Wohnen im Speckgürtel: „Den Zuzug bewältigen“
Brandenburg freut sich über die Ansiedlung großer Unternehmen. Welche neuen Projekte setzt der neue Infrastrukturminister auf die Schiene?
Herr Beermann, Sie sind erst seit dem 20. November Infrastrukturminister der neuen Landesregierung von Brandenburg. Der Job ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Machen Sie das freiwillig? Oder haben Sie sich in die Pflicht nehmen lassen?
Natürlich ist es für mich erst einmal eine große Ehre! Und das empfinde ich tatsächlich so, dass ich die Möglichkeit bekommen habe, in ein Kabinett einzuziehen, dass durch seine Zusammensetzung in einer Dreierkonstellation sehr spannend ist. Da passt schon alles zusammen.
Dann folgern wir, dass Sie die Aufgabe freiwillig übernommen haben. Aber Sie haben enorme Probleme zu bewältigen. Zunächst müssen Sie Grünheide mit Wasser versorgen …
Das Thema Grünheide ist ein spannendes. Für das Land Brandenburg ist es eine große Chance, das ist ein wichtiger Impuls – insbesondere wirtschaftlicher Art. Auch für die gesamte Metropol- und Hauptstadtregion. Das Wasserthema wird derzeit von unseren Kollegen im brandenburgischen Umweltministerium betrachtet. Wir sind zuversichtlich, dass es eine passende Lösung geben wird.
Hatten Sie schon Gelegenheit, sich mit Ihren „Amtsbrüdern“ und „-schwestern“ in Berlin über die anstehenden Aufgaben auszutauschen?
In der Tat habe ich in meiner Fachzuständigkeit zwei Kolleginnen in Berlin, mit denen ich mich bereits austausche. Zum einen Frau Regine Günther, Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz und zum anderen Katrin Lompscher als Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen. Frau Günther kenne ich bereits aus der Verkehrsministerkonferenz. Und auch Frau Lompscher habe ich kennengelernt, als ich in Berlin noch Staatssekretär war und sie in der Opposition. Ich freue mich, dass wir jetzt die Möglichkeit haben, über die berufliche Aufgabe miteinander ins Gespräch zu kommen.
Sind Sie aus Brandenburger Sicht zufrieden mit Berlins Infrastruktur- und Wohnungsbaupolitik? Sie müsste Ihnen im Umland schwer zu schaffen machen.
Wir haben wichtige gemeinsame, aber auch ganz unterschiedliche Projekte, die wir angehen werden. Ich möchte drei Themen nennen, die uns in den nächsten Jahren in Brandenburg besonders beschäftigen werden. Zum einen das Infrastrukturprojekt „i2030“ mit seinen vielen wichtigen Einzelprojekten für die Regionen in Brandenburg, zum anderen das Bündnis für Wohnen, das wir fortsetzen, um weiter als starker Partner der Kommunen zu mehr bezahlbarem Wohnraum beizutragen. Außerdem werden wir den Landesentwicklungsplan und die derzeitigen landesplanerischen Vorgaben zur Siedlungsentwicklung überprüfen. Sie sehen, es gibt viel zu tun!
Bei der Wohnungsbaupolitik ist es etwas anders. Auch hier haben wir einen guten Grundton mit den Berliner Kollegen – aber andere Bedürfnisse. Brandenburg ist ein Flächenland, mit einer großen Bandbreite zwischen Wachstum und Schrumpfung. Die Wohnungsmärkte in Berlin und Brandenburg sind daher naturgemäß sehr unterschiedlich und erfordern andere Instrumente.
Dieses Jahr ist das Jahr da Groß-Berlin sein hundertjähriges Bestehen feiert. Bei der Bildung Groß-Berlins entstanden am 1. Oktober 1920 insgesamt zehn Berliner Exklaven. Können Sie sich vorstellen, dass es zu einer neuen Exklave kommt, vielleicht sogar noch in Ihrer Amtszeit? Immerhin hat die Hauptstadt angekündigt, den Flächenankauf zu forcieren.
