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Katrin Lompschers (Die Linke) Entwurf zum Mietendeckel hat eine hitzige Diskussion über dessen Für und Wider angefacht.
© dpa/Kay Nietfeld

Verschärfung von Wohnungsknappheit: Der Mietendeckel macht alles nur noch schlimmer

Der Berliner Senat hat den Mietendeckel auf den Weg gebracht. In acht Thesen erklärt ein Wirtschaftshistoriker, warum das falsch ist. Ein Gastbeitrag.

Der Berliner Wohnungsmarkt hat sich in den letzten 15 Jahren von einem Nachfragemarkt mit hohen Leerständen zu einem Angebotsmarkt mit Wohnungsknappheit entwickelt. In den zehn Jahren zwischen der Finanzkrise 2008 und 2018 haben sich die Angebotsmieten fast verdoppelt. Warum?

Die Wohnungsbautätigkeit privater und öffentlicher Investoren kam der demografischen Entwicklung Berlins, vor allem dem Überschuss an Zu- gegenüber Abwanderung, nicht nach. Die zum 1. Juni 2015 in Kraft getretene Mietpreisbremse für Neuvermietungen hat vielleicht insofern gewirkt, als seit 2017 der Anstieg abgeflacht und seit dem dritten Quartal 2018 die Angebotsmieten sogar rückläufig sind.

Selbstnutzung gegen Mietpreissteigerungen

Demgegenüber sind die Bestandsmieten hinter den Mietpreissteigerungen für Neuvermietungen deutlich zurückgeblieben. Warum? Besonders auf diesem Teil des Berliner Wohnungsmarkts hat das bewährte Instrument des Mietspiegels stärker dämpfend gewirkt als bei Neuvermietungen. Ausnahme: Eigentümer haben ihre Mietwohnungen übermäßig modernisiert und die entsprechenden Umlagen von den Bestandsmietern eingefordert.

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Die Selbstnutzung von Wohneigentum ist der sicherste Schutz gegen Mietpreissteigerungen, unerwünschte Modernisierungen und Eigenbedarfskündigungen. Aber die Selbstnutzer-Eigentümerquote war 2017 in Berlin mit 14 Prozent die niedrigste aller Bundesländer. Warum? Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis Ende der 1970er Jahre bestand in Berlin (West) ein behördlich kontrollierter Mietendeckel, der in Westdeutschland schon 1960 in das Soziale Mietrecht überführt worden war und dort den Anreiz, Eigentum zu erwerben, verstärkt hatte.

Böckelnde Fassaden, kaum Modernisierungen

In Berlin (West) wurden die gedeckelten Wohnungsmieten zum Schaden der Vermieterseite weit unterhalb dessen gehalten, was auf einem nicht gedeckelten Wohnungsmarkt zwischen Vermieter und Mieter als für beide Seiten akzeptabler Mietpreis vereinbart worden wäre. Die Folge: bröckelnde Fassaden, kaum Modernisierungen und hohe „Abstandszahlungen“ vom Neumieter zum Vormieter für wertloses Mobiliar.

Dazu kam ein intransparenter Wohnungsmarkt, weil freiwerdende Wohnungen zumeist „unter der Hand“ statt über veröffentlichte Wohnungsanzeigen weitervermietet wurden. Vor der Wiedervereinigung der Stadt war die Selbstnutzer-Eigentümerquote in Berlin (Ost) mit seinen auf Tiefstniveau gedeckelten Mieten noch niedriger als in Berlin (West), zumal das dortige Rechtssystem Eigentumswohnungen in Mehrfamilienhäusern gar nicht zuließ. Außerdem war dort Eigentumserwerb als typisch bourgeoises Bestreben verpönt.

Carl-Ludwig Holtfrerich lehrte als Professor für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft und am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin.
Carl-Ludwig Holtfrerich lehrte als Professor für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft und am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin.
© Privat

Die höchsten Selbstnutzer-Eigentümerquoten aller Bundesländer gab es 2017 im Saarland (62,6 Prozent), Rheinland-Pfalz (58 Prozent) und Niedersachsen (55 Prozent). Im Durchschnitt der Bundesrepublik lag sie bei 46 Prozent, im Durchschnitt der EU bei mehr als 71 Prozent.

Ungerechtigkeiten in der Wohnraumverteilung

Mietendeckel führen zu Ungerechtigkeiten in der Wohnraumverteilung. Mieter in großen Altbauwohnungen, in die sie als Familie mit Kindern eingezogen waren, hatten keinen ökonomischen Anreiz, später als alleinstehende Personen in eine kleinere Wohnung umzuziehen und so ihre Großwohnung für jüngere Familien mit Kindern freizumachen. Stattdessen konnten sie mit der keiner Preisdeckelung unterworfenen Untervermietung von möblierten Zimmern ihre Renten erheblich aufbessern.

