeinsam mit dem Landesdenkmalamt eine Tagung veranstaltet, um einmal zu beleuchten, wie es um den Vorbildcharakter der Berliner Bauensembles bestellt ist und welche vergleichbaren Objekte es in anderen Ländern gibt.

Der Blick richtete sich naturgemäß nach Osten. Nach dem Zweiten Weltkrieg bekamen die Länder des sowjetischen Machtbereichs allesamt „sozialistische Magistralen“ und Industriestädte vom Reißbrett, in denen die Leitlinien des Sozialistischen Städtebaus, insbesondere der Bezug auf „nationale Traditionen“, zum Tragen kamen. Dabei wurde allerdings in der Sowjetunion häufig auf Planungen der Zeit vor dem Stalinismus zurückgegriffen, als Städtebauer wie Ernst May, der 1930 aus Frankfurt übergesiedelt war, Projekte wie die Stahlstadt Magnitogorsk in Angriff nahmen. Der frühere Kultursenator Thomas Flierl, der mittlerweile als Privatgelehrter forscht, hatte eine Fülle von osteuropäischen Beispielen parat, und auch Svitlana Smolenska aus dem ukrainischen Charkiw belegte eindrucksvoll, wie viel „Moderne“ in den stalinistischen Städten steckt, in Form von Licht, Luft und Sonne, von autogerechten Straßen und weiten Plätzen wie im Leitbild des Westens.

Ziel: Die Moderne

Harald Bodenschatz von der TU Berlin, der in bewundernswerter Produktivität Buch um Buch vorlegt, nennt die totalitären Regime von Mussolini, Stalin und Hitler „Modernisierungsdiktaturen“ und kann dies gerade am Städtebau belegen. Der allerdings hatte das Ziel, den neuen, vorwiegend in Staat und Industrie tätigen Mittelstand durch Versorgung mit gutem Wohnraum eng an die Diktatur zu binden. Umgekehrt lassen sich in Rotterdam, neu aufgebaut nach der Kriegszerstörung 1940, durchaus ähnliche Elemente von Zeilenbau, Symmetrie und Normierung entdecken wie in den Neustädten des Ostblocks.

Ob also das polare Begriffspaar „Bau und Gegenbau“, das Gabi Dolff-Bonekämper (TU Berlin) so sehr strapazierte, über die besondere Situation des geteilten Berlin hinaus – mit seiner Stein gewordenen Systemkonkurrenz von Kapitalismus und Sozialismus innerhalb einer einzigen Stadt – wirklich taugt, sei dahingestellt.

Wie denkt die UNESCO?

Das Ergebnis der Tagung „Moderne neu denken. Architektur und Städtebau des 20. Jahrhunderts zwischen Avantgarde und Tradition“ mit ihren enorm materialreichen Vorträgen war doch gerade, dass sich „unter dem gemeinsamen Dach der Moderne“ – so Wolfgang Voigt aus Frankfurt/Main – etliche, Gemeingut gewordene Prinzipien finden lassen, egal wie die architektonische Ausschmückung mit oder ohne Säulen und Pilaster jeweils ausfiel.

Drängender als Gestaltungsfragen war in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg allemal die Notwendigkeit, Wohnraum für die breite Bevölkerung zu schaffen. Dafür konnten weder Stalinallee noch Hansaviertel als Vorbilder gelten. Beide Projekte waren zu speziell, zu teuer, auch politisch zu herausgehoben, um den Massenwohnungsbau nachhaltig zu formen. Dessen ungeachtet versucht das Land Berlin, mit diesen beiden singulären Bauprojekten ein weiteres Mal das Unesco-Gütesiegel zu erlangen.

Wäre es da nicht historisch richtiger – im Sinne der exemplarischen Bedeutung –, einen Antrag mit Marzahn und Märkischem Viertel zu starten?

Bernhard Schulz

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