Nein, solche Gedankenspiele halte ich für unrealistisch. Durch Zukäufe verschieben sich ja keine Länder- oder Gemeindegrenzen, und die bestehenden Exklaven sind Relikte. Worüber wir aber in jedem Fall reden müssen, ist, wie wir die Zusammenarbeit zwischen Brandenburg und Berlin noch weiter vertiefen können. Nach dem Motto: zwei Länder, ein Entwicklungsraum.
Berlin verzeichnet nach den jüngsten Zahlen des Statistikamtes Berlin-Brandenburg den geringsten Bevölkerungszuwachs seit dem Zensus 2011. Im Saldo verlor Berlin in den ersten drei Quartalen des abgelaufenen Jahres 12600 Personen deutscher Staatsangehörigkeit an Ihr Bundesland. Sind sie willkommen? Oder könnten Sie gezwungen sein, Zuzugssperren zu verhängen?
Brandenburg ist Zukunftsland und wie man sieht sehr attraktiv für Zuziehende – darunter auch Berlinerinnen und Berliner. Ich wohne selbst seit 20 Jahren in Brandenburg und kann daher aus eigener Erfahrung sagen: Hier lebt es sich wunderbar. Wir haben so viele kleine und große Städte und Gemeinden, in denen sich die Menschen zu Hause fühlen.
Viele Kommunen sind gut an die Bundeshauptstadt angebunden, haben Atmosphäre und Urbanität, Arbeitsmöglichkeiten, eine gute Infrastruktur und natürlich bezahlbaren Wohnraum. Also kein Grund, an Zuzugssperren auch nur zu denken! Wofür wir natürlich sorgen müssen, ist, dass die Infrastruktur mit den Aufgaben wächst und die Städte und Gemeinden den Zuzug bewältigen können. Hierbei brauchen sie die Hilfe des Landes.
Wenn man einigen Bürgermeistern einiger Umlandgemeinden zuhört, so vernimmt man bittere Klagen darüber, dass das Land nicht versteht, dort Infrastrukturkorridore einzurichten – mit Bahnstationen oder dem Ausbau bzw. der Schaffung von Straßen – wo sich Menschen nun einmal heimisch machen. Denn nicht alle Bevölkerungsentwicklungen orientieren sich an Ihrem Modell des „Siedlungssterns“. Haben die einfach nur Pech gehabt und hätten besser vorher Ihre Entwicklungspläne gelesen?
Gleichwertige Lebensverhältnisse sind für unsere Koalition zentrales Leitbild. Und genau daraufhin werden wir den Landesentwicklungsplan und die derzeitigen landesplanerischen Vorgaben überprüfen. Ziel dabei ist, Brandenburg wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltig wachsen zu lassen. Weil die Schiene aber das Rückgrat der verkehrlichen Erschließung ist, wird der Siedlungsstern auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Durch Projekte wie Plus-Bus, in dem die Busse auf die Bahn abgestimmt sind und in einer regelmäßigen Taktung verkehren, tragen wir dafür Sorge, dass zwischen den Hauptachsen die Anbindung weiter verbessert wird.
Gelegentlich hat man den Eindruck, es werden deshalb keine Straßen im Umland gebaut, weil man in Berlin und Brandenburg keine weiteren Pendlerverkehre mit dem Auto wünscht. Müssten sich dann aber Berlin und Brandenburg nicht wenigstens darüber einigen, an den Park&Ride-Stationen mehr Plätze einzurichten bzw. diese erst einmal überhaupt gemeinsam mit dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) zu schaffen? Stehen die Signale in beiden Ländern weiter auf Rot?