Die Deckelung von Mieten schafft zusätzliche Wohnungsknappheit. Eine Deckelung von Preisen verursacht auf jedem Markt für Güter oder Dienstleistungen Knappheiten, auch wenn sie vor der Deckelung gar nicht bestanden. Oder der Deckel verschärft Knappheiten, die schon vor der Deckelung vorhanden waren.

Knappheit des Angebots wird verschärft

Dazu ein Gedankenexperiment: Gesetzt den Fall, engagierte Sozialpolitiker des Senats oder Abgeordnetenhauses von Berlin würden feststellen, dass untere und mittlere Einkommensschichten sich wegen stark gestiegener Preise Fleischkonsum immer weniger leisten könnten. Also wird von der Politik ein Deckel auf den Fleischpreis in Höhe von fünfzig Prozent des aktuellen Marktpreises eingeführt.

Was wäre die Folge? Die Metzgerhandelstheken, auf fünfzig Prozent gedeckelte Metzgerverkaufspreise verpflichtet, würden von den Fleischproduzenten kaum noch Ware kaufen können. Die Fleischproduzenten würden wegen der Mindereinnahmen auf die Produktion von nicht preisgedeckelten Waren umsteigen. Leere Fleischtheken oder solche mit minderwertiger Ware wären die Folge.

Ein typisches Beispiel dafür, wie die Deckelung von Preisen (oder Mieten) die Knappheit des Angebots verschärft statt entschärft. Obwohl der Mietendeckel noch gar nicht in Kraft ist, haben private Wohnungsbauunternehmen geplante Investitionen in Berlin bereits zurückgestellt.

Aufstockung des Wohnungsbaus ist ein Muss

Die Überwindung der Wohnungsknappheit in Berlin kann nur über eine Aufstockung des Wohnungsbaus erreicht werden. Der kürzlich erfolgte Rückkauf von knapp 6000 ehemaligen Sozialwohnungen, die das Land Berlin 2004 für 409 Millionen Euro privatisiert hatte, für knapp eine Milliarde Euro hat jedenfalls keinen Beitrag zur Erhöhung des Wohnungsangebots in Berlin erbracht.

Für eine Milliarde Euro hätte das Land zu aktuellen Wohnungsbaupreisen von etwa 2000 Euro/qm Wohnfläche auf reichlich vorhandenen landeseigenen Grundstücken den Berliner Wohnungsbestand um 500 000 qm Wohnfläche aufstocken können. Investiert in studentische Wohnheime, wo die Wohnungsnot derzeit besonders akut ist, mit durchschnittlich 20 qm Wohnfläche pro Wohneinheit hätten sich für jene Investitionssumme 25 000 neue Studierendenwohnungen herstellen lassen.

Wirtschaft ohne Marktpreise funktioniert nicht

Visionen von gerechten Preisen, losgelöst von Marktpreisen, sind seit dem Mittelalter ins Leere gelaufen und haben Wachstum und Entwicklung gebremst. Warum? Eine Wirtschaft, der Marktpreise vorenthalten werden, hat keine Informationen darüber, welche Produktionsaktivitäten und Investitionen anderen vorgezogen werden sollten. Sie ist in ihrer Leistungsfähigkeit beschränkt. Daran sind alle Zentralverwaltungswirtschaften gescheitert.

Auch Politiker, denen in einer Demokratie die Wähler gewünschte Richtungsänderungen signalisieren, wären mit einer Einschränkung, gar einer Abschaffung freier Wahlen auf einem bzw. beiden Augen blind.

Subjektförderung statt Objektförderung

Subjektförderung, das heißt Sozialausgaben für geprüft bedürftige Personen und Haushalte, ist grundsätzlich wirkungsvoller und für die gesamte Gesellschaft kostengünstiger als Objektförderung, zum Beispiel über eine Preisfestsetzung, die Arm und Reich gleichermaßen zugutekommt! Statt Mietpreise zu deckeln, sollten bedürftige Mieter in größerem Umfang als bisher mit Wohngeld unterstützt werden.

Das wäre eine marktkonforme und zielgenaue Subjektförderung und im Gegensatz zum Mietendeckel eine konstruktive sozialpolitische Maßnahme. Der Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt die Fähigkeit zu entziehen, Produktionsaktivitäten und Investitionsmittel dorthin zu lenken, wo der Bedarf groß ist, ist unvernünftig. Das erkannte Problem, Wohnungsknappheit, wird nicht gelöst, sondern verschärft.

Carl-Ludwig Holtfrerich

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