Ganz im Gegenteil, die Signale stehen längst auf Grün, wobei der ÖPNV eine zentrale Rolle spielt. Mein Ministerium wird die Errichtung von Park&Ride-Plätzen durch die Kommunen weiterhin vielfältig unterstützen. Wir haben gemeinsam doch auch schon viel erreicht: Bis 2018 wurden im Land Brandenburg 21000 befestigte Stellplätze an 226 Stationen des Schienenpersonennahverkehrs geschaffen. Auch künftig stehen die Kommunen nicht allein vor dieser Aufgabe: Auf meine Initiative hat das Kabinett beschlossen, dass wir ab 2020 mehr Mittel für das Förderprogramm „Investitionen in den ÖPNV“ zur Verfügung haben. Im kürzlich beschlossenen Nachtragshaushalt 2020 wird für dieses Programm ein zusätzliches Bewilligungsvolumen von rund 41,3 Mio Euro bereitgestellt. Aktuell arbeitet der VBB in unserem Auftrag an einem Gutachten zum Thema Park&Ride und Bike&Ride. Die Ergebnisse wollen wir im Frühjahr vorstellen. Dort wird es auch um den konkreten Bedarf an den Standorten gehen. Außerdem suchen wir gemeinsam mit dem Land Berlin nach Möglichkeiten für eine gemeinsame Finanzierung.
Bei den P&R-Plätzen ist im vergangenen Jahr viel passiert und viel Neues ist in Planung. Sowohl bei der ÖPNV-Förderung als auch im kommunalen Investitionsprogramm. Meist geht es darum, die bestehenden Plätze zu erweitern, manchmal auch darum, neue Plätze anzulegen. Beispiele für die Erweiterung sind P&R-Anlagen in Erkner oder in Zeuthen, aber auch in Vetschau, Eisenhüttenstadt und Neustadt (Dosse). Auch neue Fahrradabstellplätze (B&R) sind in der Planung, teilweise in Verbindung mit P&R, teilweise extra. Zum Beispiel in Gransee oder in Potsdam am Bahnhof-Griebnitzsee. In Königs Wusterhausen wird es bald sogar ein neues Fahrradparkhaus geben. Überall im Land ist das für Menschen, die pendeln, wichtig.
Sie haben angekündigt, Mittel zur Sanierung der Ortsdurchfahrten von Landesstraßen bereitzustellen. Wird es mit Ihnen auch zu Neuplanungen von Straßen im Verflechtungsraum Berlin-Brandenburg kommen?
Unser Augenmerk liegt darauf, die vorhandenen Straßen bedarfsgerecht zu erhalten und zu modernisieren. Erhalt vor Neubau – so ist es auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Dabei ist die Modernisierung von Ortsdurchfahrten besonders wichtig. Zusätzlich überprüfen wir den Landesstraßenbedarfsplan, in dem mögliche neue Maßnahmen bei den Landesstraßen enthalten sind.
Beobachten Sie, dass Berlins Ränder in Brandenburg zunehmend nicht nur für Wohnungssuchende attraktiv sind, sondern auch für Gewerbetreibende? Ist Tesla hier der Leuchtturm einer Bewegung, die Sie schon länger beobachten und was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Brandenburg ist ein toller Wohn- und Gewerbestandort, sozusagen ein Hidden Champion unter den Bundesländern. Die Rahmenbedingungen für Ansiedelungen in Brandenburg sind hervorragend. Das zeigt der Tesla-Standort in Grünheide. Er ist verkehrsgünstig für Straßen-, Schienen- und Flugverkehr und liegt am Schnittpunkt der transeuropäischen Verkehrsachsen zwischen West-und Osteuropa.
Mir ist es jedoch wichtig, dass wir eine moderne und leistungsfähige Infrastruktur in allen Regionen Brandenburgs entwickeln. Die Brandenburgerinnen und Brandenburger müssen am Ende selbst entscheiden, wie sie ihre Mobilität organisieren wollen. Unsere Aufgabe ist es, die richtigen Angebote dafür zu schaffen. In den Städten geht es dabei um wohnortnahe Arbeitsplätze, ohne dass zusätzlicher Verkehr entsteht. Ludwigsfelde und Oranienburg sind hier gute Beispiele. Über integrierte Stadtentwicklungskonzepte und unsere Förderung können die Gemeinden die Weichen so stellen, dass die Städte unverwechselbar bleiben, Belastungen vermieden werden und die Menschen vom Wandel profitieren.
Nicht jeder kann sich ein Eigenheim im Speckgürtel leisten und nicht jeder will und braucht Eigentum. Mancher Single verlässt die Großstadt in eine berlinnahe Siedlung, um auch hier festzustellen, dass die Mietpreise exorbitant steigen, Zimmer in Bernau zum Beispiel für 500 Euro warm keine Seltenheit sind. Was kann und muss die Wohnungsstrukturpolitik hier leisten?
Es stimmt: auch in Potsdam und einigen Berliner Umlandgemeinden ist Wohnraum knapp. Bauen hat hier oberste Priorität. Dabei geht es uns als Land vor allem darum, dass mehr mietpreis- und belegungsgebundener Wohnraum geschaffen wird – im Neubau, aber auch im Bestand. Gute Erfahrungen haben wir mit Rahmenverträgen gemacht: Mit der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Hennigsdorf haben wir zum Beispiel vereinbart, die Mietpreis- und Belegungsbindungen von mehr als 500 Wohnungen zu verlängern und mindestens 100 neue Wohnungen zu errichten. Im Gegenzug wurde der Zinssatz für bestehende Förderdarlehen gesenkt. Damit werden geringere Mieteinnahmen kompensiert und die Finanzierung von Neubauvorhaben ermöglicht. Ähnliche Verträge gibt es in Potsdam, Wustermark, Teltow und anderen Städten.
Die Autoverkehre sollen elektrifiziert werden. Sie werden in Grünheide mittelbar dazu beitragen. Was müssen, was können Sie unmittelbar tun, um eine Ladeinfrastruktur für E-Autos möglichst flächendeckend einzurichten? Werden Sie das bei der Sanierung der Ortsdurchfahrten gleich mit bedenken und planen?
Die flächendeckende Ausstattung mit Ladeinfrastruktur ist sowohl eine Aufgabe der öffentlichen Hand als auch der Industrie. Der Bund stattet alle Tank- und Rastanlagen an den Autobahnen mit Schnellladesäulen aus. Es gibt regelmäßige Aufrufe des Bundes an Kommunen, Stadtwerke usw., im Rahmen von Förderprogrammen Ladeinfrastruktur in öffentlichen Räumen zu errichten. Bei uns im Land Brandenburg gibt es mit dem Wirtschaftsministerium eine Arbeitsteilung. Wir als Verkehrsministerium konzentrieren uns auf die Elektrifizierung im ÖPNV sowie bei der Anlage von Park + Ride- und Bike + Ride-Plätzen. Das Wirtschaftsministerium fördert im Rahmen des Förderprogramms RenPlus die öffentliche Ladeinfrastruktur. Die Frage, wo die Ladesäule steht, ob an der Straße oder auf einem Supermarktparkplatz, entscheidet am Ende der Betreiber der Ladesäule.
Abschließend ein Ausblick, an dem wir Sie am Ende dieser Legislatur messen wollen: Was soll in Ihrer Verantwortung in fünf Jahren erreicht worden sein?
Hier ist zunächst der Koalitionsvertrag die Grundlage des Handelns. Ich will nach fünf Jahren sagen können, dass ich aktiv daran mitgewirkt habe, eine moderne, leistungsfähige, umweltgerechte und bezahlbare Infrastruktur in Brandenburg zu gestalten. Außerdem gehe ich davon aus, dass wir sowohl die Wohnungsbauoffensive des Landes weiter vorangebracht, als auch den Stadtumbau zukunftsfest gemacht haben werden. Denn bei allem Neubau darf man nicht vergessen, dass der Leerstand in vielen Landesteilen nach wie vor ein Problem ist und angegangen werden muss.
Das Interview führte Reinhart Bünger.